Verfassungsschutz warnt vor AfD-Kandidaten: Die Methode Wahlausschluss

vor etwa 22 Stunden

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Bildquelle: Apollo News

Dass in Deutschland ein Bürgermeisterkandidat nicht zu einer Wahl zugelassen wird, ist eigentlich eine Seltenheit und ein ungewöhnlicher Schritt. In Nordrhein-Westfalen kommt es aber jetzt dazu: Der AfD-Politiker Uwe Detert darf nicht am 14. September als Kandidat bei der Bürgermeisterwahl in Lage antreten. Der vom Wahlausschuss kolportierte Grund: Er könne nicht gewährleisten, „dass er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“ – so fordert es aber die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung.

Es ist ein vage gehaltener Punkt. Als andere Kriterien für die Kandidatur gelten etwa der Besitz einer Staatsangehörigkeit eines EU-Staates und des Wahlrechts sowie die Vollendung des 23. Lebensjahres. Das sind juristisch eindeutige Parameter – die Gewährleistung der Verfassungstreue ist jedoch deutlich schwammiger und kann hier ohne einen gerichtsfesten Beweis gegen die Kandidaten ausgelegt werden. So passierte es offenbar auch in Nordrhein-Westfalen.

Der Neuen Westfälischen zufolge versendete das Landesamt für Verfassungsschutz im Vorfeld der Vorbereitungen auf die Kommunalwahlen am 14. September sechs sogenannte „Erkenntnismitteilungen“, in denen der Inlandsgeheimdienst vor den jeweils betroffenen AfD-Kandidaten warnt, die bei den Bürgermeisterschaften in der Region Ostwestfalen-Lippe ins Rennen gehen wollen.

Es ist ein einmaliger Vorgang in der Bundesrepublik und eine Einmischung in die Wahl, weil – ungeachtet des Ausgangs – darunter zumindest einmal die Reputation der Kandidaten und der Partei leidet – wenn es nicht sogar zu einem Ausschluss kommt. Darüber entscheidet erst einmal nämlich kein Gericht, sondern der parteipolitisch besetzte Wahlausschuss jeder Gemeinde oder jedes Landkreises.

Kommen die Ausschüsse zu dem Ergebnis, ein Kandidat könne die in Paragraf 65 der Gemeindeordnung geforderte Verfassungstreue nicht gewährleisten, kann er von der Wahl als Kandidat ausgeschlossen werden – auch wenn sein im Grundgesetz verankertes passives Wahlrecht weiterhin gültig ist und seine Partei nicht verboten ist. Juristisch anfechtbar ist diese Entscheidung dann erst im Nachgang der betroffenen Wahl. Ist ein Kandidat also erst ausgeschlossen, sind ihm zunächst die Hände gebunden.

Genau so erging es Uwe Detert. Er wollte für die AfD in der nordrhein-westfälischen Stadt Lage in das Bürgermeisterrennen gehen. Die Grünen hatten jedoch Zweifel an seiner Verfassungstreue – der Wahlausschuss konsultierte den Verfassungsschutz und obwohl kein eindeutiges Urteil gefällt werden konnte, votierte die Mehrheit der Vertreter in dem Gremium gegen Detert. Auch die Beschwerde vor dem Kreiswahlausschuss in Lippe war nicht von Erfolg gekrönt: Detert wurde von der Wahl ausgeschlossen.

Dabei ist es fraglich, inwieweit der AfD-Politiker verfassungsfeindliche Positionen vertritt. Ja, er fiel immer wieder mit geschmacklosen Beiträgen auf, teilte der Welt zufolge beispielsweise eine Liedzeile einer 2003 als kriminelle Vereinigung eingestuften Band mit der Status-Funktion von WhatsApp. Auf Facebook teilte er außerdem ein Video, in dem es hieß, „Deutschland ist kein souveräner Staat“ (mehr dazu hier).

