Vielfalt – die Stärke Israels

vor 7 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Mit seinem Beitrag „Wie Israels Regierung den Zionismus zerstört“ in der Südeutschen Zeitung, erschienen am 31. August, irrt der Historiker Michael Brenner.

Der Zionismus ist nicht zerstört, er ist in der Krise. Und zwar seit fast 2000 Jahren, seit Rom im Jahr 70 den zweiten jüdischen Tempel niedergebrannt, eine Million Juden getötet oder als Sklaven verschleppt hat und das damalige Israel in Palästina umfunktionieren wollte. Ergebnis: das Römische Reich ist ein durchaus eindrucksvolles Kapitel, eine Episode, die aber längst Geschichte ist.

Israel heißt wieder Israel und ist in jeder Hinsicht ein blühender Staat. Zur Zeit mal wieder im Modus Überlebenskrieg. Aber der Zionismus lebt und ist für 300.000 Soldaten und ihre Familien seit dem 7. Oktober 2023 eine wesentliche Motivation, den Staat der Juden zu verteidigen. Darunter zu wenige, aber immerhin auch einige Orthodoxe.

Ja, Israel blüht, weil es inzwischen von insgesamt zehn Millionen Säkularen und Orthodoxen, von Ashkenasen und Sefarden, von muslimischen und christlichen Arabern, von Drusen, Tscherkessen, Beduinen, von Gastarbeitern aus Gaza, Judäa, Samaria (Westjordanland) und aus Thailand und den Philippinen und auch von jüdischen Antisemiten und Israel-Hassern aufgebaut wurde und täglich belebt wird.

Genau das ist die Stärke des modernen Israel. Die Vielfalt, der gepflegte und der ungepflegte Streit zu Hause, am Arbeitsplatz und auf den Straßen und Plätzen in Tel Aviv. Wenn Staatsgründer David Ben Gurion heute durch Jerusalem, Haifa oder Beer Sheba gehen würde, er wäre sprachlos, aber stolz verzückt. Diesen Erfolg in nur 77 Jahren hätte er sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorstellen können.

2025 gibt es keinen Wassermangel, Energie zu bezahlbaren Preisen ist für die nächsten 50 Jahre gesichert, die öffentlichen Verkehrswege sind gut ausgebaut, die medizinische Versorgung in der Spitze weltführend, in der Masse zufriedenstellend, die Israel Air Force beherrscht fast ungestört den Luftraum zwischen Tel Aviv, Beirut, Damaskus, Bagdad, Teheran und Sanaa. Von Staats-Mitgründer Shimon Peres ist überliefert: 1948 hatten wir ein Israel, das im Norden mit Malaria verseucht und im Süden eine nicht zu kühlende Wüste war. In der Mitte haben wir zwei Meere, wovon eines tot ist.

Wer den Versuch unternimmt, Israel verstehen zu wollen, muss virtuell auf den Berg Sinai steigen und intellektuell in der Lage sein, den 360-Grad-Rund- und Rückblick zu haben. Der optische Horizont darf nicht das Ende des Denkprozesses sein. Der eingeengte Tunnelblick ist wenig hilfreich. Von dort oben würde er oder sie erkennen, dass man überall dort, wo die Werte der Zehn Gebote der Tora angestrebt und in allgemein gültige Gesetze gegossen sind, einigermaßen passabel leben kann. Freilich: das Bessere ist stets der Feind des Guten.

Wer allerdings gezielt und unablässig gegen „Du sollst nicht töten“ und „Du sollst nicht stehlen“ verstößt, lebt letztendlich hoffnungslos im Argen. Kurzfristige Erfolge täuschen. Ja, 2025 stellen erstmals die Nationalreligiösen und Orthodoxen die Mehrheit der 2,5 Millionen Schüler und Studenten, die am 1. September neu oder wieder in den Lernprozeß einsteigen. Das war schon im jüdischen Warschau in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Fall und trotzdem sind 30 Prozent der naturwissenschaftlichen Nobelpreisträger bis heute jüdisch.

Die erste war sogar eine Frau, die als Marie Curie in die Geschichte eingegangen ist, aber als Salomea Skłodowska im jüdischen Warschau geboren wurde. Jene seit dem Ghetto-Aufstand im Mai 1943 nicht mehr existierende Stadt, die 350.000 Juden beherbergte, mehrheitlich orthodox war und trotzdem mehr Tages- und Wochenzeitungen herausbrachte und auf mehr Theaterbühnen mehrsprachig spielte als Berlin, Paris und London. Nicht zu vergessen, auch mehr „Batei Haknesset“ – Synagogen – besaß, in deren Hinterzimmern rund um die Uhr Tora gelehrt wurde.

