
Seit zwei Wochen kochen Linke vor Wut – weil kritische Medien offengelegt haben, dass zentrale Positionen der Richterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf weit links der gesellschaftlichen Mitte stehen. Im Fokus stehen autoritäre Stellungnahmen aus der Corona-Zeit, die auch sachlich jenseits von Gut und Böse lagen – und vor allem ein Thema, das zum Kernbestand konservativer Politik gehört: der Lebensschutz. Brosius-Gersdorf will den historisch gewachsenen Abtreibungskompromiss aufkündigen – zugunsten maximaler Straffreiheit. Doch statt all dies als rationalen Grund für ihre Ablehnung zu erkennen, greifen viele Linke zur Lieblingswaffe ihrer Zeit: der Verschwörungserzählung.
Hakan Demir ist SPD-Politiker und hat auf Instagram rund 12.100 Follower. Am Donnerstag tat er das, was viele Linke in Krisenzeiten tun: Er stellte sich virtuell auf die Apfelsinenkiste – und verkündete einen unheilvollen Masterplan weißer Männer gegen die gute Sache.
Herbert Grönemeyers „Männer“ war der Geleitsong zu diesem Instagram-Post.
Seit Wochen, so Demirs Theorie, werde Frauke Brosius-Gersdorf gezielt von weißen Männern sabotiert – von einem Patriarchat, das in der „rechten“ Medienlandschaft beginne und sich tief in die Union hineingefressen habe. In seinem Verschwörungsdenken geht er noch weiter: NIUS soll sogar den Plagiatsjäger Stefan Weber bezahlt haben – natürlich, um die SPD zu unterminieren.
Die SPD, inzwischen ein Sammelbecken für Verschwörungstheoretiker, hat NIUS, Apollo News und Tichys Einblick als Strippenzieher eines finsteren Männerkomplotts identifiziert.
Aus dem Normalsten der Welt – kritischer Berichterstattung über eine SPD-Personalie mit für Konservative untragbaren Positionen – wird in der SPD ein lupenreiner Verschwörungsmythos:
„Eine Handvoll Männer arbeitet daran, den öffentlichen Diskurs in unserem Land weiter nach Rechts zu verschieben. Dagegen müssen wir uns alle wehren. Auf dem Spiel steht am Ende des Tages unsere Demokratie.“
Doch das war nicht Demirs einzige Enthüllung. Tags zuvor hatte er bereits die virtuelle Apfelsinenkiste bestiegen und ein weiteres Komplott verkündet – diesmal sollen Alice Weidel und Tino Chrupalla die Demokratie unterwandert haben. Überall nur noch Verschwörungen gegen „unsere Demokratie“™ – so lässt sich der geistige Aggregatzustand vieler Linker derzeit wohl am treffendsten beschreiben.
Aktuell finden sich auf Demirs Instagram-Seite Verschwörungstheorien quasi im Tagesrhythmus.
Auch bei den Grünen ist man längst auf der Apfelsinenkiste angekommen. Der Bundestagsabgeordnete Andreas Audretsch etwa machte in einem Tweet sogar Putin zum Drahtzieher einer internationalen Kampagne gegen Brosius-Gersdorf.
Das linke Lager hat die politische Wirklichkeit längst in eine Art Netflix-Verschwörung verwandelt: Correctiv wollte Anfang des vergangenen Jahres einen „Geheimplan“ zur Deportation von Millionen Menschen aufgedeckt haben, den Martin Sellner bei einem „Geheimtreffen“ in einer Potsdamer Villa angeblich umrissen haben soll – „Wannseekonferenz 2.0“ nannte man das.
Correctiv schickte dazu einen abgehalfterten Linksextremen – einst als Tortenwerfer gegen Rechts auffällig geworden – undercover in eine Potsdamer Villa. Mit – mutmaßlich – falschem Schnauzer, getönter Sonnenbrille und verstecktem Mikrofon schlich dieser „Jean Peters“ durch die Gänge der Potsdamer Villa, offenbar im Glauben, er sei eine Mischung aus TKKG und John le Carré. Was dabei herauskam, war ein verschwurbelter Agentenbericht aus der Mottenkiste: der sogenannte „Geheimplan gegen Deutschland“.
Diese Verschwörungsschwurbelei von „Correctiv“ zerschellte früh an Faktenchecks von NIUS.
Monatelang hielt dieser Unfug das Land in Atem. Lautstark befeuert von Spitzenpolitikern, zogen Millionen verschwörungsgläubige Demonstranten durch deutsche Städte – überzeugt davon, auf diese Weise einen zweiten Holocaust zu verhindern. Auf NIUS, einer der letzten Bastionen gegen den Verschwörungswahn der linken Medienlandschaft, wurde die Geschichte bereits entlarvt, da lag Stefan Niggemeier von Übermedien noch mitten im verschwörungstheoretischen Fiebertraum – aus dem er erst Monate später halb verschwitzt erwachte.
Doch die linke Szene lebt bis heute weiter in ihrer Parallelrealität, in der jeder politische Gegner ein Faschist, jede abweichende Meinung eine Gefahr für die Demokratie ist, die sie in den Augen ihrer Mitmenschen wie Reptilienschlitze aufblitzen sehen, so wie das Anhänger der sogenannten Echsenmenschen-Theorie tun. Und weil sich in Verschwörungswelten alles vernetzt, entstehen Netzwerkgrafiken im Akkord – wie bei Correctiv:
Schwurbelgrafik von „Correctiv“, die vermutlich nur verrückte „Correctiv“-Redakteure kapieren.
