
Auf einer Sicherheitskonferenz in Singapur warnte der US-Verteidigungsminister Pete Hegseth, die Aussicht auf einen chinesischen Angriff auf Taiwan sei „real“ und eine Invasion könne „unmittelbar bevorstehen“. Er deutete auch an, dass jeder Angriff zu einem Krieg mit den USA führen würde. Der jährlich stattfindende Shangri-La-Dialog ist das führende Forum für Sicherheitsfragen im indopazifischen Raum. Die Rede von Pentagon-Chef am Wochenende beim Shangri-La-Dialog war die bislang deutlichste Erklärung der Haltung der US-Regierung zum Asien-Konflikt. Es sei bekannt, dass Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping seinem Militär befohlen habe, „bis 2027 dazu in der Lage zu sein, in Taiwan einzumarschieren“, so der Pentagon-Chef. Chinas Armee trainiere dafür „jeden Tag“ und probe den Ernstfall. Den südostasiatischen Ländern versicherte der Minister, dass die USA den indo-pazifischen Raum als seine „strategische Priorität“ erachteten und dort auch in Zukunft engagiert bleiben wollten. „Wir lassen uns aus dieser kritischen Region nicht verdrängen, und wir werden nicht zulassen, dass unsere Verbündeten und Partner unterworfen und eingeschüchtert werden“, fügte Hegseth hinzu. Eine Invasion Taiwans hätte „verheerende Folgen für den Indopazifik und die Welt“.
Seit 2019 war Peking jedes Jahr auf der Ebene des Verteidigungsministers bei der wichtigsten Sicherheitskonferenz Asiens vertreten, die von der britischen Denkfabrik International Institute for Strategic Studies (IISS) veranstaltet wird. Chinas Verteidigungsminister Dong Jun blieb der diesjährigen Konferenz jedoch fern.
Hegseths harte Worte scheinen darauf abzuzielen, China abzuschrecken und die Verbündeten im Pazifik zu besänftigen, die sich über Präsident Donald Trumps „America First“-Außenpolitik Sorgen machen. Dennoch wirft dies zwei Fragen auf. Erstens stellt sich die Frage, ob seine Einschätzung der chinesischen Absichten für einen bevorstehenden Überfall auf Taiwan korrekt ist. Zweitens ist zu fragen, ob seine harten Worte und seine Bemühungen, US-Verbündete in Asien zu mobilisieren, angesichts des unberechenbaren Verhaltens und der „America first”-Strategie der Trump-Regierung glaubwürdig sind.
Tatsächlich liegt ein Nebel der Ungewissheit über einer möglichen Invasion Taiwans. Im vergangenen Jahr spielten US-Beamte die Bedeutung des Jahres 2027 als Zieldatum für die chinesische Regierung herunter und deuteten an, die Gefahr einer Invasion sei gebannt. Sie verwiesen dabei auf Chinas Mangel an Landungsfahrzeugen sowie auf wiederholte Säuberungen zur Korruptionsbekämpfung in den oberen Rängen der Volksbefreiungsarmee (PLA), die darauf schließen lassen, dass Chinas Präsident Xi Jinping seinen Kommandeuren nicht vertraut. Aus Militärkreisen im Westen hieß es, es gebe keine Geheimdienstinformationen, die auf einen bevorstehenden Angriff auf Taiwan hindeuten. Allerdings wiesen sie darauf hin, dass die chinesischen Kriegsmanöver so groß und häufig geworden seien, dass jederzeit ein begrenzter Angriff stattfinden könne, etwa die Einnahme vorgelagerter Inseln oder eine Blockade.
Bemerkenswert ist der dringende Aufruf, der Bedrohung durch China entgegenzutreten – und das ausgerechnet von einer US-Regierung, die wiederholt erklärt hat, in einer von Konflikten zerrissenen Welt Frieden anzustreben. Trump warf Taiwan vor, die US-Chipindustrie zu „stehlen”. Selbst Elbridge Colby, ein „unerschütterlicher Verteidiger Taiwans” und Staatssekretär im Verteidigungsministerium für Politik, scheint sich dem Isolationismus zuzuwenden. Er erklärte vor Kurzem, eine Invasion Taiwans wäre keine „existenzielle” Bedrohung für die USA. Nachdem Trump zu Beginn des Jahres Zölle in Höhe von 145 Prozent auf China verhängt hatte, machte er einige Wochen später einen Rückzieher.
Der jüngste Zollstreit hat bereits gezeigt, dass Trump im Falle einer Invasion Taiwans keine drastischen wirtschaftlichen Maßnahmen gegen China verhängen würde. Dieses Konzept ist gescheitert, da Trump im Mai schnell von seiner Zollpolitik gegenüber China zurückruderte, nachdem er Zölle in Höhe von 145 Prozent verhängt hatte. Insofern bleibt unklar, ob Trump im Pazifik-Konflikt den China-Falken in seinem Kabinett folgen würde.