Ja, Israel kämpft seit 1948 gegen jede Menge äußere Feinde, aber auch gegen einen unablässigen inneren Gegner. Letzterer glaubt, er müsse das „Neue Israel“ schaffen, dass alles, was mit G´tt zu tun hat, von der Politik getrennt werden sollte.

Sie werden ebenso scheitern wie die Sozialisten und Kommunisten, die das „Neue Deutschland“ schaffen wollten. Nach 40 Jahre mussten sie ihre Sachen packen. Das einzige was davon übrig geblieben ist, sind Friedhöfe und Reste einer Mauer.

Die Tora ist kein Gebetbuch, sie ist ein Buch der Geschichte und der Gesetzgebung. In diesen Tagen ist unterhalb der Altstadt in Jerusalem ein riesiger Pool mit hebräischen Schriftzeichen ausgegraben worden, die jedes Schulkind in Israel lesen kann. Der Pool sicherte die Wasserversorgung der Region vor 2800 Jahren, also zu einer Zeit, als einer der jüdischen Könige Saul, David oder Salomon regierte. Wer das bezweifelt, ist kein Partner für eine offene Geschichtsdiskussion, sondern braucht dringend ärztliche Hilfe.

Ja, Israel ist gespalten – nicht nur – in Säkulare und Orthodoxe. Sie streiten und beschimpfen sich lautstark, vieles ist ungerecht. Aber der Streit ist weitgehend gewaltfrei. Es ist der äussere Feind, der Israels Existenz bedroht, aber die gesamte westliche Welt meint, deren Werte in der Tora manifestiert sind. Der oberste Wert ist das Leben, ein Geschenk G´ttes. Der äußere Feind, der extreme Islamismus – der andere ist kaum zu sehen – geht auf Tel Aviv ebenso los wie auf London, Paris, Madrid, Berlin und New York. Er sagt, predigt, schreibt und podcastet: „ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod. Deshalb werden wir euch besiegen“. Diese Todeskult-Ideologie war und ist noch immer die größte Gefahr für Israel und die westliche Welt. Bundeskanzler Friedrich Merz hatte richtig erkannt: „Israel mache die Drecksabreit für uns“. Aber er war nicht standhaft genug, für den tieferen Sinn dieser Aussage dauerhaft einzustehen.

Ernest Bevin, Außenminister Großbritanniens – wahrlich kein Freund der Juden – hat im Februar 1947 dem Parlament in London erklärt, warum das britische Mandat in Palästina gescheitert ist: die Juden wollen einen eigenen Staat, die Araber wollen genau das verhindern. Damals gab es keinen Netanyahu, keine besetzten Gebiete, noch nicht einmal Israel als Staat und auch keine Palästinenser. Aber einen angrundtiefen Hass im arabischen Lager gegen einen Zionismus, der kurz vor seinem Ziel war: der Gründung einer jüdischen Heimstatt in dem Land, das ihnen G´tt versprochen hat.

Es war Atef Seif, ein palästinensischer Schriftsteller und Sprecher der regierenden Fatah-Fraktion, der kürzlich schrieb: „Die Hamas hat einen historischen Präzedenzfall geschaffen, den keine andere Organisation, keine politische oder militärische Einheit vor ihr jemals irgendwo auf der Welt geschaffen hat. Die Geschichte wird vermerken, dass die Hamas die erste Organisation ist, die ihr Volk für ihr eigenes Überleben opfert.”

Israel verteidigt nicht nur sein Leben, sondern das Leben der westlichen Welt und ihrer Freunde. Die Kraft schöpft Israel aus der Tora, seiner 3200-jährigen Geschichte, die geprägt ist von der Liebe zum Leben.

Michael Brenner lehrt seit 1997 durchaus erfolgreich am Lehrstuhl für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Das schützt ihn aber nicht davor zu irren. Ministerpräsident Benjamin Netanyahu kann, soll und muss aus vielen Gründen kritisiert, demnächst vielleicht sogar abgewählt werden. Aber die Macht, den Zionismus zu zerstören, haben er und seine Regierung nicht. Michael Brenners Irrtum hat der SZ-Redaktion gut gefallen. Gegenteiliges hätte das Blatt vermutlich nicht veröffentlicht.

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