USA vor Paradigmenwechsel: „The One Big Beautiful Bill“

vor 15 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Ein Bekenntnis vorweg: Ich bin ein traditionsbewusster Mensch und schätze die professionelle Langeweile, wenn es um politische Fragen geht. Ich habe mich immer daran gestört, wenn Politiker nach getaner Arbeit ihrer Freude kindlichen Ausdruck verleihen und neuen Gesetzen Namen geben wie: “Gute-KITA-Gesetz“ oder wie im Falle des nicht minder famosen “Gute-Arbeitsschutz-Gesetzes“. Dieser Infantilismus entzieht sich beinahe schon dem Bereich zynischer Paraphrasierung. Es vermittelt das Gefühl, sich über Kinder lustig zu machen.

Zurück bleiben ein übler Nachgeschmack und die resignierte Frage nach der Verwendung unserer Steuergelder. Es ist allerdings wiederum unnötig zur guten preußischen Tradition phonetisch-ästhetischer Schlachtfeste zurückzukehren.

Gesetzesnamen wie ‚Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz‘ oder die illustre (und wohl niemals zitierte) “Grundstücksverkehrsgenehmigungszuständigkeitsübertragungsverordnung“ gewähren einen flüchtigen Blick in den tiefen Brunnen deutschen Bürokratismus.

Vielleicht findet sich ja eine pragmatische Lösung darin, Gesetze schlicht und einfach zu nummerieren und ihnen auf diese Weise wenigstens eine arithmetische Würde zurückzugeben, wenn schon der Inhalt zahlreicher gesetzgeberischer Fehlleistungen im Ergebnis nichts anderes hervorbringt, als dem mündigen Bürger durch Regulierungen und invasive Dreistigkeit die Rote Karte zu zeigen.

Dass nun ausgerechnet Donald Trump mit seinem großangelegten Steuerpaket dem kindlichen Politikeridiom verfällt, ist zwar nicht neu, wirkt aber dennoch an dieser Stelle angesichts der Bedeutung des Projekts zumindest eigentümlich. Frei ins Deutsche übersetzt, würde man das Gesetzeswerk wahrscheinlich als „das eine, große, wunderschöne Gesetz“ (The One Big, Beautiful Bill) bezeichnen – man fühlt sich unwillkürlich auf ein Elba schriller Politiker-Kakophonie exiliert.

Das klingt nicht mehr nach MAGA, sondern eher nach einem Treffen der Arbeitsgruppe Ökologie und Wirtschaft am Rande eines Parteitags der Grünen. Es ist einem dabei nach Trampolinspringen mit der ehemaligen Bundesaußenministerin zumute.

Dennoch bin ich bereit, dem US-Präsidenten zu verzeihen, dass er mich in diese Waschmaschine schlechter Gefühle versetzt hat. Denn auf das Schleudertrauma folgt eine erste Einsicht: Hinter dem burlesken Sound des Gesetzesnamens verbirgt sich ein Paradigmenwechsel. Möglicherweise erleben wir eine fundamentale Neujustierung der Machtverhältnisse zwischen Staat und Bürger. In den USA, versteht sich. In Europa herrscht weiterhin der Geist des Brüsseler Neo-Feudalismus, keine Bange!

Die geplanten Steuersenkungen, vor allem die Reduktion der Unternehmenssteuer auf 15 Prozent und der Ausstieg aus dem Mindeststeuerabkommen sollte Freiheitsfreunden diebische Freude bereiten. Beide Maßnahmen üben angesichts der wachsenden Kapitalflucht massiven Druck auf die Etatisten in Brüssel, Berlin und Paris aus. Zudem gilt noch immer die eiserne Regel: Jede Steuersenkung ist eine gute Steuersenkung! Dessen eingedenk, ist es der richtige Weg, dem fiskalischen Raubzug eine Grenze zu setzen und flankierend Ausgabenkürzungen zu beschließen, um den Weg in eine Gesellschaft souveräner und unabhängiger Bürger zu ebnen.

Vieles steht in diesen Tagen für Trump auf dem Spiel, da das Gesetz vor den abschließenden Verhandlungen des Kongresses noch in der Schwebe hängt. Bereits während der Abstimmungen im Repräsentantenhaus votierten einige Republikaner gegen die Reform. Sie ahnen, dass sich im Schatten der Steuerentlastung Ungemach für politische Erbhöfe, die Finanzierung von NGOs und anderen Vorfeldorganisationen des Parteiensystems ankündigt. Es wird der Regierung leicht fallen, die nächste Haushaltskrise medial zu ihren Gunsten zu nutzen, nachdem sie den Steuerzahler auf ihre Seite gebracht hat, um massive Budgetkürzungen zu exekutieren. Das Effizienzteam von DOGE (Department of Government Efficiency) hat die morschen Stellen des Baums identifiziert, bei nächster Gelegenheit wird er gefällt!

