Hat Ursula von der Leyen die brisanten Impfstoff-SMS gelöscht?

vor etwa 10 Stunden

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Diese Frage steht im Raum, seit die New York Times vor dem Europäischen Gerichtshof einen Teilerfolg gegen die EU-Kommission errungen hat. Die Zeitung hatte auf Grundlage des europäischen Transparenzrechts Einsicht in Textnachrichten verlangt, die Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Frühjahr 2021 mit Pfizer-CEO Albert Bourla ausgetauscht haben soll – also während der Verhandlungen über einen milliardenschweren Impfstoffvertrag.

Die Kommission erklärte, sie könne die Nachrichten nicht finden. Ob sie nie registriert, nie archiviert oder inzwischen gelöscht wurden, blieb unbeantwortet. Das Gericht in Luxemburg wies diese Argumentation nun als unzureichend zurück: Es sei nicht glaubhaft dargelegt worden, warum Dokumente von solcher politischen Tragweite nicht auffindbar seien. Damit wächst der Druck auf von der Leyen – ebenso wie der Verdacht auf gezielt herbeigeführte Intransparenz im Zentrum der europäischen Exekutive.

Es tun sich Fragen auf. NIUS geht den wichtigsten nach:

Ausgelöst wurde die Klage durch eine Journalistin der New York Times, die am 25. Januar 2023 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union Klage gegen die Kommission einreichte. Anlass war deren Weigerung, die angeforderten Nachrichten offenzulegen – obwohl bereits im April 2021 ein Bericht der Times belegt hatte, dass ein wesentlicher Teil der Impfstoffverhandlungen zwischen von der Leyen und Bourla über SMS und Anrufe geführt worden war. Dass ein derart weitreichender Milliardenvertrag auf diesem informellen Kommunikationsweg vorbereitet wurde, wirft bis heute Fragen auf – auch über die Rolle des europäischen Journalismus während der Corona-Zeit.

Die EU kannte nur einen Kurs und der war pharmatreu.

Die Klage der Times knüpfte direkt an eine frühere Anfrage von Alexander Fanta, Redakteur bei netzpolitik.org, an. Auf Grundlage von Artikel 42 der EU-Grundrechtecharta, der allen EU-Bürgerinnen und -Bürgern Zugang zu Dokumenten der EU-Institutionen einräumt – „unabhängig von der Form der für diese Dokumente verwendeten Träger“ – beantragte Fanta im Jahr 2021 Einsicht in die Nachrichten. Die Kommission lehnte ab: Es seien „keine Dokumente gefunden [worden], die in den Geltungsbereich Ihrer Anfrage fallen“. Fanta erklärte später auf Twitter, die Kommission habe in ihrer ersten Antwort sogar bestritten, dass solche Nachrichten überhaupt existieren – eine Aussage, die sich im Nachhinein als irreführend oder falsch herausstellte.

Zwei Jahre später gab das Gericht der New York Times recht: Die Kommission hätte die Anfrage nicht pauschal ablehnen dürfen. Im Zentrum der juristischen Auseinandersetzung stand die Frage, ob auch SMS-Nachrichten unter die Transparenzpflichten der EU fallen. Die Kommission hatte argumentiert, Textnachrichten seien von „kurzlebigem Charakter“ und enthielten keine wesentlichen Informationen – daher müssten sie nicht gespeichert oder zugänglich gemacht werden.

Doch das Gericht stellte klar: Die Kommission könne sich nicht einfach darauf berufen, keine Dokumente zu besitzen, ohne nachvollziehbar zu erklären, warum diese nicht auffindbar seien – insbesondere bei Nachrichten zu einem Vorgang von solch öffentlichem Interesse wie dem Pfizer-Vertrag. Die Times-Journalistin Matina Stevis-Gridneff, die auch die Klage eingereicht hatte, hielt in einem Bericht fest: Zwar habe die Kommission erklärt, die Nachrichten nicht finden zu können, „sie erläuterte jedoch nicht, wie umfassend sie danach gesucht hatte.“

Immer wieder wurde spekuliert, ob die Nachrichten gelöscht wurden. Doch eine solche Aussage hat Ursula von der Leyen selbst nie öffentlich gemacht. Der Verdacht nährt sich vielmehr aus einem früheren Fall: 2019, als Bundesverteidigungsministerin, stand sie in der Kritik, weil von ihrem Diensthandy sämtliche Gesprächsprotokolle gelöscht worden waren – angeblich infolge eines „Sicherheitsvorkommnisses“. Kritiker warfen ihr damals vor, auf diese Weise Beweismaterial zur Berateraffäre vernichtet zu haben.

