Versicherte lehnen das schlaue Kärtchen ihrer Krankenkasse ab

vor etwa 7 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Das gibt ein heißes Rennen in Berlin: Hören die Passanten in der Hauptstadt am Tag öfter “Danke”, “Bitte” oder “wir müssen die Bürokratie abbauen”? Angesichts der stoffeligen Bewohner dürfte der Wunsch nach Bürokratie-Abbau gewinnen. Denn der geht vor allem den Menschen innerhalb des Regierungsviertels locker von den Lippen. Doch was bedeutet das? Die Bürokratie müsse abgebaut werden?

Die elektronische Patientenakte ist ein Beispiel dafür. In Litauen ist diese seit 2015 eingeführt, in Dänemark bereits seit 2004 – verpflichtend. Deutschland hat sie auch seit zwei Jahrzehnten – diskutiert. Zwei Jahrzehnte dauerte die Diskussion, während andere Länder machten, redeten die Deutschen nur. Karl Lauterbach (SPD) hat sie als Gesundheitsminister eingeführt. Nur funktioniert sie nicht, wie der Vorsitzende des deutschen Hausärzteverbandes, Markus Beier, gegenüber der Rheinischen Post erzählt hat.

Das kann von großem Vorteil sein. In der Routine vereinfacht es die Dinge, etwa in der Abrechnung von Patient und Versicherung auf der einen und Ärzten oder Apotheken auf der anderen Seite. Im Notfall kann die medizinische Payback-Karte Leben retten. Etwa, wenn der behandelnde Notarzt einen schnellen Zugriff auf alle Informationen zu seinem Patienten kommt – etwa, welche Allergien oder Vorerkrankungen der hat und welche Medikamente oder Behandlungen der Arzt dem Notfallpatient entsprechend besser nicht zukommen lässt.

Neben dem fehlenden Vertrauen in die elektronische Patientenakte ist es eben die Bürokratie, die in Deutschland scheitern lässt, was in anderen Ländern seit 20 Jahren funktioniert: Die Akte sei “schlichtweg nicht alltagstauglich”, sagt Beier der Rheinischen Post. Es sei kompliziert, sich anzumelden. Es gebe immer wieder technische Störungen, wodurch die Arztpraxen – ohnehin überlastet – permanent keinen Zugriff auf die Daten ihrer Patienten haben.

Genau hier wirkt sich aus, dass Bürokratie-Abbau in Deutschland nur ein leeres Versprechen ist. Ein unbeschreiblicher Wust von Vorschriften und eingebundenen Behörden machen aus simplen Vorgängen jahrelange Prozesse – und hinterher funktioniert trotzdem nichts. Weil alle Bedenken aller hauptberuflichen Bedenkenträger stärker im Fokus des absurden Prozesses waren als die Funktionalität.

Das wichtigste Bedenken gilt dem Datenschutz. Das ist zwar einerseits berechtigt. Doch auf der anderen Seite können schon begabte Schüler Programme entwickeln, die Daten zumindest gegen einen Großteil der Angriffe schützen. Außerdem ist der Umgang mit Patientendaten schon jetzt fragwürdig. Immer wieder kommen Fälle ans Tageslicht, in denen Krankenkassen die intimen Daten ihrer Versicherten für gewerbliche Zwecke missbraucht haben. Etwa, wenn gesetzliche Krankenkassen die Daten privaten Versicherern überlassen haben, damit die gezielt für private Zusatzleistungen werben können.

Eine verbreitete Angst ist die, dass die elektronische Patientenakte für ein “Social Scoring” missbraucht werden könnte. Etwa, dass Raucher, Trinker oder Fettleibige höhere Versicherungsbeiträge zahlen müssen. Die Gefahr des Social Scorings ist durchaus real. Immer wieder tun sich Politiker mit entsprechenden Forderungen hervor. Doch dafür braucht es die Patientenakte nicht. Die dafür nötigen Daten haben die Krankenkassen längst. Die Betreiber von Payback-Karten übrigens auch. Es ist nur der politische Widerstand, der vor solchen Ideen schützt, nicht der Widerstand gegen eine schlaue Patientenkarte. Wenn sie denn mal funktionieren würde.

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