Vom liberalen Debattenblatt zur Postille des Shitbürgertums: Seit wann ist Giovanni di Lorenzo Gefangener der „Zeit“-Redaktion?

vor 3 Tagen

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Was macht eigentlich … Giovanni di Lorenzo? Und wo ist er? Möglicherweise in einem Keller am Hamburger Speersort an die Wärmepumpe angekettet? Die redaktionelle Linie seines Blattes scheint der Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit kaum zu bestimmen.

Die Zeit der bürgerlichen, zuweilen recht onkelhaften Leitartikel vergangener Jahrzehnte ist längst vorbei. Damals breiteten sich große Geister wie Marion Gräfin Dönhoff, Gerd Bucerius, Helmut Schmidt oder Theo Sommer über mehrere großformatige Seiten hinweg über das Weltgeschehen aus: „Dreierlei muss jetzt passieren: Erstens … Zweitens … Drittens…“Die Redaktionskonferenz stellte man sich als Leser wie eine Kabinettssitzung vor. Lauter hochseriöse, ja auch ziemlich versnobte Persönlichkeiten, die mühelos als Ersatzregierung hätten fungieren können, wenn der amtierenden etwas zugestoßen wäre. Immer schien alles von mehreren Seiten durchdacht, und wie es sich für das Leitmedium der liberalen Denkerkaste gehörte, wurden oft Pro- und Contra-Positionen einander gegenübergestellt. Den Leser hielt man offenbar für mündig genug, sich eine eigene Meinung zu bilden. Heute würde man sagen: brandgefährlich!

Marion Gräfin Dönhoff, damals Chefredakteurin, im Jahr 1972.

Giovanni di Lorenzo, der die Redaktion seit 2004 führt und noch „bis 2028 Vertrag hat“, wie man im Fußballer-Milieu zu sagen pflegt, stand immer für den liberalen Geist des Blattes. Mit Witz, Charme, Scharfsinn und intellektueller Offenheit verkörperte er die journalistischen Grundtugenden, zu denen er unbedingt auch die Meinungsvielfalt zählte: „Wir glauben, dass die Konfrontation mit unterschiedlichen Meinungen erst dazu führt, dass du dir selbst eine bilden kannst.“

Aber, ach: tempi passati! Die alte Tante Zeit ist in die Jahre gekommen, längst führt sie sich auf wie eine protestantische Schulmeisterin. Das einst bürgerlich-linksliberale Debattenblatt könnte man zuweilen mit der taz verwechseln, nur dass die Zeit meistens nicht gendert. Gut, Tilman Steffen schrieb mal: „Viele andere Wählende blieben dagegen diesmal zuhause“, obwohl Zuhausebleibende eben nicht wählen gehen, ergo Nichtwählende sind.

Als man im April verkündete, Die Zeit und Zeit online zusammenzulegen und di Lorenzo mit Jochen Wegner einen Co-Chefredakteur beizugesellen, um ihm die Hälfte der Macht zu nehmen (wobei es auch 90 Prozent sein könnten), war das nur der logische Schritt. Das Flaggschiff des Holtzbrinck-Verlags, das mit klugen Essays, tiefschürfenden Analysen und einer Prise hanseatischer Gelassenheit jahrzehntelang die deutsche Debatte geprägt hatte, krängte schon lange weit nach Backbord.

Ach, du liebe ZEIT! Altbundeskanzler Helmut Schmidt, von 1983 bis zu seinem Tod 2015 Mitherausgeber, erlebte die besseren Zeiten mit dem Blatt.

Vorbei die Zeit, als der Speersort in Hamburg der Ort war, an dem Konservative, Liberale und Linke noch miteinander redeten – oder sich zumindest gegenseitig lasen. Es begann schleichend. Irgendwann in den 2010er-Jahren, als die Fridays-for-Future-Bewegung noch in den Windeln lag und „Klimawandel“ noch nicht das Wort war, das jede zweite Schlagzeile dominierte, bemerkte man in der Redaktion, dass grüne Themen irgendwie hip waren. Plötzlich tauchten reihenweise Artikel auf, die nicht nur die Notwendigkeit von Klimaschutz betonten, sondern gleich die Abschaffung des Individualverkehrs, des Fleischkonsums und – warum nicht? – des Kapitalismus forderten.