Trumps Steuergesetz ist ein umfassendes Paket, das zahlreiche Abgaben senken und Regulierungen eliminieren wird. Es ist der Versuch, eine neue Anreizstruktur in Gesetzesform zu gießen. Leistung soll sich wieder lohnen, dem invasiven Staatsapparat eine klar sichtbare Grenze gesetzt werden. Motivation, unternehmerischer Mut und Kreativität sollen Früchte tragen, ohne dass hinter der Bürotür oder am Werksausgang bereits der Steuereintreiber lauert. Trump will der ewigen Wegelagerei des gefräßigen Hyperstaats ein Ende setzen. Zudem sollen die Steuersenkungen aus Trumps erster Präsidentschaft bestätigt und der Kinderfreibetrag deutlich angehoben werden.

Dass auch die Freibeträge im Bereich der Erbschafts- und Schenkungssteuer steigen werden, ist ein wichtiger Hinweis für die Freunde der Freiheit: Staaten, die mehrfach besteuertes Privatvermögen ihrer Bürger im Falle der Übertragung antasten, handeln unethisch und beschädigen das intergenerative Band, das Familien zu stabilen Immunsphären souveräner Bürger zusammenschweißt. Kapitalbildung muss sich im privaten, familalen Umfeld vollziehen, wenn sie sich in Prosperität und soziale Wohltaten übersetzen soll.

In den USA scheint man sich dieser Weisheit zu erinnern. Bis zu seiner großen Wende im Jahr 1913 vertrauten die Amerikaner ihrem Freiheitsinstinkt. Sie hielten den Staat und seine Organe in Schach (Verbot der Besteuerung des Einkommens) und bewahrten sich die sakrosankte Sphäre des Privaten. Präsident Woodrow Wilson brachte die Wende. Er nutzte die Nachwehen der Finanzpanik des Jahres 1907, etablierte im schicksalsträchtigen Jahr 1913 eine progressive Einkommensteuer und legte das Fundament für die 20 Jahre später unter Roosevelt vollendete Sozialreform. Es war auch das Jahr der Gründung der Federal Reserve. Kurz gesagt: die Europäisierung der Vereinigten Staaten nahm Form an.

Die fiskalische Konvergenz diesseits und jenseits des Atlantiks lässt sich in Zahlen ermessen: Sowohl die Staatsquote der USA, die bei etwa 38 Prozent des Bruttoinlandsprodukts angelangt ist, als auch die Abgabenquote eines Durchschnittsverdieners von 30 Prozent nähern sich europäischen Standards. Im Bereich der Staatsverschuldung ist die Europäisierung bereits vollzogen: Fiskalisch bilden die französische Riviera und das kalifornische Big Sur eine harmonische Küstenlinie, vor der sich ein Schulden-Tsunami zusammenzieht.

Trumps Beautiful Bill ist keine trockene Anpassung des Steuerrechts, bei der die Politik an einigen kleinen Stellschräubchen dreht, ohne dabei Substantielles zu verändern und die fiskalische Basis des Staates von Einschnitten auszusparen. Mit dem Gesetzespaket stemmt sich Trump gegen die schleichende Europäisierung seines Landes – gegen die Ausweitung des NGO-Einflusses, die Machtzunahme staatlicher Behörden und den interventionistischen Geist des Green Deals. Trumps spannungsgeladene Haltung gegenüber der Europäischen Union wird nachvollziehbar, wenn man den grundlegenden Gegensatz begreift: zwischen dem europäischen Zentralismus auf der einen Seite und dem in den USA wieder erstarkenden Geist freier Märkte, eines schlanken Staates und individueller Eigenverantwortung auf der anderen.

Ignorieren wir an dieser Stelle die bizarre Namensgebung des Gesetzespakets und versuchen, seinen Impakt in einem weiteren Kontext zu verstehen. Gelingt es der US-Regierung, das Gesetz, in seinem Wesen unverwässert, in den kommenden Wochen auch über die letzte Hürde des Kongresses zu hieven, initiierte sie eine Schubumkehr im Triebwerk des seit Jahrzehnten in gefährliche Höhen aufsteigenden Staatsapparats. Mit einem Schlag erhielte der private Sektor Zugriff auf zwei Prozent, oder 500 Milliarden US-Dollar, des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts.

Amalgamieren sich Teile dieser vom Bürokratismus freigesetzten ökonomischen Energie mit dem wachsenden Zustrom ausländischen Kapitals, wird sich Trumps Steuersenkung in der noch immer relativ offenen und äußerst wettbewerbsintensiven US-Ökonomie in einen Investitionsboom übersetzen. Zentralplanern, EU-Politikern und Interventionisten vom Schlag eines Friedrich Merz sind Überlegungen dieser Art suspekt. Ihr ökonomisches Weltbild ist durchdrungen von einem Staatspaternalismus, der Adam Smiths „Invisible Hand“ als zivilisatorischen Fehlgriff auslegt und im regulierenden Hyperstaat den gesellschaftlichen Gipfel vermutet.

Trump stellt dem europäischen Vulgär-Hegelianismus eine Art Straßen-Hayekianismus entgegen. Dass er dabei in den Slang rot-grüner Infantil-Hegelianer verfällt, kann nicht von der Bedeutung dieser These und ihrer ökonomischen Implikationen ablenken.

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