
Auch im kommenden Winter könnte die Gasversorgungslage erheblich erschwert werden. Das teilte die Internationale Energieagentur (IEA) am Donnerstag mit. Grund für die „Versorgungsunsicherheiten“ sind geopolitische Spannungen und der weltweit anhaltende Anstieg des Gasverbrauchs. Den Angaben der IEA zufolge wird der Verbrauch, angefacht durch eine verstärkte industrielle Nachfrage insbesondere in Asien, in diesem Jahr voraussichtlich um 2,5 Prozent und damit auf ein Rekordniveau von 4.200 Milliarden Kubikmetern steigen. Für das Jahr 2025 prognostiziert die IEA einen weiteren Anstieg um 2,3 Prozent.
Auch in der Europäischen Union wächst der Gasverbrauch: Zahlen der EU-Kommission dokumentieren einen Anstieg um 16 Prozent. Gleichzeitig stehen die europäischen Länder vor einer der größten Unwägbarkeiten im Vorfeld des Winters: Die Verträge, die den Transit von russischem Gas durch die Ukraine in die EU regeln, laufen Ende des Jahres 2024 aus. Dies könnte das vollständige Ende aller Gaslieferungen Russlands über die Ukraine nach Europa bedeuten – ein Szenario, in dem die Ukraine und die Europäer mit Russland einen neuen Transitvertrag aushandeln, erscheint aktuell zumindest unwahrscheinlich.
Speziell Südosteuropa und Österreich werden über die betroffenen Leitungen mit Energie versorgt. „Wenn der Vertrag nicht verlängert wird und es keine andere Lösung gibt, dann fehlen Europa wieder so zwischen zwölf und 15 Milliarden Kubikmeter, die im Moment noch durch die Ukraine transportiert werden“, warnt Dr. Heiko Lohmann von der Stiftung Energie und Umweltschutz gegenüber dem NDR.
Infolge einer solchen Entwicklung würde Europa im kommenden Jahr verstärkt auf den Import von Flüssigerdgas (LNG) angewiesen sein – was die zunehmend fragile Versorgung weiter belasten könnte. Die Rolle von Flüssigerdgas ist dabei von entscheidender Bedeutung, um das weltweite Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage aufrechtzuerhalten. Schon im Vorfeld wurde ein Anstieg der Gaspreise erwartet.
Zwar beeinträchtigen Engpässe im Panamakanal und im Roten Meer nach wie vor die Schifffahrt, bisher haben diese jedoch nicht zu einer Verringerung des LNG-Angebots geführt. Sie verdeutlichen jedoch die potenziellen Schwachstellen im Flüssiggashandel, insbesondere in einem zunehmend vernetzten globalen Gasmarkt. Die IEA empfiehlt zur konkreten Stabilisierung unter anderem, das ukrainische Gasspeichersystem in den globalen Gasmarkt zu integrieren.
Grundlegende Probleme bleiben jedoch: Ein Flaschenhals-Szenario für Knotenpunkte wie den Panamakanal, der mit einer weiteren Zunahme der globalen LNG-Nachfrage immer mehr belastet werden wird. Howard Rogers vom Oxford Institute for Energy Studies beschrieb dies schon 2018 als strukturelles Problem für den Kanal. Und die Instabilität am Roten Meer durch den Nahostkonflikt und die Raketenangriffe der jemenitischen Houthi-Rebellen scheint mittelfristig zu bleiben.
„Das Wachstum der weltweiten Gasnachfrage in diesem und im kommenden Jahr spiegelt die allmähliche Erholung von der globalen Energiekrise wider, die die Märkte hart getroffen hat“, erklärte Keisuke Sadamori, Direktor für Energiemärkte und -sicherheit bei der IEA. Das nach wie vor fragile Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bleibt dennoch anfällig für Schwankungen.