Aber: Anzeigen oder Ermittlungen gegen Detert gab es laut Aussagen der im Wahlausschuss in Lage vertretenen AfD-Vertrauensfrau nicht, berichtete die Lippische Zeitung – geschweige denn irgendein entsprechendes Urteil. Mit anderen Worten: Detert wurde wegen unbewiesener Zweifel an seiner Verfassungstreue ausgeschlossen.

Auch die Einstufung des Verfassungsschutzes – wie auch immer sie aussah, der Inhalt ist nicht bekannt – ändert daran wenig. Es handelt sich um eine amtsinterne Einordnung, nicht um ein Urteil. Und dennoch warnte der Verfassungsschutz auch andernorts vor den AfD-Kandidaten. In Paderborn hatte der Wahlausschuss einen der sechs Erkenntnismitteilungen erhalten, über deren Inhalt die Welt berichtete. Der betroffene AfD-Politiker, Marvin Wank, soll „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung agitiert“ haben, so der Verfassungsschutz dort (mehr dazu hier).

Er habe in seinem Telegram-Kanal unter anderem gegen „Geldwäsche-Dönerläden“, gegen „Ersetzungsmigration“ und den sogenannten „großen Austausch“ polemisiert. Weber wird seitens des Inlandsgeheimdienstes außerdem vorgeworfen, Remigrationsforderungen aufgestellt und einen „rechtsextremistischen Diskurs“ betrieben zu haben. Er habe die Bundesregierung als „Befehlsempfänger“ bezeichnet, „womit er beabsichtigt, die Regierung als fremdgesteuert und nicht demokratisch legitimiert darzustellen“, so der Verfassungsschutz.

Allerdings stimmte in diesem Fall der Wahlausschuss in Paderborn der Kandidatur von Weber zu. Wie es in den fünf weiteren Fällen verlief, ist nicht bekannt, auch die adressierten Gemeinden und betroffenen Personen wurden bislang nicht namentlich genannt. Eine dahingehende Anfrage blieb seitens des nordrhein-westfälischen Innenministeriums gegenüber Apollo News offen. Auch, ob der Fall Detert einer der sechs Erkenntnismitteilungen zuzuordnen ist, wollte die Behörde mit Verweis auf den Datenschutz nicht sagen.

Der ursprünglichen Meldung der Neuen Westfälischen ist Deterts Name aber in diesem Kontext zu entnehmen. Überdies werden die Namen Burkhart W. aus Horn-Bad Meinberg und Florian R. aus Bielefeld genannt – beide sollen Kontakte in die rechtsextreme Szene haben oder gehabt haben. Das Ministerium teilte bezüglich der sechs Personalien auf Anfrage aber lediglich mit, dass sie sich den folgenden „Beobachtungsobjekten“ zuordnen lassen: dem III. Weg, dem Aufbruch Leverkusen, dem subkulturellen Rechtsextremismus, einem „völkisch-nationalistischen Personenzusammenschluss“ innerhalb der AfD – gemeint ist der ehemalige „Flügel“ – und in zwei Fällen der Jungen Alternative NRW.

Das Vorgehen des Verfassungsschutzes ist vor allem deshalb interessant, weil das Ministerium des Weiteren mitteilte, die Erkenntnismitteilungen würden auf Anfrage herausgegeben werden. Dementsprechend wurde in den betroffenen Gemeinden vermutlich parteipolitisch eine Überprüfung der Kandidaturen explizit beantragt – wahrscheinlich mit dem Ziel, die AfD-Kandidaten auszuschließen, selbst wenn diese in vielen Städten sowieso nicht für den Wahlsieg favorisiert sein dürften.

Und: Offenbar hatte der Verfassungsschutz dann auch jeweils mehrseitige Dokumente zu den betroffenen Personen parat. Ob und von wem der Inlandsgeheimdienst bezüglich der Erkenntnismitteilungen angefragt wurde, ließ das Ministerium auf Anfrage ebenfalls offen. Die internen Dokumente darf der Verfassungsschutz gemäß Paragraf 17 des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetzes nur bei objektiven Zweifeln an der Kandidatur einer Person versenden.

