
Beim Treffen der Staats- und Regierungschefs der ASEAN-Gruppe in Kuala Lumpur Ende Mai drehte sich fast alles um US-Präsident Donald Trump. Denn kaum eine Region wurde von den Strafzöllen des US-Präsidenten so hart getroffen wie die weltweit wirtschaftlich am schnellsten wachsende Region im Südostpazifik.
Der ASEAN-Gruppe gehören zehn südostasiatische Länder an, die besonders in wirtschaftlichen, politischen und sozialen Bereichen zusammenarbeiten. Dazu zählen unter anderem Indonesien, Thailand, Vietnam und Kambodscha.
Trump kündigte im April eine 90-tägige Aussetzung der Zölle für den größten Teil der Welt an und traf im Mai eine ähnliche Vereinbarung mit dem Hauptrivalen China, was die Spannungen im Handelskrieg leicht abbaute. Bevor Trump die Strafzölle für 75 Länder ausgesetzt hatte, hatte seine Regierung Zölle in Höhe von 49 Prozent für Importe aus Kambodscha, 46 Prozent aus Vietnam und 24 Prozent aus Malaysia verkündet.
Die Wettbewerbsfähigkeit von Volkswirtschaften wie Vietnam, dessen Exportindustrie sich besonders gut entwickelt hat, würde allerdings selbst dann leiden, wenn die Zölle am Ende deutlich sinken würden. Hinzu kommt die Sorge, dass die Region infolge der US-Zollpolitik von noch billigeren chinesischen Waren überschwemmt werden könnte. Dabei wollen sich die Staaten in Südostasien aber gar nicht zwischen China und den USA entscheiden. Die ASEAN strebt ein Gipfeltreffen mit Trump zu den Zöllen an und bemüht sich gleichzeitig um eine Ausweitung der Handelsbeziehungen mit China und anderen Ländern.
Beim ASEAN-Treffen einigten sich Mitgliedstaaten darauf, dass bei allen mit Washington ausgehandelten bilateralen Abkommen die Interessen der gesamten Region berücksichtigt werden sollen. „Während wir mit den bilateralen Verhandlungen mit den USA fortfahren, haben die ASEAN-Staaten vereinbart, dass Entscheidungen nicht auf Kosten anderer Länder getroffen werden dürfen.“ Dies gab der malaysische Premierminister Anwar Ibrahim bekannt.
Der regionale Zusammenschluss südostasiatischer Staaten kam in Malaysia auch mit Vertretern der chinesischen Regierung und sechs Mitgliedern des Golfkooperationsrates (GCC) zusammen. Der Gipfel folgte auf die jüngste Charmeoffensive Trumps in den Golfstaaten. China ist der wichtigste Handelspartner der ASEAN und versucht, sich trotz seiner Rivalität mit den USA als zuverlässiger Verbündeter der Region zu präsentieren. Der Golf-Kooperationsrat deckt mehr als ein Drittel des chinesischen Rohölbedarfs.
Beim ASEAN-GCC-China-Gipfel standen vor allem Pekings Bemühungen im Mittelpunkt, die Unterstützung im Handelsstreit mit den USA zu stärken. In Malaysia haben die ASEAN-Staaten ein neues Freihandelsabkommen mit China beschlossen. Eigentlich hätten die Nachbarn mit dem mächtigen China andere Themen zu besprechen, beispielsweise die andauernden Provokationen im Südchinesischen Meer, wo Peking seine Expansionsbestrebungen mit militärischer Gewalt durchsetzt. Die ASEAN-Mitgliedstaaten agieren in der Außenpolitik eher pragmatisch und schaffen es bislang, gleichwertige Beziehungen zu Ländern aufzubauen, die miteinander in Konkurrenz oder Konflikt stehen.
Hinsichtlich der China-Frage herrschen allerdings Meinungsverschiedenheiten. Singapurs stellvertretender Ministerpräsident Gan Kim Yong fand es „zunehmend schwierig und herausfordernd“, im Konflikt der Großmächte keine Seite zu verärgern. Malaysia verkündete, im Handelskrieg an der Seite Chinas zu stehen. Auch in Krisengebieten wie dem Südchinesischen Meer oder angesichts des Bürgerkriegs in Myanmar vertreten die südostasiatischen Staaten unterschiedliche Ansichten. Die Mitgliedschaft im ASEAN-Verbund bewahrt die Mitgliedstaaten jedoch zumindest davor, aktiv gegen die Interessen der anderen zu handeln. Der Block tendiert zunehmend dazu, sich auf die mittlere Position seiner Mitglieder zu konzentrieren. Betrachtet man den Streit um das Südchinesische Meer, wird dies deutlich.