Im Jahr 2020 widmete die Zeit ganze Dossiers der Frage, wie man „klimagerecht“ leben könne. Die Antwort: am besten in einer Öko-Kommune, ohne Auto, ohne Flugreisen und mit einem Ernährungsplan aus der Küche von Greta Thunberg. Der bürgerliche Leser, der vielleicht gerade mit seinem Diesel-SUV aus dem Urlaub zurückgekehrt war, fühlte sich zunehmend wie ein Umweltverbrecher – und das sollte er auch. Diskussionen über die Kosten von Klimaschutzmaßnahmen oder die Frage, ob Deutschland allein die Welt retten kann, wurden seltener. Stattdessen: Lobpreisungen für FFF.

Nicht anders bei der Migration. Ließen sich früher noch Artikel finden, die die Herausforderungen der Integration ebenso thematisierten wie die Chancen von geregelter Zuwanderung, wurde nun überall gefährlicher Rechtspopulismus gewittert. Plötzlich waren die Seiten voll von Beiträgen, die Migration als moralische Pflicht darstellten. 2019 schlug ein Autor vor, Deutschland solle seine Grenzen komplett öffnen, weil „Humanität keine Obergrenze kennt“.

Ausgerechnet „Helmut-Schmidt-Haus“ heißt das Bollwerk des linken Shitbürgertums in Hamburg.

Wohnraummangel? Überlastung der Sozialsysteme? Kriminalität? Diese heiklen Themen umschiffte die Zeit souverän. Sie brachte lieber Reportagen über geflüchtete Poeten, die in Berliner WG-Küchen Gedichte schreiben. Wer Zweifel an der ungebremsten Willkommenskultur äußerte, wurde schnell in die Ecke der „besorgten Bürger“ gestellt – in der Zeit mittlerweile eine Art Synonym für Nazi.

Ein Indiz für Giovanni di Lorenzos Kaltstellung ist die Talkshow „13 Fragen“, die er auf Zeit online moderierte. Früher wurden dort auch unbequeme Positionen auf den Tisch gebracht. Später gab es Diskussionen über Klimapolitik nur noch mit Gästen, die sich gegenseitig darin überboten, wer die radikalere Lösung vorschlägt. Über Migration spricht man nur noch mit Akteuren, die „grenzenlose Solidarität“ predigen.

Die zunehmende Entfremdung der Stammwählerschaft wird in Kauf genommen. In den Kommentarspalten beschweren sich Leser über die Einseitigkeit, während die Redaktion mit erhobenem Zeigefinger erklärt, warum bestimmte Themen „keine zwei Meinungen“ erlauben. Dönhoff, Bucerius und Schmidt hätten sich eher Tabasco in die Augen geträufelt, als so etwas zuzulassen.

2018 entbrannte eine hitzige Debatte um Mariam Lau, die es gewagt hatte, in ihrem Artikel „Oder soll man es lassen?“ die Frage zu stellen, ob man die sogenannte „private Seenotrettung“, also die Verbringung von Flüchtlingen nach Europa auf dem Seeweg, fortführen sollte. Die „Seenotretter“ seien längst Teil des Geschäftsmodells der Schlepper. Leugnete da jemand unsere humanitäre Verantwortung? Provokation! Zynismus! Das ging gar nicht. Der stellvertretende Chefredakteur und Politik-Ressortchef Bernd Ulrich entschuldigte sich via Twitter für die „umstrittene“ Überschrift.

Die Journalistin Mariam Lau kritisierte die private „Seenotrettung“ und erntete Empörung.

