
Das Gutachten, auf dessen Grundlage der Verfassungsschutz die AfD als „gesichert rechtsextrem“ einstufen will, wurde an die Öffentlichkeit durchgestochen. Es entpuppt sich als eine Sammlung von Zitaten und Social-Media-Postings – Geheimdienstinformationen sind nicht zu finden. Doch entscheidend ist das Vorgehen: Der Verfassungsschutz hat sich bereits im Vorfeld eine Meinung gebildet und das Gutachten erstellt, um diese zu bestätigen. So wird die AfD als grundsätzlich antisemitisch eingestuft – Beweise für das Gegenteil werden nicht berücksichtigt. Ein Freispruch ist nicht möglich, denn über Unschuldige erarbeitet der Verfassungsschutz schließlich kein Gutachten.
Einer der Beweise, die den Antisemitismus in der AfD belegen sollen, ist ein Video des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Florian Jäger. Er zog darin einen Vergleich zwischen der Rhetorik der Anstifter der Novemberpogrome von 1938 und der Rhetorik gegenüber ungeimpften Personen im Jahr 2021.
In einem Verfahren wegen Volksverhetzung wurde er in dritter Instanz freigesprochen. Dieses Urteil will der Bundesverfassungsschutz aber nicht anerkennen.
„Trotz der strafrechtlichen Bewertung des Bayerischen Obersten Landesgerichts kann die Aussage Jägers im Kontext der hiesigen Prüfung berücksichtigt werden, da die verfassungsschutzrechtliche Würdigung anderen Maßstäben folgt.“
Der Verfassungsschutz hat eben seine eigenen Maßstäbe.
Der Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich muss sich vorwerfen lassen, dass unter einem seiner Facebook-Posts ein Dritter einen Judenstern mit der Aufschrift „Nicht geimpft“ postete – und Helferich diesen Post acht Wochen lang nicht löschte. Ist es nun Aufgabe von Bundestagsmitgliedern, Facebook zu moderieren?
Der Vorwurf der Verharmlosung der Verbrechen des Dritten Reichs sitzt im Verfassungsschutz locker. Dass nicht jeder geschmacklose Vergleich eine Gleichsetzung sein muss oder Antisemitismus darstellt, wird nicht akzeptiert. Der Abgeordnete Stephan Protschka schrieb auf X: „Ich bin jetzt ein Mensch zweiter Klasse, ich bin #Ungeimpft. Muss ich jetzt irgendeine Armbinde tragen?”
Die AfD ist schuldig, auch wenn keine Schuld festzustellen ist, wie der Verfassungsschutz im Gutachten zum Thema Antisemitismus schreibt:
„Direkt geäußerter und unverstellt zum Hass gegen Jüdinnen und Juden aufstachelnder Antisemitismus ist dabei nicht festzustellen. Belegt werden kann hingegen die Verwendung klassischer antisemitischer Narrative, Motive und einzelner judenfeindlicher Ressentiments, die fast durchgängig durch Andeutungen, Codes und Chiffren ausgedrückt werden.“
Mit Chiffren und Codes ist die Kritik am Milliardär George Soros und die Verwendung des Begriffs „Globalisten“ gemeint. Die Kritik der AfD an Soros kann genauso gut auch Grünen und SPD angerechnet werden – nur mit dem Milliardär Musk statt Soros als kritisiertem Objekt. Und die Ablehnung von „Globalisten“ ist auch kein originärer AfD-Begriff. Doch wenn Anhänger der AfD diese Kritik vorbringen, konstruiert der Verfassungsschutz eine antijüdische Verschwörung daraus.
Auch Kritik an Menschen, die nicht jüdischen Glaubens sind, kann als Antisemitismus gewertet werden:
„Zielobjekt dieser Äußerungen sind zum einen Juden, zum anderen Personen, die – wie Klaus Schwab – nicht jüdisch sind, die jedoch mit antisemitischen Negativattributen belegt und beschrieben werden, wie sie typischer- und traditionellerweise auf Jüdinnen und Juden angewendet werden. Damit wird nicht nur die Menschenwürde von Jüdinnen und Juden angetastet, sondern auch die von Nicht-Juden, die unter antisemitischem Vorzeichen de facto zu Juden erklärt werden. Antisemitische Stereotype und Ressentiments werden auf diese Weise zielgerichtet zur Diffamierung und Herabwürdigung eingesetzt.“
Was genau diese antijüdischen Negativattribute sind, erklärt das Gutachten nicht. Übertragen auf andere Gruppen, wird die Absurdität offensichtlich. Spaniern (aller Glaubensrichtungen) wird Unpünktlichkeit nachgesagt. Ist jemand, der Unpünktlichkeit auch bei Schweizern ablehnt, prinzipiell ein Anti-Spanist?
Die Verurteilung des Angriffs der Hamas auf Israel durch die AfD kann hingegen „nicht als entlastendes Moment“ gewertet werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz kommt zu dem Schluss, dass „keine Verdichtung der Anhaltspunkte hin zu einer Gewissheit“ festgestellt wird, dass die AfD antisemitisch ist. Die Partei ist also nicht freigesprochen, sie ist nur noch nicht für schuldig befunden.