
Die Statue entstand im 1. Jahrhundert vor Christus, das Original steht in den Uffizien in Florenz: die „Venus Medici“. Im 18. Jahrhundert wurde aus Bronze eine Kopie geschaffen. Sie steht in Berlin. Man muss besser sagen, sie stand. Denn seit einigen Monaten ist die Skulptur aus dem Amtsgebäude des Bundesamtes für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen in Berlin-Weißensee verschwunden, wie die BZ aufdeckte.
Der Grund ist eine Mischung jakobinischer Prüderie und katastrophaler Kunstmissachtung. Die Gleichstellungsbeauftragte des Bundesamtes für Zentrale Dienste beschwerte sich und das Kunstwerk wurde entfernt. Eine Sprecherin: „Es gab Hinweise, dass die Venus Medici als sexistisch empfunden wird und sich deshalb Handlungsbedarf ergeben könnte“.
Mehr als zehn Jahre schmückte die historische Skulptur den Eingangsbereich des Bundesamtes im Norden Berlins. So ein prachtvolles Kunstwerk – jedes Amtsgebäude der Welt wäre stolz gewesen. Berlin versteckte es.
Eine Jahrhunderte alte Skulptur, geschaffen in einer völlig anderen Zeit, wird plötzlich zur Zielscheibe moderner Empörung? Mein gesunder Menschenverstand hat nur eine Erklärung: Die Prüdioten sind los. Die originale Statue „Venus Medici“ steht in Florenz und wird das ganze Jahr bewundert. Denn dieses Kunstwerk gehört zum Typus der sogenannten Venus pudica, der schamhaften Venus. Es ist also das Gegenteil von sexistisch.
Die Bronzekopie der Venus Medici aus den Uffizien in Florenz steht während der Jahrespressekonferenz im Grassi Museum neben Direktor Olaf Thormann
Nachdem die „Venus Medici“ aus dem Bundesamt verbannt wurde, gab die Kunstverwaltung des Bundes die Bronze als Leihgabe an das Grassi-Museum in Leipzig. Museumsdirektor Dr. Olaf Thormann: „Der Bronzeguss aus dem 18. Jahrhundert bereichert hervorragend unsere Dauerausstellung.“ Fassungslos macht ihn allerdings der Sexismus-Vorwurf gegen das Kunstwerk. „Den weiblichen Akt gibt es – genauso wie den männlichen – seit Anbeginn der Kunstgeschichte. Daraus Sexismus zu konstruieren, verfehlt die gesamte Kunstgeschichte, und ich möchte sagten, sogar den Blick auf etwas zutiefst Menschliches.“
Die Skulptur hat neben künstlerischer Bedeutung auch eine besondere Geschichte. Für einige Jahre war sie im Besitz von Hermann Göring. Der stellte die „Venus Medici“ in seinem Landsitz Carinhall in der brandenburgischen Schorfheide auf. Zu Kriegsende versenkten unbekannte Nazis die Bronzen und andere Statuen im Groß Döllner See. Im Juli 1990 wurde die Venus von Polizeitauchern geborgen und 2012 in Berlin restauriert. Seitdem stand sie im Foyer des Bundesamtes für offene Vermögensfragen – bis sie der Gleichstellungsbeauftragten missfiel.
Was für eine Geschichte – und wie prüde muss man sein, um auf einen solchen Schatz zu verzichten. Man kann nur mit dem Kopf schütteln. Ich freue mich auf meinen nächsten Besuch in Leipzig. Ins Grassi-Museum gehe ich als erstes.