
Bereits in der vergangenen Woche war im nordrhein-westfälischen Lage ein AfD-Kandidat aus Zweifel an seiner Verfassungstreue von der Bürgermeisterwahl ausgeschlossen worden. Jetzt wird klar: In Deutschlands einwohnerreichstem Bundesland hat auch das Landesamt für Verfassungsschutz die Kommunalwahlen im September genau im Auge – und in insgesamt sechs Fällen Beiträge und Aussagen von AfD-Politikern gesammelt, die bei der Wahl antreten möchten.
Das geht aus einem Bericht der Neuen Westfälischen hervor. Der Welt liegt eine solche Erkenntnismitteilung des Landesverfassungsschutzes über Marvin Weber vor, der in Paderborn als Bürgermeisterkandidat antreten möchte. Der AfD-Politiker habe „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung agitiert“, indem er sich mit seinen Aussagen gegen das Prinzip der Menschenwürde gerichtet habe, schreibt der Inlandsgeheimdienst dort und führt eine Reihe von Aussagen auf.
In seinem Telegram-Kanal wetterte Weber beispielsweise gegen „Geldwäsche-Dönerläden“, gegen „Ersetzungsmigration“ und den sogenannten „großen Austausch“. Überdies forderte er die Abschiebung von Asylbewerbern. Remigration sei die „Befreiung von der Herrschaft des Unrechts und zugleich die Befreiung Deutschlands von Millionen Illegalen, die gemäß unseres Asylrechts niemals hier sein dürften“, schrieb Weber im Januar 2024 – einen Tag nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche über angebliche Remigrationsfantasien, die auf einem Geheimtreffen in der Nähe von Potsdam besprochen worden sein sollen.
„Gewalttäter, Klaubanden, Clans, Sozialstaatsplünderer, Intensivtäter und sonstige Raketenwissenschaftler der Dritten Welt müssen schnellstmöglich zurück in ihre Heimat gebracht werden“, hieß es in der Nachricht außerdem. Bereits im Juli 2022 hatte der AfD-Politiker Ausweisungen gefordert: „Wir brauchen dringend eine Abschiebekultur! Wir sind nicht das Sozialamt der Welt. Wir sind nicht der historische Müllhaufen für alle Verbrechen dieser Welt.“
Zu einem anderen Zeitpunkt echauffierte sich der AfD-Kandidat über Asylbewerber aus Nordafrika: „Im Muselparadies des bedingungslosen Sozialstaates für Illegale, der absoluten Toleranz für Islamisten und der bunten Vielfaltsjustiz sowie der antideutschen Gesinnungspresse feiern die nordafrikanischen Intensivtäter in unseren Großstädten noch laut, wenn ihr Heimatland im Halbfinale der Fußball-WM steht“, schrieb er zunächst. Doch die „Antänzer, Dealer und Sozialtouristen“ würden bald wieder in ihre Heimat zurückkehren, kündigte er an. „Dafür werden wir sorgen!“
In dem insgesamt 24 Seiten umfassenden Verfassungsschutz-Schreiben warnt der Inlandsgeheimdienst vor Bedrohungsszenarien und den Ängsten, die Weber damit vor Einwanderern geschürt haben soll. Auch in der Rubrik der sogenannten Verschwörungstheorien sammelte der Verfassungsschutz zahlreiche Aussagen Webers, so etwa Beiträge zu einer „deutschlandfeindlichen Politelite“ oder zu der „Blockparteien-Einheitssuppe“, die mit einer „verbrecherischen Globalistenpolitik“ einen „Beutestaat“ geschaffen haben soll.
Dass Weber Deutschland als „buntes Frankensteingebilde der Siegermächte“ bezeichnete, ordnet der Verfassungsschutz dem „rechtsextremistischen Diskurs“ zu, „der die demokratische Nachkriegsentwicklung Deutschlands durch solche abwertenden Sprachbilder diffamieren möchte. Hinzu kommt Webers Verweis auf ‚Befehlsempfänger‘, womit er beabsichtigt, die Regierung als fremdgesteuert und nicht demokratisch legitimiert darzustellen.“
Auch um den Nationalsozialismus geht es in dem ausführlichen Schreiben. Mit Warnungen vor einem angeblichen „Schuldkult“ und dem Vergleich der Studentenbewegung von 1968 mit den Nationalsozialisten soll er deren Ideologie verharmlost haben. Hier führt der Verfassungsschutz auch einen Vorwurf an, den Weber gegen den Zentralrat der Juden erhoben hatte. Das wichtigste Gremium der jüdischen Diaspora in Deutschland habe mit „rassistischen Hasstiraden auf uns Deutsche“ und „ihren unsäglichen historischen Vergleichen schon Millionen Opfer relativiert und verhöhnt“, wird Weber zitiert.
Weil der AfD-Politiker diese Aussagen wahrscheinlich auf Millionen deutsche Opfer neben denen der Judenverfolgung bezogen hat, liegt eine „Bagatellisierung des Holocausts“ vor, notiert der Verfassungsschutz. „In der Gesamtschau liegen somit tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass Weber Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgt“, folgert die Behörde schließlich.
Für die sechs versendeten Mitteilungen greift der Inlandsgeheimdienst auf Paragraf 17 des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetzes zurück. Demnach darf er „personenbezogene Daten an inländische öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich“ ist. Über die Zulassung einer Bürgermeisterkandidatur entscheidet ein Wahlausschuss, der in diesem Sinne überprüft, ob ein Kandidat „Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes einzutreten“, so steht es in Artikel 65 der nordrhein-westfälischen Gemeindeordnung.
Der Wahlausschuss in Paderborn sah mit Weber offenbar jedoch keine Probleme. Der AfD-Politiker wurde für die Bürgermeisterwahl im September zugelassen. Gegenüber der Welt dementierte er außerdem die Vorwürfe des Verfassungsschutzes. „Kritik am politischen Islam, die Forderung von Abschiebungen von Intensivtätern, islamistischen Gefährdern und denjenigen, die hier mehrheitlich unter dem Deckmantel des Asylrechts in den Sozialstaat eingewandert sind, ist per se weder islamfeindlich noch fremdenfeindlich – schon gar nicht gegen die Menschenwürde“, stellte er klar. Überdies teilte er mit, ein „rechtschaffener Staatsbürger“ zu sein, der ein „reines Führungszeugnis“ habe.
Anders erging es dem AfD-Kandidaten Uwe Detert in Lage. Die Grünen hatten eine Überprüfung der Personalie gefordert, woraufhin der Wahlausschuss auch den Verfassungsschutz konsultierte. Letztlich wurde Detert mit sechs von zehn Stimmen abgelehnt, die Kandidatur wurde vor der übergeordneten Instanz, dem Kreiswahlausschuss Lippe, endgültig entschieden: Auch hier sprachen sich acht gegen drei Vertreter gegen den AfD-Kandidaten aus (mehr dazu hier und hier).