
Es hatte ein „Jubelparteitag“ für den sicher geglaubten Sieg bei der Bundestagswahl am 23. Februar werden sollen und wird jetzt ein Zitter-Appell für die letzten Meter. Auf einem Parteitag im Berliner CityCube, der auf fünf Stunden rund um die Rede von Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) und einen Auftritt von CSU-Chef Markus Söder geplant ist, will die Union heute noch einmal ihre Wahlkampf-Truppen sammeln.
Hatten die Strategen der Union noch im Herbst davon geträumt, in den Umfragen auf mindestens 35 Prozent zu kommen, so verhaken sich CDU/CSU derzeit bundesweit bei 30 Prozent oder knapp darunter und spüren den Verfolger-Atem der AfD bei 20 bis 22 Prozent bereits im Nacken. Nach der gescheiterten Abstimmung über demonstrative Maßnahmen zur Begrenzung der illegalen Migration und der unerwarteten Grätsche von Alt-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) konnte Merz die entscheidende Botschaft seines Wahlkampfs bislang nicht senden: Mit der Union gibt es einen Politikwechsel. Wir liefern. Wer uns seine Stimme gibt, der kann sich darauf verlassen, dass nach dem 23. Februar 2025 in Deutschland ein anderer Wind weht und wir zu wirtschaftlicher Stärke und Sicherheit im Innern und an den Grenzen zurückkehren.
Der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz, CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und seine Stellvertreterin Christina Stumpp am Vortag des CDU-Parteitags in Berlin
Schlimmer noch: Sollte Merz darauf gesetzt haben, dass SPD oder Grüne ein Zeichen dafür setzen, dass sie diesen Politikwechsel nach der Wahl mitgehen und damit eine Stimme für die Union auch unter Wahrung der Brandmauer gegenüber der AfD in guten Händen ist, so hat die zurückliegende Woche nun sogar noch den Gegenbeweis erbracht: SPD und Grüne tun alles, um einen Wechsel in der Migrationspolitik zu verhindern und werden mithin auch nach der Wahl kein Partner für Merz sein, mit dem er die versprochenen Reformen liefern kann.
Und so klingt denn auch das „Sofortprogramm“, das beim heutigen Parteitag beschlossen werden soll, eher wie das ängstliche Pfeifen der Union im finsteren Walde: „Es ist Zeit, dass sich etwas ändert! Es ist Zeit, dass die Politik aufwacht und versteht: Die Herausforderungen sind gewaltig, jeder Tag zählt. Wirtschaftlich stecken wir in einer tiefen Rezession, die Arbeitslosigkeit ist auf fast drei Millionen gestiegen – das ist der höchste Stand seit zehn Jahren. Das Sicherheitsgefühl der Menschen im Land nimmt Tag für Tag ab.“
Das „Sofortprogramm“ liegt NIUS vor, es soll am heutigen Montag verabschiedet werden. Wie es bei bestehender Brandmauer umgesetzt werden könnte, steht in den Sternen.
Das ist präzise beobachtet, nur hat es eben an dramatischen Beschreibungen der düsteren deutschen Aussichten auch bisher keinen Mangel gegeben. „Die Politik“, die hier adressiert wird und endlich aufwachen soll, hat in Gestalt von SPD und Grünen am vergangenen Freitag gezeigt, dass sie keineswegs bereit ist, von der Union geweckt zu werden. Im Gegenteil: Ein großer Teil der links-grünen Milieus ist in diesen Tagen auf der Straße, bedrängt Geschäftsstellen der Union und dürfte auch beim Parteitag protestierend vor der Tür stehen, um CDU/CSU zum Schulterschluss mit dem linken Lager zu zwingen, dass eben keinen Politikwechsel liefern will.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock umringt von grünen Parteigenossen am Freitag im Plenarsaal des Bundestags
Allen drastischen Appellen der Union im „Sofortprogramm“ zum Trotz: „So kann es nicht weitergehen. Wir müssen die Wirtschaft wieder in Schwung bringen. Wir müssen wieder für Sicherheit sorgen. Wir müssen wieder Vertrauen in unseren Staat schaffen. Das geht nur mit einer starken und stabilen Regierung. Das geht nur mit einem Bundeskanzler, der führt und vorangeht. Das geht nur mit den Menschen und nicht gegen sie.“
Hatte Donald Trump in den USA mit wenigen Versprechen (Wohlstand, Sicherheit, Schluss mit Wokeness) Erfolg, so will die Union jetzt im Programm mit fünfzehn eher kleinteiligen konkreten Punkten um Vertrauen und Wählerstimmen werben:
„1. Wir senken die Stromsteuer und die Netzentgelte – für eine Entlastung vonmindestens 5 Cent pro kWh. Der Strom muss für alle günstiger werden.2. Wir starten den Bürokratie-Rückbau: weniger Betriebsbeauftragte, keine Bonpflichtmehr, weg mit der deutschen Lieferkettenregulierung und den Belastungen desEnergieeffizienzgesetzes.3. Wir legen anstelle der täglichen eine wöchentliche Höchstarbeitszeit fest. Soermöglichen wir flexibleres Arbeiten für Beschäftigte und Unternehmen.4. Wir stellen Überstundenzuschläge steuerfrei. Wer freiwillig mehr arbeiten will, sollmehr Netto vom Brutto haben.“
Weitere Punkte: Aktivrente, Umsatzsteuer auf Speisen in Gaststätten auf sieben Prozent, weg mit dem Heizungsgesetz, Streichung von Stellen in der Bundesregierung, Vorratsdatenspeicherung, elektronische Fußfessel ... Die jetzt gescheiterte Begrenzung der illegalen Migration (Fünf-Punkte-Plan) nebst „Zustrombegrenzungsgesetz“ finden sich unter Punkt zwölf und dreizehn. Abschaffung von Express-Einbürgerung und Cannabis-Gesetz stehen ebenfalls auf der Liste.
Vereint im Kampf gegen die Union: Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz am Tag der Abstimmung zum Asyl-Gesetz im Bundestag vergangene Woche
Das Einzige, was das Programm nicht liefern kann, ist eine glaubwürdige Perspektive für seine Umsetzung. Denn die haben SPD und Grüne mit ihrer Blockade am vergangenen Freitag gleich mit zerstört. Egal, welche von den beiden Parteien am Ende mit der Union eine Regierung bilden würde, die harte Begrenzung der Migration dürfte nicht kommen. Und wenn die Union bei ihren heiligen Schwüren bleibt, sich nicht auf die AfD zu stützen, wird sich daran auch nichts ändern.
Im Gegenteil: Die jetzt angelaufene Welle von Demonstrationen gegen die Union könnte eher dazu führen, dass nach der Wahl – ähnlich wie in Österreich – gegen die AfD überhaupt keine Regierung gebildet werden kann, wenn sich SPD und Grüne weigern, mit der Union zu koalieren und es für Schwarz-Gelb nicht reicht. Kein Wunder also, wenn auch beim vermeintlichen Jubelparteitag der Union heute das böse Wort von der Minderheitsregierung durch die Flure wabert.
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