Auch der Blog Volksverpetzer, der sich offenbar als digitale Wiedergeburt der Weißen Rose versteht, glaubte einmal, ein finsteres Netzwerk aus dem Medienhaus Welt und Querdenkern enttarnt zu haben. Die Erkenntnis:
„Teilweise werden wohl gezielt Narrative der ‚Querdenker‘ übernommen und bespielt, was zu viel Applaus aus der extremistischen Ecke führt.“
Hört, hört.
In der Pandemie suchte der „Volksverpetzer“ nach Verschwörungen im Welt-Umfeld.
Die Lust, selbst banale personelle Verbindungen als Beweis für orchestrierte Verschwörungen zu deuten, ist Ausdruck einer manifesten Paranoia, die sich selbst als politische Aufklärung missversteht. Schon Oskar Panizza wusste: „Der Wahnsinn, wenn er epidemisch wird, heißt Vernunft.“
Und man muss sagen: Die linke Verschwörungstheorie sieht mitunter auch so aus, wie sie klingt. Wer leidenschaftlich Masken trägt, während er um sich herum gefährliche Aerosole halluziniert, erinnert eben mehr an Aluhutträger als an wissenschaftlich aufgeklärte Menschen. So geschehen bei Volksverpetzer-Chef Thomas Laschyk, der genau dieses Bild in der Pandemie ablieferte.
Ein Symbol des Irrationalismus jener Jahre – einer „Wissenschaft“, die auf dem Niveau von Axel Stoll operierte: jenem Physiker, der in Berliner Hinterzimmern über Nazi-UFOs in der Antarktis dozierte. Stolls Motto: „Magie ist Physik durch Wollen.“ Laschyks Variante: FFP2 ist Schutz durch Fühlen.
Axel Stoll dozierte in verrauchten Berliner Hinterzimmern über angeblich futuristische Nazi-Technologie. Screenshot: YouTube.
Der Axel Stoll der baden-württembergischen Landesverwaltung hört übrigens auf den Namen Michael Blume – ein durchaus „israelkritischer“ Antisemitismusbeauftragter, den man vor vielen Jahren im Stuttgarter Behördenapparat geparkt hat und der dort seither die seltsamsten Weltdeutungen verbreitet. Eine davon dokumentierte Henryk M. Broder auf Achgut.com:
„Mit jedem Schritt zur Dekarbonisierung, der Förderung erneuerbarer Energien, von Bildung und der Verbesserung von Recycling können Akteure in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft nicht nur den Umwelt- und Klimaschutz fördern, sondern auch Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Frieden und die Überwindung antisemitischer Propaganda. Idealerweise können wir baden-württembergisches Engagement mit globaler Verantwortung verknüpfen und auch damit für eine Welt mit weniger Zerstörung, Hass, Antisemitismus und Rassismus wirken.“
What?
Blumes übergeordnete Theorie ist ein ideologisches Weltmodell, in dem sich alles in zwei Lager aufspaltet: die guten „Monisten“ und die bösen „Dualisten“.
Diesen Unsinn verbreitet Michael Blume, ein Staatsbeamter, auf seinem Blog scilogs.spektrum.de.
Blume dazu:
„Lässt sich der feindselige Dualismus am Symbol der menschlichen Hand erklären? Am Donnerstag, dem Internationalen Tag gegen Rassismus hatte ich dies erstmal in einer kaufmännischen Schule und in einem Polizeipräsidium versucht – und sehr positive, auch inhaltliche Resonanz erfahren.“
In seinen wildesten Momenten könnte man denken, Blume glaubt, dass die eine Seite, auf der Trump, Putin, Al-Qaida und andere „Rechtspopulisten“ stehen, an einer antimuslimischen Verschwörung gegen die deutsche Energiewende arbeite.
Doch das eigentliche Problem ist längst größer als Blume, Demir oder Laschyk. Es geht nicht mehr nur um ein paar durchgeknallte SPD-Abgeordnete, Grüne auf Apfelsinenkisten oder linke Hobby-Sherlocks. Das wirklich Erschreckende ist: Der Staat selbst ist zum ideellen Gesamtverschwörungstheoretiker geworden.
Anders lässt sich nicht erklären, dass in Frankfurt seit über einem Jahr eine Geschichte verhandelt wird, die nicht einmal TKKG, die Correctiv-Kreativabteilung oder John le Carré in seinem schlechtesten Roman je hätte ersinnen können: der sogenannte „Reichsbürger-Putsch“. Ein paar deutsche Rentner sollen ernsthaft geplant haben, die Bundesrepublik zu stürzen – aus eigener Kraft. Und weil man diese Posse in der Staatslogik für eine reale Bedrohung hält, umgibt man den Gerichtssaal mit NATO-Draht, transportiert betagte Herrschaften, die mitunter auf durchaus merkwürdige Gedanken kamen, aber freilich nie eine ernsthafte Gefahr darstellten, in gepanzerten Wagen an, klagt und klagt – und liefert kaum Beweise.
Das zeigt: Der verschwörungstheoretische Wahn ist längst keine Randerscheinung mehr. Er ist zum Systemgeist geworden – ein unsichtbarer Treiber, der politische Kultur, Medien und Justiz durchdringt. Und weil er so allgegenwärtig ist, erkennen seine Träger ihn nicht mehr. Sie halten sich sogar für seine entschlossenen Gegner, während sie längst selbst in ihm gefangen sind. Man kann es mit biblischer Präzision kritisieren: Den Splitter im Auge des anderen sehen sie glasklar – den Balken im eigenen nicht.
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