Waffenruhe nach US-Angriff: Wurde das iranische Atomprogramm vernichtet?

vor etwa 4 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Die Staatsmänner in Teheran hatten wohl bis zum Einschlag der ersten Bomben in der unterirdischen Atomanlage Fordow nicht geglaubt, dass der US- Präsident seinen Streitkräften den Befehl zum Angriff geben würde. Beim US-Angriff am Sonntag sollen mindestens drei B-2-Bomber sechs 13,6 Tonnen schwere, sogenannte „bunkerbrechende“ Bomben auf die unterirdische Anlage in Fordow abgeworfen haben. Ein amerikanisches U-Boot soll 30 Tomahawk-Raketen auf die Urananreicherungsanlage in Natanz sowie auf den Nuklearkomplex in Isfahan abgefeuert haben. Trump lobte den Erfolg der Mission und erklärte, das iranische Programm sei „vollständig und gänzlich vernichtet“ worden. Er warnte den Iran außerdem davor, Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen.

Die iranische Führung hat sich verkalkuliert. Doch auch Trump war mit dem Angriff Risiken eingegangen. Netanjahu hatte Trump regelrecht vor vollendete Tatsachen gestellt, indem er den Angriff auf den Iran startete und die USA schließlich in den Krieg hineinzog. Trump wurde schließlich gewählt, um die USA aus Militäreinsätzen herauszuhalten.

In Trumps Gefolgschaft, die ihn durchaus als ernsthaften Anwärter auf den Friedensnobelpreis sieht, brach deswegen bereits vor dem US-Angriff auf den Iran ein Streit aus, da die USA sich immer wieder in den Konflikt mit dem Iran hineinziehen ließen. In den amerikanischen Medien war zwischenzeitlich von einem „Maga War“ die Rede, einem Krieg zwischen den verschiedenen Strömungen in der MAGA-Bewegung. Die prinzipielle Frage lautete: Hat Trump mit seinem Schlag gegen den Iran seine kriegsmüde Wählerschaft verraten? Zwar hat der US-Präsident seinen Kritikern ein Schnippchen geschlagen, indem es gelungen ist, schnell und effizient einen Waffenstillstand herbeizuführen, an den sich augenscheinlich auch beide Seiten halten. Langfristig jedoch muss er die Iraner davon überzeugen, jegliche Absicht aufzugeben, sich Atomwaffen zu beschaffen. Das wird nicht einfach sein.

Nach den US-Angriffen auf Irans Atomanlagen steht nun die große Frage im Raum: Inwieweit hat der Angriff dem iranischen Atomprogramm geschadet? In seiner Rede im Weißen Haus erklärte Trump, das iranische Atomprogramm sei „vollständig und gänzlich vernichtet“ worden. Das ist etwas übertrieben. Der Iran verfügt über jahrzehntelanges Fachwissen, das sich nur schwer beseitigen lässt. Wenn die USA jedoch Fordow zerstört haben, wird das iranische Atomprogramm wahrscheinlich erheblich zurückgeworfen.

Fordow war das Herzstück des iranischen Atomprogramms. Die Anlage war das Zentrum der Hochanreicherung von Uran auf 60 Prozent. Das ist ein Anreicherungsgrad, der nach IAEA-Angaben nicht mit zivilen Zwecken erklärbar ist, und nur einen kleinen weiteren Schritt von waffenfähigem Uran entfernt. Die strategische Bedeutung von Fordow ergibt sich vor allem daraus, dass es in Stollen unter einem Berg gegraben wurde – nach unterschiedlichen Angaben 60, 80 oder gar 90 Meter tief – und zudem mit einer meterhohen Betondecke verbunkert ist. Dadurch galt die Anlage als gut gegen Luftangriffe geschützt.

Israels Militär verfügt nach Angaben von Militärfachleuten über keine Waffen, mit denen sie diese Anlage aus der Luft hätten zerstören können. Einige Experten waren zuvor der Meinung, dass die Anlage nur mit Atomwaffen oder durch Bodentruppen, die sich Zugang verschaffen und sie in die Luft sprengen, zerstört werden könne. Selbst wenn die Bomben der USA die Anreicherungshalle nicht vollständig zerstört haben, könnten sie eine ausreichend starke Schockwelle verursacht haben, die die Zentrifugen im Inneren zerstört hat. Mittlerweile bestätigen Satellitenbilder die Einschlagslöcher in Fordow nach den US-Angriffen. Sie befinden sich genau an den Stellen, an denen die unterirdischen Hallen vermutet werden.