Eine andere Kontroverse entspann sich drei Jahre später um einen sogenannten „Kostümjuden“. Weil man hierzulande gern Juden zu Wort kommen lässt, an die man den eigenen Antisemitismus auslagern kann, schiebt man bei der Zeit gern jüdische „Israelkritiker“ wie Daniel Barenboim in die erste Reihe. Fabian Wolff, der seine linke israelfeindliche Haltung und seine positive Haltung zur BDS-Bewegung mit seiner vorgeblich jüdischen Herkunft abfederte, musste einräumen, dass er gar nicht jüdisch war. Seine jahrelang behauptete Zugehörigkeit zum Judentum habe auf falschen Aussagen seiner Mutter basiert.

Als in einem Artikel über die Energiewende im Jahr 2023 vorgeschlagen wurde, dass Deutschland komplett auf Wind- und Solarenergie umsteigen sollte, ohne auch nur einen Satz über die Kosten oder die Netzstabilität zu verlieren, löste das eine Flut an Leserbriefen aus. „Wo ist die alte Zeit geblieben?“, fragte ein Abonnent. Die Antwort an den renitenten Leser war ein weiterer Artikel über die „moralische Pflicht“ zur Energiewende. Nimm das, Klimaleugner!

Die Transformation des Blattes ist ein Lehrstück darüber, wie ein Medium, das einst für intellektuelle Vielfalt stand, zum Sprachrohr einer einzigen Ideologie werden kann. Klimawandel, Migration, Gender – die Themen werden nicht mehr diskutiert, sondern verkündet, gern im Stil einer Moralpredigt.

Von denen ließen sich vor allem in den Corona-Jahren viele finden. Während die Zeitung früher für ihre differenzierten Analysen und den Raum für kontroverse Meinungen geschätzt wurde, verfolgte sie in der „Pandemie“ zunehmend eine klare Linie zugunsten der von der Politik verhängten Corona-Maßnahmen. Lockdowns, Maskenpflicht, Impfkampagnen und 2G/3G-Regelungen wurden nicht nur als notwendig dargestellt, sondern oft als alternativlos gefeiert.

Kritiker der Corona-Maßnahmen wurden von der „Zeit“ als „Querdenker“, „Corona-Leugner“ und „Verschwörungstheoretiker“ abgekanzelt.

Die Maskenpflicht, als „neue Normalität“ verkauft, galt am Speersort als Zeichen von „Rücksicht“ und „Verantwortung“ – Begriffe, die in der Berichterstattung omnipräsent waren. Die Corona-Impfung wurde natürlich als „größte Impfaktion der Geschichte“ gepriesen, Zweifler als unverantwortliche „Querdenker“, „Corona-Leugner“ oder „Verschwörungstheoretiker“ geschmäht. „Eine Impfpflicht ist kein Angriff auf die Freiheit, sondern ein Akt der Solidarität“, war in dem einst liberalen Blatt zu lesen.

Was sich gehört und was nicht, darüber ist man sich im Justemilieu einig. Das kommt nicht bei jedem gut an. „Früher habe ich die Zeit gelesen, um mich herausfordern zu lassen. Heute fühle ich mich belehrt“, schrieb ein Zeit-Konsument 2021 in einem Leserbrief. Kein Wunder, wenn sich fast jeder Artikel liest, als sei er in linken Uniseminaren und NGO-Sitzkreisen ersonnen und persönlich von Mark Schieritz abgesegnet worden, der auf der Social-Media-Plattform X gern Beiträge von Dario Schramm, dem „Volksverpetzer“ und der Grünen Fraktion Berlin repostet.

Heute erscheinen in der Zeit Artikel, für die der verantwortliche Redakteur zu Zeiten Theo Sommers und der Gräfin – bei aller Toleranz für andere Meinungen – kopfüber aus einem Fenster des Verlagshauses gehängt worden wäre. Ein Josef Joffe, renommierter Journalist, Transatlantiker und einer der einflussreichsten Publizisten Deutschlands, kann da auch nicht mehr widersprechen, den ist man unter einem Vorwand etwas früher losgeworden als vereinbart.

Wurde Giovanni di Lorenzo kaltgestellt? Die ZEIT driftet immer weiter nach links ...

