
Vor dem Hintergrund des aktuellen Streits um die von der SPD nominierten Verfassungsrichterinnen Frauke Brosius-Gersdorf und Ann-Katrin Kaufhold gerät die Hinterzimmer-Kungelei zwischen CDU/CSU und SPD immer mehr in die Kritik: Der frühere Bundesverteidigungsminister Rupert Scholz (CDU), Mitherausgeber des bei Beck erscheinenden großen Grundgesetzkommentars, fordert in einem bemerkenswerten Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) ein Vorschlagsrecht auch für die AfD!
Nach Ansicht von Scholz entspricht das bisherige Wahlverfahren nicht mehr den politischen Gegebenheiten. Denn bisher teilen sich die Bundestagsfraktionen von Union und SPD mit jeweils drei Nominierungen das Vorschlagsrecht für die insgesamt 12 Richter in Karlsruhe untereinander auf (die anderen sechs Richter werden vom Bundesrat gewählt). Traditionell hat die SPD ihr Vorschlagsrecht auch schon mal an die „Grünen“ abgetreten, die CDU/CSU ihres an die FDP. AfD und Linke blieben bisher außen vor.
Trotz des Vorschlagsrechts einer Partei muss aber immer die nötige Zweidrittelmehrheit gefunden werden. Das Auswahlverfahren war einigermaßen gerecht, solange Unionsparteien und Sozialdemokraten im Großen und Ganzen annähernd gleich stark bei Bundestagswahlen abschnitten. Seit dem Aufstieg der AfD zur zweitstärksten politischen Kraft ist das nicht mehr der Fall.
Das bisherige Verfahren entspricht nach Ansicht von Rupert Scholz deshalb nicht mehr dem Gleichheits- und Demokratieprinzip. Scholz führt dazu in der FAZ aus: Das gesamte Verfahren bedürfe der Reform, weil andernfalls zu befürchten sei, dass unter Aufrechterhaltung bisheriger Absprachen die Anfechtung der Wahlen erfolge – ganz konkret durch die AfD, sollten Brosius-Gersdorf und Kaufhold doch noch gewählt werden. Außerdem könnten die beiden bisher komplett benachteiligten Parteien – AfD und Linke – auch im Wege des Organstreits vor dem Bundesverfassungsgericht eine grundlegende Änderung erstreiten.
„Gleichheitsgerecht und demokratisch“ wäre nach Ansicht von Staatsrechtler Scholz heute nur ein Verfahren, das etwa wie folgt die Vorschlagsrechte quotiert: „CDU/CSU drei Positionen, AfD zwei Positionen, SPD allenfalls noch zwei Positionen, Grüne und Linke alternierend je eine Position.“ Das bisherige Vorschlagsrecht der FDP, da nicht mehr im Deutschen Bundestag vertreten, würde entfallen.
Scholz resümiert: „Man kann die zweitstärkste Partei im Bundestag, also die AfD, und auch die Linke nicht mehr generell von Vorschlägen für das Bundesverfassungsgericht ausschließen.“
Eine andere, radikalere Lösung wäre dem früheren CDU-Politiker zufolge, dass man auf entsprechende Quotierungen überhaupt verzichtet, dass also künftig jeder Kandidat direkt im Bundestag zur Wahl gestellt wird – gleichgültig von welcher Partei er bzw. sie vorgeschlagen wurde.
Scholz: „Dies bedeutet in der Konsequenz, dass für jede frei werdende Richterstelle alle Parteien eigene Kandidaten aufstellen können. Gewählt ist dann eben derjenige, der die nötige Zweidrittelmehrheit erlangt.“