Angesichts der aktuellen Situation ist allerdings unklar, ob es dem Iran gelungen ist, das bereits hochangereicherte Uran sowie die wichtigen Komponenten vor Angriffen der USA und Israels in Sicherheit zu bringen. Aufgrund der entstandenen Schäden wird auch die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO) nicht in der Lage sein, die Bestände des Iran zu erfassen. Nach Informationen der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) verfügt der Iran über 400 Kilogramm hochangereichertes Uran (HEU) mit einer Reinheit von 60 Prozent.

Laut einem Bericht der in Teheran gut vernetzten Nahost-Webseite Amwaj hat Washington Teheran vorab über den Angriff auf Fordow informiert. Die Vorräte an hochangereichertem Uran wurden demnach an sichere Orte verbracht. Dabei ist anzumerken, dass Satellitenbilder ungewöhnliche Aktivitäten in Fordow wenige Tage vor US-Angriff zeigen. Hochauflösende Satellitenbilder, die am 19. und 20. Juni aufgenommen wurden, zeigen eine ungewöhnliche Ansammlung von Lastwagen und Fahrzeugen in der Nähe des Eingangs zur unterirdischen Brennstoffanreicherungsanlage in Fordow. Georg Steinhauser, Professor für angewandte Radiochemie an der Technischen Universität Wien, schätzt, dass 400 Kilogramm keine große Menge seien und sich daher leicht schmuggeln lassen: „Das passt in drei Schuhkartons.“

Unter diesen Umständen könnte sich Teheran später dazu entschließen, den Atomwaffensperrvertrag (NPT) zu verlassen, womit das Land immer gedroht hat. Dies würde strategische Unklarheiten schaffen, ähnlich wie es Israel mit seinem Atomprogramm schon immer getan hat. Der Iran müsste keine Bombe testen. Allein die Unsicherheit könnte ausreichen, um künftige Angriffe abzuschrecken. Allerdings ist der Iran weiterhin weit davon entfernt, eine Bombe zu bauen. Denn erst mit auf 60 Prozent angereichertem Uran wäre es physikalisch denkbar, eine Bombe zu bauen. Das würde jedoch weniger Sinn ergeben. Denn eine solche Bombe wäre in jedem Fall schwer und klobig und für keines der Trägersysteme geeignet, die dem Iran mit seinen öffentlich bekannten Raketen zur Verfügung stehen.

Trump hat einen begrenzten Angriff durchgeführt. Dieser diente dazu, das iranische Atomprogramm um mehrere Jahre zurückzuwerfen. Der Präsident wollte eine breitere Eskalation vermeiden. Die USA würden aber dann weiter in den Konflikt mit dem Iran hineingezogen werden, wenn die Iraner ihre Drohung wahrmachen und die Straße von Hormus blockieren. Durch die Sperrung der Straße von Hormus nähme der Konflikt eine neue, internationale Dimension an. Dies würde nämlich den Rivalen der USA, China und Russland, als Momentum dienen, um angesichts der Bindung der USA in den Konflikt im Nahen Osten ihre Ambitionen anderswo – Taiwan und Ukraine – zu forcieren. Die USA sind mittlerweile eine überdehnte Weltmacht: US-Ressourcen reichen nicht, um sich an allen geopolitischen Krisenherden gleichzeitig zu engagieren, deshalb müssen nun Prioritäten gesetzt werden.

Eine diplomatische Lösung des Konflikts wäre der beste Weg, um Teherans Streben nach einer Atombombe zu verhindern und ein erneutes Chaos im Nahen Osten abzuwenden. Der Westen und insbesondere Europa können sich keine neuen Krisenherde und Flüchtlingswellen mehr leisten. Nun bleibt abzuwarten, wie Trump nach dem nun erwirkten Waffenstillstand weiter vorgehen wird, und inwieweit die Ayatollahs in Teheran bereit sind, Kompromisse einzugehen, um einen Staatszerfall zu verhindern.

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