Verliert Russland an Einfluss im Kaukasus?

vor etwa 6 Stunden

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

Die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf andere Regionen, in denen Moskau als wichtiger Akteur gilt, waren in den vergangenen Jahren enorm. Russland ist militärisch nicht in der Lage, einen Zweifrontenkrieg zu führen. Russland sah tatenlos zu, wie sein Verbündeter Iran im Zuge des zwölftägigen Krieges von den Atommächten USA und Israel angegriffen wurde. Moskau konnte weder Luftabwehr noch Jets an den Iran schicken. Diese werden im Ukraine-Krieg benötigt. Als Islamisten letztes Jahr Damaskus einnahmen, konnte die Kremlführung nichts anderes tun, als ihrem Verbündeten Assad zur Flucht zu verhelfen. In diesem Fall waren zu viele russische Kräfte im Ukraine-Krieg gebunden, um Einheiten entbehren zu können.

Nach den Rückschlägen im Nahen Osten schwindet auch der Einfluss Russlands im Südkaukasus langsam. Der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan und der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew trafen sich am 10. Juli in Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate), um die nächsten Schritte zur Fertigstellung des Friedensabkommens zu besprechen – allerdings zum ersten Mal ohne Beteiligung Russlands. Sowohl der Bergkarabach-Krieg 2020 als auch der Ukraine-Krieg haben dazu geführt, dass Russland Stück für Stück Einfluss im Kaukasus verloren hat.

Bis Herbst 2023 erlangte Aserbaidschan mit stiller Unterstützung der Türkei die vollständige Kontrolle über die zuvor von Armeniern besiedelte und in den 1990er-Jahren besetzte Region Bergkarabach zurück. Als Aserbaidschan im Jahr 2020 eine Offensive startete, um die Enklave zurückzuerobern, weigerte sich Kreml, Armenien bei der Verteidigung zu unterstützen – unter anderem als Vergeltung für eine Protestbewegung zwei Jahre zuvor, durch die der prowestliche Nikol Paschinjan an die Macht gekommen war.

Ursprünglich war Moskau vertraglich zum Schutz verpflichtet. Armenien war Mitglied der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), einer Art postsowjetischer NATO. Doch die russischen Friedenstruppen griffen in den Krieg nicht ein. Armenien hat später seine Mitgliedschaft im OVKS-Bündnis eingefroren und sucht aktiv nach neuen militärischen Partnern wie Frankreich.

Die Kremlführung gestattete Aserbaidschan damals, einige Gebiete um Bergkarabach einzunehmen, bevor Präsident Putin einen Waffenstillstand vermittelte. Dadurch konnte Russland Truppen unter dem Deckmantel von Friedenstruppen in Aserbaidschan stationieren. Als Russland jedoch 2023 durch den Krieg in der Ukraine abgelenkt war, nahm Aserbaidschan innerhalb von weniger als 24 Stunden ganz Bergkarabach ein, während die russischen Friedenstruppen dem Überfall tatenlos zusahen. Da es keinen Vorwand mehr für ihren Verbleib gab, war Russland gezwungen, seine Truppen abzuziehen. Nach der letzten Runde des Karabach-Kriegs sah sich auch Armenien von seiner Schutzmacht Russland verraten und suchte neue Partner in der EU und den USA.

In den vergangenen Monaten haben sich die russisch-aserbaidschanischen Beziehungen so stark verschlechtert, dass sie kaum wiederzuerkennen sind. Der Wendepunkt war die Tragödie mit einem aserbaidschanischen Passagierflugzeug auf der Strecke Baku–Grosny, das am 25. Dezember des vergangenen Jahres in Tschetschenien von einer russischen Rakete getroffen wurde und eine Notlandung in Aktau in Kasachstan machen musste. Dabei kamen 38 Passagiere und Besatzungsmitglieder ums Leben.

Aserbaidschan reagierte scharf und stellte drei Bedingungen an Russland: erstens eine Entschuldigung, zweitens eine Entschädigung der Opfer und drittens die Bestrafung der Täter. Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew sagte dann seine Teilnahme an der Parade zum 80. Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg, dem wichtigsten Feiertag des Kremls ab. In den vergangenen Wochen kam es zu einer neuen Eskalation zwischen Moskau und Baku, als die russische Polizei am Ural im Rahmen einer Razzia rund 50 ethnische Aserbaidschaner festnahm und sie mit 20 Jahre alten, ungeklärten Mordfällen in Verbindung brachte. Bei den Festnahmen wurden zwei aserbaidschanische Männer gefoltert und zu Tode geprügelt.

