Von der Leyens Flug: Kein Beleg für russische GPS-Störung

vor etwa 24 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Am vergangenen Sonntag geriet Ursula von der Leyens Regierungsjet beim Anflug auf das bulgarische Plowdiw angeblich ins Visier russischer Störsender – so zumindest die offizielle Erzählung. Die „Financial Times“ sprach von einem GPS-Ausfall, Brüssel ließ durchblicken, Russland könne verantwortlich sein. Von einer Notlandung mit Papierkarte war die Rede. Prompt griffen Medien von BILD bis ZEIT die Geschichte begierig auf, flankiert von einem EU-Kommunikationsapparat, der gewohnt routiniert auf geopolitische Dramatisierung schaltete.

Doch was wirklich geschah, lässt sich – anders als bei Mythen – nachprüfen. Und die nüchternen Daten sprechen eine ganz andere Sprache. Flightradar24 veröffentlichte Transponderdaten, die eine vollständige GPS-Abdeckung vom Start bis zur Landung belegen. Der Jet hatte neun Minuten Verspätung – nicht eine Stunde. Auch das angebliche Kreisen über Bulgarien zur Lageeinschätzung hat nie stattgefunden. Die Geschichte vom heldenhaften Piloten mit Karte auf dem Knie ist offenbar Fiktion.

Bulgarische Behörden stellen nun klar: Es habe keine ernsthafte Signalstörung gegeben. Verkehrsminister Karadzhov bestätigte: „Nach empirischen Daten, nach der Funkaufklärung, den Aufzeichnungen unserer zivilen und militärischen Behörden gibt es keinen einzigen Fakt, der die Behauptung stützt, dass das GPS-Signal des Flugzeugs gestört wurde.“ Auch der Flughafenchef von Plowdiw wiegelte ab: Der Flug sei ganz normal verlaufen, man habe schlicht auf das Standard-Instrumentenlandesystem (ILS) umgeschaltet – ein Routinevorgang bei schwankendem GPS.

Den entscheidenden Schlag gegen das aufgebaute Narrativ aber liefert die Flightradar24. Das Flugportal veröffentlichte auf X (vormals Twitter) die vollständige Transponderanalyse des Fluges – und legt offen, dass der Jet von Ursula von der Leyen zu keinem Zeitpunkt das GPS-Signal verlor. Der Flug verlief regulär, die Verspätung bei der Landung betrug exakt neun Minuten, nicht „rund eine Stunde“, wie zuvor von Medien kolportiert. Die These, das Flugzeug habe wegen fehlender Navigation „Schleifen über Bulgarien gezogen“, war damit mindestens mit einem überaus großen Fragezeichen versehen.

Man habe „niemals von einer gezielten Attacke gesprochen“, so Sprecherin Arianna Podestà, und „keine eigene Information“ gehabt. Anders formuliert: Man ließ es einfach geschehen – wissend, wie nützlich der Verdacht ist. Besonders aufschlussreich ist der Moment der Eskalation: Als erste Berichte auftauchten, sprang der EU-Apparat ohne Zögern auf das Narrativ auf – inklusive Andeutung russischer Urheberschaft. Kremlsprecher Dmitri Peskow sprach von „Falschinformationen“ und sollte hier offenbar Recht behalten. Dass sich nachweislich nichts von dem bestätigte, was anfangs behauptet wurde, wird inzwischen kleinlaut eingeräumt.

Dass von der Leyens Jet problemlos landete, keine Gefahr bestand und der Vorfall eher ein Beispiel für operative Normalität als für feindliche Sabotage war – all das passt nicht zur politischen Erzählung. Doch Flightradar-Daten, Behördenaussagen und technische Fakten lassen sich nicht ewig übergehen. Und sie zeigen: Hier wurde ein Phantom gejagt – mit voller medialer Absicht.

Wäre die Erzählung vom angeblichen russischen GPS-Angriff auf das Flugzeug der EU-Kommissionspräsidentin nicht durch reale Flugdaten und Radarprotokolle entzaubert worden, hätte sie sich im digitalen Raum rasant weiterverbreitet – als offizielles Narrativ mit scheinbar hohem Wahrheitsgehalt. Unter den Regeln des neuen Digital Services Act (DSA) hätte genau diese Situation genutzt werden können, um Kritik an der Darstellung der Kommission unter dem Vorwand der „Desinformationsabwehr“ algorithmisch zu drosseln oder zu löschen. Denn der DSA erlaubt es Regierungen und EU-Behörden, über sogenannte „vertrauenswürdige Hinweisgeber“ gezielt Inhalte auf großen Plattformen zu melden – mit privilegiertem Zugang zur Moderation.

Besonders brisant: Der DSA unterscheidet nicht zwischen unabhängigen Fakten und politisch motivierten Behauptungen, solange eine staatliche Stelle sie als „schützenswert“ oder „desinformationsanfällig“ einstuft. Damit entsteht ein gefährlicher Ermessensspielraum für Narrative, die nicht mehr durch journalistische Gegendarstellungen oder öffentliche Debatte, sondern durch administrative Intervention verteidigt werden. Wäre etwa der Widerspruch durch Flightradar24 – eine zivile, datengestützte Quelle – unterbunden oder abgewertet worden, hätte sich die Erzählung vom russischen Angriff als Wahrheit festgesetzt, mit dramatischen Folgen für Öffentlichkeit, Diplomatie und Medienfreiheit.

Der Fall zeigt exemplarisch, wie leicht unter dem Deckmantel des DSA aus Falschdarstellungen offizielle Wahrheiten werden können – und wie schwer es kritischen Stimmen gemacht wird, gegenzuhalten. Denn der DSA kippt das Verhältnis um: Nicht mehr der Staat muss beweisen, dass ein Inhalt falsch ist – der Betroffene muss nachweisen, dass seine Darstellung zulässig ist. Besonders in geopolitisch sensiblen Fragen wie Krieg, Migration oder Energiepolitik droht damit ein digitaler Präzedenzfall: Desinformation durch Dekret, abgesegnet von Brüssel, durchgesetzt von Plattformen, mit stiller Zustimmung vieler Regierungen. Ein demokratischer Diskurs aber braucht das genaue Gegenteil: die Freiheit, offizielle Erzählungen zu hinterfragen – selbst dann, wenn sie von einer Kommissionspräsidentin kommen.

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