Der US-Minister beanspruchte auf Konferenz für die Trump-Regierung, die Europäer erfolgreich dazu gedrängt zu haben, mehr Verantwortung für ihre eigene Sicherheit zu übernehmen und in ihre Verteidigung zu investieren. „Es ist schwer zu glauben, dass ich das sagen kann, aber die asiatischen Verbündeten und Partner sollten sich die Länder in Europa als neues Vorbild nehmen“, sagte Hegseth. „Die NATO-Mitglieder verpflichten sich, fünf Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben – sogar Deutschland“, sagte der US-Verteidigungsminister weiter während des Shangri-La-Dialogs.
Die Europäer, die seit einiger Zeit ebenfalls mehr Präsenz im Indopazifik gezeigt haben, sollten sich Hegseth zufolge zukünftig auf die eigene Sicherheit konzentrieren. Unter den asiatischen Partnern wird auch aufgrund solcher Äußerungen die Frage aufgeworfen, ob Europa angesichts der Bedrohung vor der eigenen Haustür weiter im Indopazifik Präsenz zeigen könne. Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas verwies darauf, dass die Sicherheit Europas und Asiens „sehr eng miteinander verflochten“ sei. So kämpften nordkoreanische Truppen für Russland, „Moskaus Kriegsmaschinerie“ werde von China unterstützt.
Die US-Regierung vertritt die Auffassung, dass Europäer im Pazifik nichts zu suchen haben. Hegseth wies bei seiner Rede darauf hin, dass sich Europa aus dem Indopazifik heraushalten sollte – insbesondere aus den dortigen Marinepatrouillen mit britischen, französischen und italienischen Flugzeugträgern. „Wir glauben, dass das N in NATO für Nordatlantik steht und unsere europäischen Verbündeten ihren komparativen Vorteil auf dem Kontinent maximieren sollten.“ Financial Times berichtete im Mai, das Pentagon habe den Briten klargemacht, dass es die gegenwärtige Mission des Flugzeugträgers „Prince of Wales“ im Indopazifik für wenig sinnvoll hält.
Auf der Konferenz wurden die Differenzen zwischen der EU und den USA in Pazifikfragen offen ausgetragen. Der französische Präsident Macron bezeichnete auf der Konferenz die Rivalität zwischen den USA und China als „die größte Gefahr für die Welt“.
Macron forderte eine „Aktionskoalition“ zwischen europäischen und asiatischen Ländern, um den freien Handel zu fördern und die globale Ordnung zu stützen: „Gemeinsam müssen wir dafür sorgen, dass unsere Länder nicht zu den Leidtragenden der Ungleichgewichte werden, die durch die Entscheidungen der Supermächte verursacht werden.“ Sein Ansatz widersprach somit der Strategie der Trump-Regierung, die sich einen Fokus der Europäer auf ihrem eigenen Kontinent in Sicherheitsfragen wünscht. Dies ist allerdings eine Kehrtwende gegenüber der Biden-Regierung, welche das Engagement seiner europäischen Alliierten im Indopazifik befürwortete. In einem regionalen Krieg in Asien, räumte zugleich Macron in seiner Rede ein, würde Europa kaum militärische Hilfe leisten.
Macron erteilte dem Versuch der Trump-Regierung, eine breite Allianz gegen China zu schmieden, zudem eine Absage. Frankreich sei ein Freund und Verbündeter der USA. „Und mit China arbeiten wir zusammen, auch wenn wir manchmal uneinig sind.“ Damit schwebte Macron ein Europa vor, das sich als Alternative zu den beiden Weltmächten China und den USA profiliert. Der Balanceakt zwischen den beiden Großmächten, der Versuch, sowohl die USA als auch China auf Abstand zu halten, heißt in Macrons Worten „strategische Autonomie“ für Europa.
Macron versuchte, seine asiatischen Zuhörer davon zu überzeugen, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine auch für die Sicherheit Asiens von Bedeutung ist: „Wenn wir zulassen, dass sich Russland einen Teil der Ukraine aneignet, ohne dafür Konsequenzen tragen zu müssen, was könnte dann in Taiwan geschehen?” Mit Ausnahme der Philippinen und Singapurs unterhalten heute alle südostasiatischen Staaten gute Beziehungen zu Moskau. Die Asiaten betrachten den Ukraine-Krieg im Grunde als einen regionalen Konflikt, der kaum mit der Lage in Asien zu tun hat. Macrons Auftritt in Singapur stand im totalen Kontrast zur Sichtweise der US-Regierung bei Konfliktfragen auf der Weltbühne. Während die USA Europa zu einem regionalen Akteur herabgestuft sehen, der sich auf Sicherheitsfragen seines Kontinents beschränken und sich aus dem globalen Wettlauf der Weltmächte China und USA heraushalten sollte, betrachtet Macron als EU-Vertreter die EU als wichtigen Faktor bei der Bewältigung globaler Konflikte.