Aserbaidschan reagierte auf die Festnahme seiner Bürger mit der Erstürmung des Büros des russischen Senders Sputnik und der Festnahme zweier Mitarbeiter. Ihnen wird vorgeworfen, „FSB-Agenten“ zu sein. Zudem wurde der russische Botschafter wegen der „brutalen Tötung“ zweier Aserbaidschaner ins Außenministerium in Baku einbestellt. Aserbaidschan sagte außerdem alle Kulturveranstaltungen mit russischer Beteiligung ab. In Baku wurden zudem mehrere russische Staatsbürger „wegen Drogenhandels“ festgenommen. Die Beziehungen haben sich seither rapide verschlechtert. Beobachter sind überzeugt, dass die aktuelle Eskalation mit den veränderten Machtverhältnissen im Südkaukasus zusammenhängt. Aserbaidschan ist derzeit sehr selbstbewusst. Alijew hat das Gefühl, er müsse auf Russland keine Rücksicht mehr nehmen und könne Putin provozieren.

Derweil hat auch der Konflikt zwischen Israel und dem Iran den Status Aserbaidschans als aufstrebende Regionalmacht gestärkt. Unterstützt von der Türkei und Israel, das Aserbaidschan als strategischen Verbündeten im Konflikt mit dem Iran betrachtet, erwägt das Land den Beitritt zu den Abraham-Abkommen und strebt eine Rolle als Energie-Drehkreuz in der Region an. Der syrische Machthaber Ahmad al-Sharaa traf sich letzte Woche in Baku mit dem aserbaidschanischen Präsidenten Alijew. Unter anderem wurden Gaslieferungen von Aserbaidschan über die Türkei nach Syrien vereinbart.

Im vergangenen Monat hatte der armenische Premierminister Paschinjan Istanbul besucht und war dort von Präsident Recep Tayyip Erdoğan feierlich empfangen worden. Ein Frieden zwischen Armenien und Aserbaidschan würde Armenien in den sogenannten „Mittleren Korridor” für Handel und Energie integrieren. Er verbindet China und Zentralasien unter Umgehung Russlands mit Europa. Dies ist besonders wichtig für die Energiesicherheit Europas und bedeutet einen Rückschlag für den Nord-Süd-Transportkorridor. Dieser Korridor, der Russland über Aserbaidschan und den Iran mit Indien verbindet, ist für Moskau eine sanktionssichere Verkehrsverbindung.

Mit der Versöhnung zwischen Armenien und Aserbaidschan unter Ausschluss Russlands baut der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan seinen Einflussbereich in den Grenzen des ehemaligen Osmanischen Reiches konsequent aus. Er zielt auf die Wiederherstellung des sogenannten „Großen Turan” in den turksprachigen Regionen Asiens ab. Im Zuge dieser Politik träumt Erdoğan von einem türkisch-muslimischen Korridor durch Eurasien.

Da Aserbaidschan sowohl von der Türkei als auch von Israel bewaffnet wird, ist es zu mächtig, als dass Russland offen gegen die Machtambitionen von Alijew vorgehen könnte. Putins beste Hoffnung, seinen Einfluss zurückzugewinnen, dürfte daher in Armenien liegen, das von russischen Energie- und Nahrungsmittelimporten abhängig ist und in dem Russland noch immer einen Militärstützpunkt unterhält. Was Russland in Armenien jedoch fehlt, ist die Unterstützung durch einen Teil der Bevölkerung.

Seit der Niederlage im Krieg gegen Aserbaidschan versucht Armenien, sich vom russischen Einfluss zu lösen und sich dem Westen anzunähern. Noch wichtiger ist jedoch, dass Armenien seine Bemühungen um eine Normalisierung der Beziehungen zur Türkei intensiviert. Diese waren durch die Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern durch osmanische Truppen in den Jahren 1915/16 belastet. Die Kremlführung hat bisher keine Mühen gescheut, Paschinjan loszuwerden, der im nächsten Jahr ohnehin vor Wahlen steht. Sie hofft auf eine Wiederholung des georgischen Szenarios, bei dem der moskautreue Oligarch Bidsina Iwanischwili und die Kirche die Westbindung des Landes stoppten und es wieder unter den Einfluss Russlands brachten.

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel