
„Verfassungsschutzämter in Bund und Ländern haben sich zum blinden Fleck der Demokratie entwickelt“. Diese Äußerung ist nicht etwa wenige Tage alt und stammt auch nicht – wie man vermuten könnte – aus dem Munde der AfD-Vorsitzenden Alice Weidel oder Tino Chrupalla. Vielmehr äußerte sich mit diesen Worten im Juli 2012 die damalige Grünen-Chefin Claudia Roth über das Bundesamt für Verfassungsschutz und brachte damit dessen Abschaffung ins Spiel.
Ebenso wie die Ablehnung der Kernkraft war auch die Ablehnung der deutschen Geheimdienste von Beginn an fester Bestandteil grüner und linksalternativer Weltanschauungen. 1998 hat die Forderung nach der Abschaffung aller Dienste – BfV, BND und MAD – sogar in Eingang in das Bundestagswahlprogramm der Grünen gefunden. Und auch Anfang der 2010er Jahre wurden im Kontext der NSU-Affäre regelmäßig ähnliche Forderungen laut: 2012 plädierte Jürgen Trittin für die Auflösung des Verfassungsschutzes.
Mit bestehendem Personal und Institutionen sei „ein demokratisch gesteuerter Inlandsgeheimdienst, den wir brauchen, nicht möglich“. Es habe eine Vertuschungsmentalität Einzug gehalten, „die geradezu genetisch in den Code dieser Behörden eingeschrieben ist“. Ein Jahr später erneuerte Trittin, damals Vorsitzender der Bundestagsfraktion der Grünen, seine Forderung, den Verfassungsschutz aufzulösen: „Wir brauchen einen Geheimdienst, aber keinen Verfassungsschutz, der bei der Bekämpfung der NSU versagt hat. Dieser Verfassungsschutz gehört aufgelöst, der ist nicht mehr zu reformieren“, sagte Trittin damals unter großem Beifall vor der grünen Landesdelegiertenversammlung in Niedersachsen.
Dass sich an der grundsätzlichen Skepsis gegenüber dem Verfassungsschutz bei den Grünen selbst bis vor wenigen Jahren nichts geändert hat, belegen auch Äußerungen aus jüngerer Zeit. Robert Habeck verlangte als Bundesvorsitzender der Partei etwa noch 2019, dass der Verfassungsschutz komplett neu aufgestellt werden muss.
Unmissverständlich deutlich wurde die unverändert ablehnende Haltung gegenüber dem Verfassungsschutz auch im Mai 2020, als dessen Berliner Landesamt die vermeintlichen „Klimaaktivisten“ von „Ende Gelände“ als linksextremistisch eingestuft hat. Werner Graf, damals Vorsitzender der Grünen in Berlin, erklärte: „Blockaden für den Kohleausstieg sind radikale Protestaktionen, aber keine Gefahr für die Verfassung.“
Wer für den Kohleausstieg kämpfe, so Graf, rette die Erde. Der Verfassungsschutz solle sich lieber auf Proteste gegen Corona-Maßnahmen konzentrieren, wo der „Mob aus Reichsbürgern und Querfrontlern“ derzeit „bedrohliche Ausmaße“ annehme. „Dass der Verfassungsschutz trotzdem penibelst darauf bedacht ist, die Gefahr von links und rechts als gleich darzustellen, stellt seine Existenz immer mehr infrage“, urteilte Graf.
Neben den Grünen war auch die Linke in der Vergangenheit stets ein scharfer Kritiker des Verfassungsschutzes. Schließlich war die Nachfolgepartei der DDR-Staatspartei SED bis 2014 selbst noch Beobachtungsobjekt des Inlandsgeheimdienstes – erst unter ihrem damaligen Präsidenten Hans-Georg Maaßen beendete die Behörde die Beobachtung der Partei.
Die Einstufung von „Ende Gelände“ wurde von Niklas Schrader, damals innenpolitischer Sprecher der Linken im Berliner Abgeordnetenhaus, denn auch als „absurd“ und „geeignet zur Diskreditierung und Kriminalisierung der Klimaschutzbewegung“ bezeichnet. Über seinen Twitter-Kanal rief er die Anhänger von „Ende Gelände“ auf, sich „nicht beirren“ zu lassen. „Lasst euch nicht davon abhalten, auch die Frage nach der Wirtschaftsordnung zu stellen“, schrieb er und fügte an: „VS abschaffen!“ Ähnlich offensiv meldeten sich damals auch die Jugendorganisationen von SPD, Grünen und Linken zu Wort.
