Verkehrsminister Schnieder schickt Bahnchef Lutz in die Wüste

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Bildquelle: Tichys Einblick

Bahnchef Richard Lutz muss gehen – zwei Jahre vor Vertragsende. Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) will damit die Neuaufstellung des kriselnden Staatskonzerns einleiten. Überraschend ist das nicht, es hatte sich seit Monaten angekündigt. Überraschend – oder eigentlich auch nicht – ist lediglich die Stümperhaftigkeit, mit der dies in die Wege geleitet wird. Es ist sowieso schon erstaunlich, den Mann an der Spitze zu feuern, ohne Nachfolge zu haben. Stattdessen soll der Alte noch maximalbeschädigt weitermachen, bis ein Nachfolger gefunden ist. Dass der es dennoch tut, spricht ebenfalls Bände. Eine Figur mit Statur wäre sofort gegangen.

Lutz übernahm den Vorstandsvorsitz 2017. Damals lag die Pünktlichkeit im Fernverkehr noch bei 78,5 Prozent – schon nicht gut, aber deutlich besser als heute. Unter seiner Führung sank die Quote auf zuletzt 57,1 Prozent im Juni 2025, was bedeutet, dass nahezu jeder zweite ICE oder IC mehr als sechs Minuten zu spät ans Ziel kommt. Parallel stieg die Unzufriedenheit der Kunden, während die wirtschaftliche Lage sich zuspitzte: 2024 schrieb die Bahn ein Minus von 1,8 Milliarden Euro, in der Corona-Krise 2020 waren es sogar 5,7 Milliarden Euro.

Erinnert sei an den unglückseligen Hartmut Mehdorn, von 1999 bis 2009 Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn. Bei Heidelberger Druck klatschten sie erleichtert Beifall, als der von Gerhard Schröder zur Bahn gerufen wurde. Heidelberger Druck hat mit Ach und Krach Mehdorns Wirken überlebt. Sein Rezept: massive Stellenstreichungen, Reduzierung von Werkstatt- und Instandhaltungskapazitäten und Abreißen von Schienen, auch wichtigen Überholgleisen. Eben Tafelsilber verkaufen wie bei Heidelberger Druck. Kurzfristig senkte das die Kosten – langfristig führte es zu Qualitäts- und Zuverlässigkeitsproblemen im Netz und im Fahrzeugbestand. Heute gibt es zu wenige Ausweichstrecken, auf denen langsamere Züge von schnelleren überholt werden könnten.

Mehdorn ließ kleinere Bahnhöfe und Strecken schließen. Man könne nicht an jeder Milchkanne halten, sein Spruch damals. An „Milchkannen“ allerdings steigen auch Fahrgäste ein und aus, ohne viele Zusteigemöglichkeiten ist ein „System Bahn“ wenig sinnvoll. Die wenigsten wohnen neben Hauptbahnhöfen.

Qualifizierte Eisenbahner wurden reihenweise entlassen oder frühpensioniert. Die konnten später nicht einfach ersetzt werden – so ist Fachkräftemangel bis heute ein Problem. Dabei gibt es wohl kaum ein System, dessen Funktionieren so davon abhängt, dass fast jeder weiß, wie die Zusammenhänge sind, wie bei der Bahn. Das gilt bis in die obersten Etagen.

In den letzten Jahrzehnten hat es zu oft Manager an die Spitze gespült, die die Bahn wie ein Einzelunternehmen führen wollten und dabei die hochgradige Vernetzung der Abläufe unterschätzten. Wenn sie überhaupt zwischen den extremen Revierkämpfen in den oberen Stockwerken der Berliner Bahnzentrale dazu kamen, sich um so etwas Niederes wie Betriebsabläufe und Funktionieren der Bahn zu kümmern.

Solange jedenfalls eine Systemkompetenz fehlt und politischer Aktionismus Vorrang vor operativer Stabilität hat, bleibt jeder Chefwechsel ein symbolischer Akt – und die Züge kommen weiter zu spät.

Dabei gibt es nur wenige Betriebe, die so viel politischen Rückenwind wie die Bahn bekommen. Aus Klimagründen soll jeder nur noch Bahn fahren dürfen. Jeder grüne Lausbub sondert Sprüche wie „Güter auf die Schiene“ im Sekundentakt ab – ohne dass etwas passiert.

Die DB Cargo Chefin, auch beim vormaligen Berliner Verkehrsbetrieb im maximalen Abgreifen gut geübt, entlässt trotz erheblichem Personalmangel Mitarbeiter. DB Cargo hat in den letzten Jahren vor allem auf Kostensenkung durch Personalabbau und die Reduzierung des Einzelwagenverkehrs gesetzt, statt in große technische Modernisierungen zu investieren. Das Management hat damit kurzfristige Einsparungen über langfristige Produktivitätsgewinne gestellt. So sind die wirtschaftlichen Verluste bei DB Cargo legendär.

Die sogenannte „Generalsanierung“ der Hauptkorridore, unter der Ampel angekündigt, sollte die Wende bringen: Vollsperrungen für mehrere Monate, um Strecken grundlegend zu erneuern. Doch der Fortschritt ist schleppend. Erst zwei von rund 40 Korridoren – Riedbahn und Hamburg–Berlin – sind im Bau. Statt einer Fertigstellung 2030 wird nun von 2036 gesprochen. Das bindet Milliarden und sorgt für langanhaltende Einschränkungen, ohne kurzfristig sichtbare Verbesserungen zu bringen. Noch nicht einmal das europäische Zugsteuersystem ETCS ist bei der Bahn hierzulande breit eingeführt worden. Das ist EU-weit seit 2002 für neue Hochgeschwindigkeitsstrecken vorgeschrieben.

Volljurist Schnieder, den es im Mai auf den Chefsessel des Verkehrsministeriums gespült hat, sagt das, was bisher fast jeder Verkehrsminister gesagt hat: Die Bahn müsse „pünktlicher, sauberer und sicherer“ werden. Eingetreten ist jedesmal das Gegenteil. Am 22. September will er seine Sanierungsstrategie vorstellen, zu der auch personelle Verschlankungen gehören. Die Generalsanierung wichtiger Strecken – aktuell Hamburg–Berlin – stockt; das Kernnetz soll nun erst 2036 fertig sein. Lustigerweise ein Jahr, nachdem der letzte Diesel- oder Benziner verkauft werden darf.

Lutz hatte 2024 selbst ein Sanierungsprogramm aufgelegt, inklusive tausender Stellenstreichungen, er warnte vor unzureichender Finanzierung. Er kommt aus einer Eisenbahnerfamilie, trat früh in die Dienste der Bahn und weiß mit Sicherheit, woran es hapert und was getan werden müsste. Er konnte sich weder politisch noch im Bahntower durchsetzen.

Mit dem neuen Minister verschärfte sich der Konflikt. Gewerkschaft EVG und Ländervertreter mahnen nun, ein „Führungsvakuum“ zu vermeiden und rasch Klarheit über die Nachfolge zu schaffen. Der Verkehrsminister sucht jetzt einen Mann für die Spitze, der das umsetzt, was im Verkehrsministerium an Direktiven ausgegeben wird. Einen gehorsamen Managervasallen, der was kann, wird er so nicht finden. Ein Wechsel des Chefs lässt keinen Zug pünktlicher fahren.

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