Das Vorgehen ist auch vor dem Hintergrund der Abmachung von Union und SPD, die sich im Koalitionsvertrag nach der Bundestagswahl darauf geeinigt haben, den Entzug des passiven Wahlrechts „im Rahmen der Resilienzstärkung unserer Demokratie“ zu erleichtern, ein weiteres spannendes Puzzleteil. Wer zweimal wegen Volksverhetzung verurteilt wird, soll sich demnach nicht mehr als Kandidat bei einer Wahl in Deutschland aufstellen lassen dürfen, hieß es im Koalitionsvertrag.

Eigentlich ist schon jetzt der Verlust des passiven Wahlrechts für fünf Jahre möglich – das ist aber an schwerwiegende Straftaten gekoppelt. Das heißt, man muss etwa für Raub, Mord oder schwere Körperverletzung zu einer Haftstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt werden. Volksverhetzung ist aber ein Vergehen, kein Verbrechen und von daher strafrechtlich wesentlich niedriger angeordnet.

Der Vorstoß von Union und SPD zeigt also, wie weit man bereit ist, im Namen der Demokratie in die Wahlfreiheit einzugreifen – und zwar ganz am Parteiverbot vorbei, an das nämlich hohe Hürden gestellt wären. Das Vorhaben hat zwar mit den neuen Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen zunächst nichts zu tun, ist aber eben ein weiteres Kapitel in der Chronologie des Kampfes gegen unliebsame Kandidaturen. Ein Trend, den man auch in anderen europäischen Ländern zunehmend sieht.

Mit dem Mittel des Wahlrechtsentzugs wurde zuletzt die rumänische Wahl beeinflusst – nachdem sie bereits wiederholt werden musste, weil den ersten Durchgang der prorussische Kandidat Calin Georgescu gewonnen hatte. Angeblich geschah das aufgrund einer vorangegangenen Kampagne auf Plattformen wie TikTok. Von der Wahlwiederholung wurde Georgescu dann ausgeschlossen, weil er „die Verpflichtung zur Verteidigung der Demokratie verletzt“ habe (Apollo News berichtete).

Den Kampf gegen die Opposition haben auch die Franzosen mittlerweile auf die Spitze getrieben: Marine Le Pen, Parteiikone des Rassemblement National und mögliche Präsidentschaftskandidatin bei den Wahlen 2027, darf für fünf Jahre keine öffentlichen Ämter ausüben. Ein Pariser Gericht verurteilte Le Pen im März zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung und zusätzlichen zwei Jahren mit einer elektronischen Fußfessel, weil sie EU-Gelder veruntreut hatte. Der Schaden beträgt laut Staatsanwaltschaft rund 4,5 Millionen Euro (mehr dazu hier).

Nun ist Nordrhein-Westfalen ein paar Stufen kleiner als Frankreich oder Rumänien – die Methoden ähneln sich aber. Und eigentlich ist es eben noch viel schlimmer, weil die Wahlausschüsse entscheiden, bevor ein Gericht über den Ausschluss eines Kandidaten urteilen kann. Zwar sind die Ansichten der betroffenen Politiker möglicherweise nicht mehrheitsfähig, geschmacklos oder radikal – darüber befinden müssten aber wenn dann Gerichte, im Zweifel eben das Bundesverfassungsgericht, und nicht der Verfassungsschutz in „Erkenntnismitteilungen“ und auch nicht ein parteipolitisch besetztes Gremium, das aufgrund dieser Dokumente dann eine rein politisch gefällte Entscheidung trifft.

Auch wenn es die nordrhein-westfälische Gemeindeordnung zulässt, dass der Wahlausschuss bei Zweifeln an der Verfassungstreue tätig werden kann: Wird der Ausschluss im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde nachträglich für illegal erklärt, muss möglicherweise die ganze Wahl wiederholt werden. Ein politisches und bürokratisches Desaster. Vom Schaden für die Demokratie sowohl durch Ausschluss als auch Wiederholung mal ganz abgesehen.

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