In einer gemeinsamen Stellungnahme forderten Jusos, Grüne Jugend und die Linksjugend solid die Abschaffung des Verfassungsschutzes: „Wer rechten Terror und den Einsatz für Klimagerechtigkeit als zwei ‚Extreme‘ einer ansonsten vorbildlich gesinnten Mitte gleichsetzt, kann nicht in der Lage sein, faschistische Tendenzen angemessen zu bekämpfen“, heißt es darin.
Zunächst müsse der Verfassungsschutzbericht „umgehend korrigiert werden“ und die Einstufung von „Ende Gelände“ als „linksextremistisch“ gestrichen werden. Schließlich solle der Inlandsgeheimdienst insgesamt seine Arbeit einstellen. Das gemeinsame Positionspapier schließt mit dem Satz: „Der Verfassungsschutz ist nicht in der Lage, die notwendige Arbeit im Kampf gegen rechte Terrorzellen aufzunehmen. Er muss abgeschafft werden.“ Die ehemalige Bundessprecherin der Grünen Jugend, Anna Peters, legte zudem Wert darauf, explizit zu betonen, dass es dabei, nicht nur um das Berliner Landesamt, sondern um das Bundesamt für Verfassungsschutz insgesamt gehe.
Auch heute noch scheint sich bei Grünen und Linken oberflächlich wenig bis nichts an dieser Position geändert zu haben. Bei den Grünen ist die Abschaffung des Verfassungsschutzes zwar nicht mehr im Bundesparteiprogramm festgeschrieben, trotzdem bekennen sich einige Landesverbände nach wie vor dazu. Im Februar 2021 hat sich etwa Madeleine Henfling, Innenpolitikerin der Thüringer Grünen, im Zusammenhang mit einer von der FDP vorgeschlagenen Stärkung und Übertragung weiterer Aufgaben an die Behörde für eine Auflösung des Verfassungsschutzes ausgesprochen. „Fernziel ist die Abschaffung des Verfassungsschutzes – nicht nur in Thüringen, auch bundesweit“, sagte Henfling damals im thüringischen Landtag. Der Innenpolitiker der Linken, Steffen Dittes, unterstrich diese Forderung: „Den Weg in Richtung Überwachungsstaat lehnt die Linke ab“.
Selbst im Wahlprogramm der Grünen zur Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 2023 heißt es noch: Der Verfassungsschutz „hat sich in Bund und Ländern nicht als Teil der Lösung, sondern als Teil des Problems erwiesen. Um eine Alternative für diesen Verfassungsschutz zu schaffen, wollen wir den Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form mittelfristig abschaffen. (…) Zusätzliche Befugnisse oder Mittel für den Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form lehnen wir ab.“
Vielsagend und verräterisch ist hierbei die Formulierung, dass man den Inlandsgeheimdienst lediglich „in seiner jetzigen Form“ ablehne und damit logisch impliziert, gegen einen umgebauten und neu – gegen rechts – ausgerichteten Verfassungsschutz nichts einzuwenden zu haben. Ganz ähnlich sieht es mittlerweile auch die Linke. In ihrem Wahlprogramm zur diesjährigen Bundestagswahl heißt es diesbezüglich: „Wir wollen den Verfassungsschutz durch eine unabhängige Beobachtungsstelle zu „Autoritarismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ ersetzen. Als erster Schritt muss das V-Leute-System des Inlandsgeheimdienstes mit seinen Verstrickungen mit der extremen Rechten aufgedeckt und beendet werden.“
Beispielhaft für den sukzessiven Wandel im Verhältnis zum Verfassungsschutz steht Bodo Ramelow. Denn anders als in den eigenen Parteiprogrammen versprochen, hat der erste linke Ministerpräsident eines deutschen Bundeslandes während seiner mittlerweile der Vergangenheit angehörenden Amtsperiode nichts dafür unternommen, den thüringischen Verfassungsschutz abzuschaffen. Stattdessen berief er mit Stephan Kramer einen neuen Präsidenten an dessen Spitze, der zuvor bei der linken Amadeu-Antonio-Stiftung tätig war und die Behörde unter seiner Regie nicht zuletzt mit Intrigen gegen kritische Mitarbeiter und manipulierten Gutachaten als Sturmgeschütz gegen die AfD in Stellung brachte (Apollo News berichtete).