Jetzt haben linksradikale Aktivisten freie Bahn – obwohl Giovanni di Lorenzo einmal sagte: „Als Zeitungsredakteure sind wir keine Aktionisten“. Als solche gebärden sich die Mitarbeiter der Zeit aber längst. Ein wirklich israelfreundliches Blatt war sie nie, doch jetzt fallen dort offenbar alle Hemmungen. Ein recht polemischer Kommentar von Maxim Biller gegen den „Morbus Israel“ der Deutschen wurde nach einem Shitstorm offline genommen: „Unsere aufwändige redaktionelle Qualitätssicherung hat leider nicht gegriffen.“

Die „aufwändige redaktionelle Qualitätssicherung“ passierte dafür jetzt ein Hamasversteher-Stück über Melanie Schweizer, das sich zieht wie eine Rede unseres Bundespräsidenten. Schweizer bezeichnet auf ihrem X-Account Gaza als „das größte Konzentrationslager der Welt“ und den Staat Israel als „rassistisches, genozidales Apartheidsystem“, und verbreitet Horrorgeschichten über willkürliches Töten von Zivilisten, besonders Kindern.

Dafür wurde sie schließlich im Bundesministerium für Arbeit (Minister damals: Hubertus Heil) gefeuert, weshalb sich die Zeit jetzt für Schweizer in die Bresche wirft. „Darf man dieser Frau kündigen?“ fragt Henrik Rampe entsetzt. Die „Juristin mit Prädikatsexamen“ habe „provokante“ Tweets abgesetzt und „die Regierung kritisiert“, weshalb sie von der Bild verpetzt worden sei. Na, dann kann die Entlassung natürlich nicht gerechtfertigt sein! Das Mäßigungsgebot für Beamte sei ohnehin „Auslegungssache“.

Derweil schmachtet Giovanni di Lorenzo mutmaßlich in seinem Verlies, zur Strafe für seine Weigerung, den Wandel der Zeit in ein linkes Tendenzmedium und den Ersatz des Diskurses durch Haltung lautstark zu bejahen. Wann wohl ein Foto erscheint, auf dem er, einmal nicht elegant gekleidet und mit zerzaustem Haar, mit einem Schild „Seit 114 Tagen Gefangener der Zeit-Redaktion“ zu sehen ist? Und was wird dann wohl für seine Freilassung gefordert? Die Wiedereinstellung von Melanie Schweizer?

Neben di Lorenzo Teil der neuen „Doppelspitze“: Jochen Wegner

Der Chefredakteur passt erkennbar nicht mehr zum Haltungsjournalismus der Zeit-Genossen, er, der in der Print-Welt groß geworden ist, bis heute gedruckte Zeitungen liest und nichts in sozialen Netzwerken postet. Es muss ein kalter Putsch stattgefunden haben, der irgendwie unbemerkt an Meedia, Kress und turi2 vorbeigelaufen ist.

Der Zeit-Geist wehte zuletzt so kräftig durch die Redaktionsräume, dass man befürchten musste, er habe di Lorenzo von seinem Drehstuhl gepustet. Doch soeben erschien eine Meldung in eigener Sache: „Wir sind DIE ZEIT. In Zukunft heißen wir alle gleich – und führen auch die Redaktionen zusammen.“ Dort rühmen sich di Lorenzo und Wegner, mit der jüngsten Neugründung, Hochkant, auf TikTok (!) in guten Wochen mehr als zehn Millionen Aufrufe zu erreichen.

Immerhin gibt es das Ressort Streit, in dem zwei Personen mit gegensätzlichen Meinungen ein Thema diskutieren. Aber nur in der gedruckten Ausgabe, für die Old-School-Leser, ansonsten dürfen es gern weiter linke Predigten sein. Bis 2028 muss Giovanni di Lorenzo noch durchhalten, nunmehr an der Seite von Jochen Wegner. Da hilft nur eine Zwangsimpfung mit einer ordentlichen Dosis Moralin.

Mehr zum Thema:Wie „die Zeit“ vortäuschte, dass Clownswelt vom Verfassungsschutz beobachtet wird

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