Völlig losgelöst

vor 15 Tagen

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Bildquelle: Apollo News

Was im Spiegel steht, ist vernichtend – man zitiert ja auch SPD-Politiker. Und die lassen kein gutes Haar an Friedrich Merz. „Wie ein Opa“ habe Merz in den Verhandlungen gesessen, entrückt und/oder überfordert, schreibt das Magazin.

Der wahre Verhandlungschef in der Union war Alexander Dobrindt – als es hitzig und eng wurde, klärte er die Streitfragen. Der Spiegel beschreibt ausführlich, wie Dobrindt zum De-Facto-Verhandlungsführer und ersten Kontaktmann für die SPD wurde – während Merz vor allem gejammert haben soll. Und im Kopf schon durch ganz andere Sphären schwebte.

Merz‘ Steckenpferd ist die Außenpolitik. Hier hat er schon als Oppositionsführer erste Schritte gewagt, hier gefällt er sich besonders gut. In den Feldern der Innenpolitik sieht es derweil ernüchternd aus, hier hat die SPD die Zügel in der Hand. Auf der internationalen Bühne jedoch kann Merz richtig auftrumpfen, hofft er zumindest.

Diese Hoffnung ist nicht unberechtigt. Denn viele Augen in Europa und darüber hinaus richten sich auf Deutschland, manch ein Land und manch ein Regierungschef erwartet jetzt Klarheit und Führung aus Berlin, die Scholz nie geliefert hat. Hier sieht sich Friedrich Merz berufen – er brüstet sich schon mit Kontakten zu den europäischen Nachbarn, mit geplanten Gesprächen mit Donald Trump. Im Kopf ist er schon in Washington, Paris, Warschau, London oder Brüssel. Weniger in Berlin, wo die Koalitionsverhandlungen sich irgendwie unter ihm hinweg entwickelten.

Dort, in Berlin, ist der wahre Kanzler abzusehen – Lars Klingbeil wird wohl eine Machtfülle auf sich vereinen wie lange kein Sozialdemokrat mehr und Finanzminister, Vizekanzler und Parteichef werden. Im imposanten Klotz- und Protzbau an der Wilhelmstraße, in dem das Finanzministerium sitzt, wird Klingbeil sich die Lufthoheit über die Koalition sichern.

Klingbeil hat vieles von dem, was Merz fehlt, vor allem Verhandlungsstärke. Während Merz abwesend von der Politik war und sein Geld in Aufsichtsräten verdiente, hat sich Klingbeil durch den Maschinenraum der Macht ganz nach oben gearbeitet. Kaum einer in Berlin beherrscht das Hinterzimmer so wie er. Hier hat er der Union schon die Hosen ausgezogen, als Merkel noch Kanzlerin und Friedrich Merz eine Figur aus der Vergangenheit war.

Als Nachfolger Christian Lindners wird er dessen Fähigkeiten als Verhinderer zu kopieren wissen, wenn es darauf ankommt. Schon der im Koalitionsvertrag festgehaltene „Finanzierungsvorbehalt“ hält fest, dass an Lars Klingbeil niemand vorbeikommen wird. Dazu die üppige Überrepräsentation der SPD am Kabinettstisch – kann Friedrich Merz dazwischen noch führen?

Daran glauben immer weniger, auch in seiner eigenen Partei. Merz selbst flüchtet sich daher auf die internationale Ebene. „Whatever it takes“, „Germany is back“ – alles auf Englisch formuliert, damit man es in Washington und überall anders auch mitbekommt. Vielleicht glaubt man ihm dort noch.

Hierzulande verfängt das, was Merz sagt, derweil bei immer weniger Menschen. Merz spricht davon, er habe mit seiner 180-Grad-Schuldenwende einen massiven „Kredit“ auf seine Glaubwürdigkeit aufgenommen. Mancher spricht in diesem Zusammenhang vielleicht eher von einer Insolvenz.

Aber mit der Wirtschaftswende und dem Politikwechsel werde das alles in Ordnung kommen, gibt er sich sicher. Seine Partei nach außen hin auch. Beim Generalsekretär Linnemann meint man aber, eine gewisse Leere und Müdigkeit festzustellen, wenn er gebetsmühlenartig diese alten Parolen abspielt.

Seine zackigen, markigen Sprüche im Stil von „einfach mal machen“ erscheinen nur noch hohl angesichts des Koalitionsvertrages, in dem die SPD sich weitgehend gegen die Union durchgesetzt hat. Glaubt er selbst noch an das, was er erzählt? Wahrscheinlich nicht. Denn er weiß wohl, was Friedrich Merz nur zu ahnen scheint – mit dieser SPD und vor allem diesem Koalitionsvertrag ist ein echter Politikwechsel zum Ding der Unmöglichkeit geworden, die Chance darauf tendiert gen Null.

International aber: Da kriegt wohl kaum einer mit, wie Friedrich Merz seine eigenen Versprechungen kassiert hat. Massive Schulden für Verteidigung werden hier nicht als Wortbruch interpretiert, sondern als Zeichen von Handlungsstärke und -willen. Ein erfrischender Kontrast zur Scholz-Zeit? Das wird sich zeigen.

Hier geht er voll auf. An einem Besuch in Washington arbeite man, und auch ein Besuch in Kiew sei bereits geplant, heißt es. Unmittelbar nach der Kanzlerwahl, vielleicht am historischen achten Mai. An diesem Tag jährt sich die Kapitulation der Wehrmacht und das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zum 80. Mal. Sehr viel Symbolkraft, sehr viel Show.

Die reale Macht in der Außenpolitik liegt mittlerweile de facto im Kanzleramt – und weil das Auswärtige Amt ungewöhnlicherweise der Kanzlerpartei CDU zufällt, dürfte Merz auch keine Streitigkeiten oder Querschüsse von dort erwarten, was zuletzt die Dynamik zwischen Baerbock und Scholz prägte. Überspitzt formuliert: Merz könnte unter Lars Klingbeil ein durchaus erfolgreicher Außenminister werden.

Vom politischen Hier und Jetzt in Deutschland jedenfalls scheint er abgekoppelt – die Verhandlungen führten andere in seinem Namen, während er verdattert dabeisitzt. Man verhandelt an ihm vorbei, über ihn hinweg, unter ihm hindurch.

Merz scheint das alles gar nicht zu tangieren. Beeindruckend sei es, erzählen Unionsleute dem Spiegel, wie wenig man Merz die Belastungen der letzten Wochen und Monate in den Verhandlungen angemerkt habe. Was den zukünftigen Kanzler stark und kraftvoll erscheinen lassen soll, kann genauso ein Zeugnis für seine Entrücktheit sein. Die Politik in Berlin jedenfalls machen andere. Merz schwebt derweil durch den weiten Raum der Außenpolitik – völlig losgelöst.

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