
Die transatlantische Achse wankt. Dieses Mal nicht wegen Putin, China oder Handelszöllen, sondern wegen einer wachsenden ideologischen Kluft: der Meinungsfreiheit. Während Europa sich in einem regelrechten Kontrollrausch verliert und mit immer neuen Gesetzen gegen „Desinformation“, „Hassrede“ und „Falschmeinungen“ gegen kritische Bürger vorgeht, ziehen die USA nun die Reißleine. US-Außenminister Marco Rubio kündigte am Mittwoch an, Visasperren gegen ausländische Beamte zu verhängen, die „eklatante Zensur“ gegen Amerikaner oder US-Unternehmen betreiben. Die Botschaft ist unmissverständlich: Wer sich anmaßt, in die verfassungsmäßig garantierte Redefreiheit der Vereinigten Staaten hineinzuregieren, wird künftig nicht mehr freundlich empfangen, sondern an der Grenze gestoppt.
Die USA betrachten damit erstmals ganz offiziell das europäische Zensurregime nicht mehr als innenpolitische Schrulle, sondern als strategische Bedrohung. Vor allem der sogenannte Digital Services Act der EU steht im Zentrum der Kritik: ein Gesetz, das von Brüssel als Fortschritt verkauft wird, von Washington aber als Einmischung in amerikanische Grundrechte verstanden wird. Dass EU-Beamte verlangen, US-Plattformen wie X (ehemals Twitter), Meta oder Rumble sollten sich den in Europa geltenden Inhaltsvorgaben unterwerfen, ist aus US-Sicht eine Grenzüberschreitung – nicht nur politisch, sondern verfassungsrechtlich.
Rubios Worte stehen nicht allein. Schon im Februar ließ Vizepräsident J.D. Vance bei der Münchener Sicherheitskonferenz alle diplomatischen Höflichkeiten fallen. Europa sei auf dem Weg in eine „autoritäre Kultur der Zensur“, sagte er – und verwies auf das alarmierende Maß, in dem in Ländern wie Deutschland die freie Meinungsäußerung durch eine Allianz aus Staat, Plattformbetreibern und zivilgesellschaftlichen Zensurinstanzen untergraben werde. Der Begriff „Desinformation“ sei zum Gummiparagraphen geworden, unter dem man jede unliebsame Meinung wegräumen könne. Vance sprach aus, was in Berlin keiner hören will: Die USA sehen nicht mehr zu.
Dass die Kritik aus den USA keine rechte Verschwörungserzählung ist, sondern inzwischen auch aus dem Herzen des liberalen Mainstreams kommt, zeigt die publizistische Intervention des Economist. Gleich mehrfach nahm das britische Traditionsblatt Europas Umgang mit der Meinungsfreiheit ins Visier und kam zu einem vernichtenden Urteil. Europa sei auf dem besten Weg, seine liberalen Grundprinzipien zu verraten. Besonders Deutschland stehe im Verdacht, ein gefährliches Vorbild zu liefern: ein System, in dem staatlich lizensierte „Faktenprüfer“, gesetzliche Meldepflichten und algorithmische Inhaltskontrolle zu einem Klima der Angst geführt hätten. Das Magazin spricht von einer „schockierenden Normalisierung“ von Zensur – und davon, dass sich Europa in einer moralischen Selbsttäuschung eingerichtet habe.
Und tatsächlich: Während man sich in Brüssel und Berlin gern als Bollwerk gegen „Hass und Hetze“ inszeniert, fällt der Blick von außen zunehmend ernüchtert aus. Was man hierzulande als „Kampf gegen rechts“ verklärt, wirkt international wie der Versuch, die demokratische Debatte durch technokratische Gängelung zu ersticken. Dass selbst private Unternehmen wie Meta oder Rumble inzwischen juristisch gegen europäische Eingriffe vorgehen, zeigt: Die Geduld ist am Ende. Wer glaubt, er könne aus Brüssel heraus global die Grenzen des Sagbaren definieren, missversteht nicht nur Meinungsfreiheit, sondern auch Machtverhältnisse.
Rubios angekündigte Visasperren markieren daher nicht nur ein politisches Signal – sie sind ein diplomatischer Warnschuss. Die USA erinnern Europa daran, dass Meinungsfreiheit nicht relativ ist, nicht kulturell verhandelbar, nicht austauschbar gegen Harmonie oder Bürokratenwohlwollen. Sie ist gerade für die Vereinigten Staaten eine nicht verhandelbare Grundlage jeder Partnerschaft. Wer daran rührt, verliert seinen Platz am Tisch. Europa muss sich entscheiden: Will es ein Bündnis freier Nationen bleiben – oder ein digitaler Beamtenstaat, der Dissens fürchtet wie andere einst das freie Wort?
Denn was hier auf dem Spiel steht, ist mehr als ein politisches Missverständnis. Es ist das Fundament der westlichen Idee. Wenn ausgerechnet Europa, aus dem einst die Aufklärung kam, heute mit digitalen Maulkörben, behördlichem Betroffenheitspathos und einer perfiden Kultur des „Wir löschen ja nur, was gefährlich ist“ agiert, dann ist es kein Wunder, dass die USA auf Distanz gehen. Washington hat verstanden, was viele in Berlin und Brüssel nicht wahrhaben wollen: Zensur ist kein Betriebsunfall – sie ist das System. Und dieses System hat nun einen Gegner.