Helmut Schmidt sagte einmal: „In der Krise beweist sich der Charakter“. Ähnlich verhält es sich auch mit der Macht. In der Opposition lassen sich problemlos edle Ziele und hehre Forderungen proklamieren. Doch erst an der Macht zeigt sich, was das eigene Gerede vorher tatsächlich wert war – erst dann zeigt sich der wahre Charakter. In Thüringen hat sich unter Bodo Ramelow zum ersten Mal gezeigt, wie ernst es der politischen Linken mit ihren Forderungen zur Auflösung des Verfassungsschutzes war: Augenscheinlich überhaupt nicht.
In Wahrheit handelte es sich bei der jahrzehntelangen Mobilmachung der politischen Linken gegen den Verfassungsschutz nicht um eine allgemeine Fundamentalkritik am Inlandsgeheimdienst als solchen – den es in dieser speziellen Form nur in Deutschland gibt –, sondern lediglich um eine partikulare, durch die eigene Kriminalisierung und vermeintlich einseitige Ausrichtung der Behörde begründete, Kritik.
Solange Grüne und Linke selbst noch etwas von oppositionellen Anti-System-Parteien hatten, sich vor potenzieller Überwachung sorgten und die zahlreichen Skandale der Behörde anprangerten, forderten sie deren restlose Beseitigung. Mit der Übernahme von Regierungsverantwortung hat sich das Blatt dann gewendet.
In Thüringen hat das etwa Bodo Ramelow eindrucksvoll unter Beweis gestellt. An den Schalthebeln der Macht hat die politische Linke in Deutschland begriffen, dass es den eigenen Interessen weitaus zuträglicher ist, den Verfassungsschutz nicht abzuschaffen, sondern ihn neu auszurichten und für den „Kampf gegen Rechts“ in Dienst zu nehmen.
In dem Maße, in dem sich Grüne und Linke von Außenseitern und Staatsfeinden zu staatstragenden Kräften entwickelt haben, hat sich der Verfassungsschutz aus ihrer Perspektive vom Feindbild zum nützlichen Werkzeug im politischen Machtkampf entwickelt. Mit anderen Worten: In seinem langen Marsch durch die Institutionen hat das linksgrüne Shitbürgertum nun auch den Verfassungsschutz erobert und ihn dem eigenen Macht- und Herrschaftsansprüchen Untertan gemacht.
Nur so erklärt sich, weshalb dieselben Parteien und Politiker, die den Verfassungsschutz vor wenigen Jahren noch scheinbar radikal ablehnten und die zum Teil heute noch kein gutes Haar an der Behörde lassen, plötzlich unkritisch und unhinterfragt dessen Verdikte übernimmt und so tut, als handele es sich beim Verfassungsschutz um eine unabhängige Quelle oder gar ein unfehlbares staatliches Wahrheitsministerium.
Und nur so erklärt sich auch, dass aus der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextreme Bestrebung“ nun sogar weitreichende Forderungen, etwa nach einem Stopp der staatlichen Parteienfinanzierung oder gar einem Parteiverbotsverfahren abgeleitet werden. Doch damit nicht genug: Zahlreiche Gruppen fordern auf dieser Grundlage mittlerweile auch die Ausgrenzung von Mitgliedern der AfD oder bringen Entlassungen und Kündigungen ins Spiel. Und wer nicht bei drei mit in den hysterischen Chor all jener einstimmt, die ein Verbotsverfahren und umfangreiche Ausgrenzungen fordern, wird gleich noch der Unterstützung der AfD verdächtigt. Oder gleich zum eigentlichen Mitglied erklärt.
Ebenjenes Milieu, das sich jahre- und jahrzehntelang gegen solche Praktiken ihrer politischen Gegner zur Wehr gesetzt hat, als diese noch ihnen selber galten, wendet sie jetzt, sobald einmal an den Schalthebeln der Macht, gegen ihre eigenen Gegner an. Damit desavouiert die politische Linke aber nicht die AfD, sondern letztlich nur sich selbst. Die Bedrohung für Demokratie und Rechtsstaat, vor der sie noch vor wenigen Jahren regelmäßig gewarnt hat, ist heute sie selbst.
Wer in permanenter Opfer-Verklärung meint, im Kampf gegen die AfD und damit gegen Verkörperung alles Bösen heilige der Zweck die Mittel, schützt nicht, sondern beschädigt die Demokratie – und offenbart neben maßlosen Doppelstandards auch autoritäre Züge, die an dunkle Zeiten erinnern. Wer Behörden abschaffen will, wenn sie gegen einen vorgehen – aber feiert, wenn sie dem Gegner schaden, dem geht es nicht um demokratische Prinzipien, sondern um nichts Anderes als reine Macht.