Die Philippinen etwa versuchten, die Organisation dazu zu bringen, entschieden gegen die Schikanen Chinas gegenüber ihren Schiffen vorzugehen. Andere Mitglieder hingegen machen gute Geschäfte mit China und kümmern sich weit weniger um Seestreitigkeiten. Das Binnenland Laos, das eine strategische Beziehung zu China unterhält, versuchte dementsprechnd, darauf hinzuwirken, dass ASEAN die USA für die Spannungen verantwortlich machen. Die ASEAN-Staaten unterstützen die Haltung der Philippinen nicht, schließen sich aber auch nicht der Position Laos‘ an: Man kritisiert die Aggression im Südchinesischen Meer, ohne China beim Namen zu nennen. Forderungen Laos’ und anderer von China abhängiger Staaten, „externe Mächte” (z. B. USA) für die Spannungen verantwortlich zu machen, werden routinemäßig gleichfalls zurückgewiesen.
Washington betont immer, wie wichtig die Partnerschaft der südostasiatischen Staaten mit USA ist, um den wachsenden Einfluss Chinas zurückzudrängen. Trotzdem hat sich die Region im Konflikt der Großmächte bisher nicht auf eine Seite ziehen lassen. Denn das wäre schädlich für das Geschäftsmodell. Vietnam ist für seine Exporte in die USA auf Vorprodukte aus China angewiesen. In Malaysias Halbleiterindustrie investieren ausländische Unternehmen, weil das Land bisher seine Neutralität hochgehalten hat. Die Region sucht die Balance zwischen China und den USA unter Trump. Dieses Gleichgewicht bezeichnete der vietnamesische KP-Chef Nguyễn Phú Trọng erstmals im Jahr 2016 als „Bambusdiplomatie“. Der Begriff leitet sich von den Eigenschaften der in Vietnam weit verbreiteten Bambuspflanze ab: Sie ist stark und widerstandsfähig, aber auch flexibel und anpassungsfähig.
Die ASEAN-Staaten betreiben diese Politik vor dem Hintergrund juristischer Streitigkeiten um Trumps Zollpolitik in den USA selbst: Zunächst hatte ein US-Gericht am 29. Mai Trumps Zölle blockiert. In dem Urteil hieß es, die betreffenden Zölle würden „aufgehoben und ihre Anwendung dauerhaft untersagt”. Die Entscheidung betraf fast alle von Trumps Regierung erlassenen Zölle – darunter jene Strafabgaben, die der Republikaner am von ihm so bezeichneten „Tag der Befreiung“ Anfang April verhängt hatte, aber auch bestimmte Zölle auf Waren aus Kanada, Mexiko und China. Zölle müssten in der Regel vom US-Parlament genehmigt werden, so argumentriete das Gericht.
In der Praxis könnte aber der US-Präsident unter bestimmten Voraussetzungen eigenständig Zölle verhängen. Trump argumentiert, dass Handelsdefizite mit anderen Ländern ein nationales Sicherheitsrisiko seien und damit ein nationaler Notstand bestehe. Mit dieser Begründung verhängte er die weitreichenden Zölle per Dekret – und umging in diesem Fall das Parlament.
Asiens Börsen legten im Zuge der Zoll-Aussetzung zu. Wenig später aber setzte ein US-Berufungsgericht die Zölle wieder in Kraft. Die wichtigsten Aktienmärkte in Fernost gaben also am nächsten Tag mehrheitlich nach. Am Markt herrscht derzeit Unsicherheit, wie es mit den US-Zöllen weitergeht, die Lage ist unüberschaubar. Die Frage ist dabei nicht zuletzt, ob die Staaten in Südostasien trotz dieser Instabilität und Unzuverlässigkeit weiterhin zu einem bilateralen Abkommen mit Trump bereit sind.
Die anstehenden bilateralen Verhandlungen der USA mit ihren Partnern über die Zollpolitik werden nun durch die unklare Befugnis der US-Regierung, ihre Drohungen wahrzumachen, getrübt. Analysten der Investmentbank Goldman Sachs warnten sogar, dass die Handelsunsicherheit infolge der Gerichtsentscheidung eher zugenommen habe. Dies dürfte dazu führen, dass die ASEAN-Staaten ihre Beziehungen zu China weiter ausbauen, wo derartige Unklarheiten nicht bestehen.