
Der Bundestag wählt an diesem Dienstag voraussichtlich Friedrich Merz zum zehnten Kanzler der Bundesrepublik. Dann endet gesichert auch die Amtszeit von Nancy Faeser (SPD) als Innenministerin. Diesen Job übernimmt Alexander Dobrindt (CSU). An ihrem vorletzten Arbeitstag verkündet Faeser indes noch einen Hammer: Der Verfassungsschutz stuft die zweitstärkste Partei im Bundestag, die Alternative für Deutschland (AfD), als gesichert rechtsextremistisch ein.
„Das Amt arbeitet eigenständig“, sagt Nancy Faeser in einem Pressestatement, ohne gefragt worden zu sein. Das Amt entscheide auf Grundlage eines 1100 Seiten starken Gutachtens. An dem habe es „keinerlei Änderungen durch das Innenministerium gegeben“, sagt Faeser, ohne gefragt worden zu sein. Nur ist das Amt halt dem Ministerium und damit noch der Sozialdemokratin gegenüber weisungsgebunden, was sie nicht sagt – aber stimmt.
Faeser begründet die Entscheidung, auf die sie keinerlei Einfluss genommen haben will, mit „Bestrebungen gegen die freiheitliche Grundordnung“, welche es in und durch die AfD gebe. Diese verfolge einen „völkischen Begriff“ und äußere sich gegen Zuwanderer und Muslime. Damit verteidigt Faeser die Entscheidung, auf die sie keinerlei Einfluss genommen haben will. „Das Amt arbeitet selbstständig.“
Der Inlandsgeheimdienst kommt zu dem Schluss: „Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar.“ Es ziele darauf ab, “bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen, sie einer nicht verfassungskonformen Ungleichbehandlung auszusetzen und ihnen damit einen rechtlich abgewerteten Status zuzuweisen“. So weigere sich die Partei, eingebürgerte Muslime mit der deutschen Bevölkerung gleichzusetzen. Die AfD schüre damit „irrationale Ängste und Ablehnung“ der betroffenen Personen. „Insbesondere die fortlaufende Agitation gegen Geflüchtete beziehungsweise Migrantinnen und Migranten befördert die Verbreitung und Vertiefung von Vorurteilen, Ressentiments und Ängsten gegenüber diesem Personenkreis“, so der Inlandsgeheimdienst wörtlich.
Damit wirft der Inlandsgeheimdienst viele Fragen auf. Etwa wenn die Geheimpolizei der AfD vorhält, diesen muslimischen Einwanderern eine „ethnokulturell bedingte Neigung zu Gewalt“ zu unterstellen. Nun kommen aber die Kriminalitätsstatistiken der letzten Jahre alle zu dem Ergebnis, dass Einwanderer aus islamisch geprägten Ländern in den Gewaltstatistiken überrepräsentiert sind. Stehen jetzt die Statistiken auch nicht mehr auf dem Boden der Verfassung? Oder nur die, die auf die falschen Stellen in der Statistik achten?
Die Interpretation des Gutachtens bleibt ein Privileg des Innenministeriums und des Verfassungsschutzes. Das Papier, aufgrund dessen die nach Umfragen stärkste deutsche Partei staatlich verfolgt wird, ist eine Geheimsache. Nicht einmal die Abgeordneten um den ehemaligen Ost-Beauftragten der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), durften es einsehen, als sie über den Winter ein Verbotsverfahren gegen die AfD auf den Weg bringen wollten.
Mit der Einschätzung als rechtsextremistische Partei ist ein Verbotsverfahren wahrscheinlicher geworden. So hat die Vorsitzende der Linken-Fraktion im Bundestag, Heidi Reichinnek, bereits angekündigt, „alles dafür tun“ zu wollen, dass dieses Verfahren kommt. Der scheidende Kanzler Olaf Scholz (SPD) warnte indes davor, ein solches Verfahren jetzt „übers Knie“ zu brechen. Das Gutachten habe bereits am Montag vorgelegen, sagt indes Faeser. Sie habe dessen Ergebnis mit Scholz, Merz, Dobrindt und SPD-Chef Lars Klingbeil besprochen.
Die jeweiligen Landesämter des Inlandgeheimdienstes haben die AfD bereits in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt als rechtsextremistisch eingestuft. Auf den Wähler hat dies indes wenig Eindruck gemacht. In Thüringen etwa wurde die AfD bei der Landtagswahl im September die mit Abstand stärkste Partei. Auch wenn Scholz, Faeser und Co nun betonen, die AfD über den politischen Weg bekämpfen zu wollen, so sind sie doch offensichtlich davon überzeugt, dass der rechtliche Weg aussichtsreicher ist.
Für den Kampf gegen die AfD über den juristischen und machtpolitischen Weg steht vor allem Faeser. Sie selbst hat bei Maischberger offen davon gesprochen, aus ihrer Sicht Unzuverlässige aus dem öffentlichen Dienst entfernen zu wollen. Etwa durch die Beweislastumkehr. Die Dienststelle muss dann nicht mehr nachweisen, dass ein Mitarbeiter demokratisch unzuverlässig ist – sondern der selber muss beweisen, nichts Verbotenes getan zu haben. Ebenfalls bei Maischberger betonte Faeser, dass sie die Anschlussfähigkeit für rechtsextremes Gedankengut schon in der Mitte der Gesellschaft wahrnehme.
Faeser ist ab Dienstag keine Innenministerin mehr. Das bedeutet aber noch nicht, dass ihre politische Karriere zu Ende ist. Die SPD erhält das Justizministerium. Faeser ist Rechtsanwältin, besitzt das richtige Geschlecht, um die Geschlechterquote der Partei zu erfüllen und vertritt den in der Partei starken Landesverband Hessen. Durchaus denkbar, dass Klingbeil sie am oder bis Montag als die neue Justizministerin aus dem Hut zaubert.