Pfizer-Chef Albert Bourla

Davon darf man aus mindestens zwei guten Gründen ausgehen. Erstens wäre es ihr ein zweites Mal nicht mehr möglich gewesen, eine Löschung als Versehen darzustellen – denn an einen derartigen Zufall würde keiner mehr glauben. Wenn von der Leyen also behaupten würde, die Pfizer-SMS seien gelöscht, zöge das den – an Gewissheit grenzenden – Verdacht nach sich, dass sie aktiv Beweismittel vernichtet hat. Nach deutschem Strafrecht könnte das etwa als strafbare Urkundenunterdrückung (§ 274 StGB) interpretiert werden.

Zweitens geht aus den auf einer Pressekonferenz getätigten Ausführungen hervor, dass man das Einfachste nicht unternommen hat: Man hat offenbar nicht im Handy von der Leyens nachgeschaut.

Ein Journalist hatte gefragt:

„Können Sie uns heute der Klarheit halber sagen, ob diese Textnachrichten irgendwo innerhalb der Europäischen Kommission noch existieren – oder ob sie dauerhaft gelöscht wurden? Und falls sie noch existieren: Sind Sie nach diesem Urteil nun bereit, sie offenzulegen? Vielen Dank.“

Die Pressesprecherin antwortete:

„Wie Sie wissen, handelte es sich bei diesem Vorgang um einen Antrag auf Zugang zu Dokumenten. In solchen Fällen geht die Kommission stets zweistufig vor: Zunächst wird geprüft, ob registrierte Dokumente vorhanden sind, die in den Anwendungsbereich der Anfrage fallen. Diese erste Prüfung ergab, dass keine entsprechenden Dokumente registriert sind.

In einem zweiten Schritt wird geprüft, ob möglicherweise relevante Dokumente existieren, die bislang nicht registriert wurden. Dazu befragt die Kommission die jeweils Betroffenen. Auch diese weitergehende Prüfung wurde durchgeführt – doch als Ergebnis konnten keine Dokumente identifiziert werden, die unter die Anfrage fallen würden. So sieht grundsätzlich unser Verfahren bei Anträgen auf Dokumentenzugang aus.“

Demnach habe die Kommission Ursula von der Leyen abstrakt gefragt, ob nicht registrierte Dokumente existieren, die in den Rahmen der Anfrage fallen – was von der Leyen verneint habe. Die direkte Frage – „Sind die Pfizer-SMS noch auf Ihrem Handy?“ – stellte man ihr augenscheinlich nicht.

Klarheit könnte Ursula von der Leyen verschaffen, indem sie die Frage beantwortet, ob sie bereits in ihrem Handy nach den SMS gesucht hat. NIUS fragte sie diesbezüglich über die EU-Kommission an – die Antwort steht noch aus.

Die Pressesprecherin der Times wiederum sagte gegenüber NIUS:

„Die heutige Entscheidung ist ein Sieg für Transparenz und Rechenschaftspflicht in der Europäischen Union. Sie sendet eine klare Botschaft: Flüchtige Kommunikationsmittel wie Textnachrichten stehen nicht außerhalb öffentlicher Kontrolle. Das Gericht hat erkannt, dass die Europäische Kommission mit diesem Antrag nicht korrekt umgegangen ist, und deutlich gemacht, dass auch Beamte verpflichtet sind, Textnachrichten wie jedes andere behördliche Dokument zu behandeln. Wir haben diesen Fall angestrengt, weil europäische Bürgerinnen und Bürger ein Recht darauf haben zu erfahren, wie ihre politischen Führungskräfte handeln – und wie Steuergelder verwendet werden. Wir bleiben unserem Anspruch auf rigorosen, unabhängigen Journalismus verpflichtet, der Macht zur Rechenschaft zieht.“

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