
Die neue KI-Entwicklung DeepSeek hat an den Börsen und in den Medien für große Überraschung gesorgt. Dabei war es nur eine Frage der Zeit, bis so eine Innovation aus China kommt. Das Reich der Mitte ist schon seit mehr als 10 Jahren dabei, die Entwicklung von künstlicher Intelligenz verschärft voranzutreiben und sich so eine weltweit herrschende Stellung zu erarbeiten. Während die USA das schon längst mitbekommen haben, hat Europa geschlafen. Auch wenn hier chinesische und amerikanische Technologie-Giganten gegeneinander antreten, steht gerade Europa im Zentrum des Interesses. Und im Zentrum einer globalen Machtfrage.
Die Funktionsweise der chinesischen KI entspricht im Grunde genommen der Funktionsweise von anderer künstliche Intelligenz auch. Es gibt hier nur einen Unterschied, der darin liegt, dass die Verarbeitung von Daten aufgeteilt wird. Eine Anfrage, dann sucht die KI gezielt in Datenbanken und nutzt gezielt nur die Netzwerke, die zum Thema der Suchanfrage passen. Wenn es also medizinische Themen geht, dann wird eine Datenbank und ein Netzwerk genutzt, das auf Medizin spezialisiert ist. Wenn es um Reisen geht, dann nutzt die KI hier Netzwerke, die auf Reise spezialisiert sind.
Vor allem wegen geringer Kosten brachte DeepSeek zum Start den Markt ins Wackeln.
Das ist also so wie mit einem Werkzeugkasten: je nachdem, was gemacht werden soll, man greift das passende Werkzeug. Damit kann die KI sehr schnell präzise Antworten liefern. Denn die Suche funktioniert schnell, weil sie eingegrenzt ist. Und das Formulieren der Antwort funktioniert ebenfalls schnell, weil das genutzte KI-Modell genau auf diese Art von Antworten vortrainiert ist.
DeepSeek ist in dem Sinne also keine eigene neue KI, sondern eine Art Überbau oder ein Portal, das spezialisierte KI-Modelle vereint und zusammenfasst wie in einer Art Bibliothek oder eben wie in einem Werkzeugkasten. So etwas gab es bisher mit dieser Leistungsfähigkeit und mit dieser Verlässlichkeit nicht.
Künstliche Intelligenz wie beispielsweise bei Chat GPT und anderen Anwendungen funktionierte bisher nach folgendem Prinzip: Es gibt eine riesige Datenbank und es gibt ein KI-Modell, also ein generelles großes Werkzeug. Mit einem riesigen Datenbestand muss die KI erst einmal trainiert werden, damit sie grundsätzlich das kann, was sie später leisten soll. Bei ChatGPT ist das, menschliche Sprache zu verstehen. Dafür sind riesige Datenmengen notwendig. Denn es gibt sehr viele unterschiedliche Sprachen auf der Welt, die auch noch alle eine eigene Grammatik und Besonderheiten haben. Deswegen dauert das Training extrem lange und das KI Modell ist entsprechend komplex und kompliziert aufgebaut. Dafür weiß das Modell aber auch sozusagen sehr viel und kann so gut wie alle Fragen beantworten. Wenn Fragen gestellt werden, dann muss die KI zunächst einmal die richtigen Daten im riesigen Datenbestand finden und dann eine passende Antwort formulieren. Das erfordert extrem viel Rechenkapazitäten und Energie. Chat GPT kann zwar sehr schnell und scheinbar ganz leicht unsere Fragen beantworten, aber das geht eben nur, weil im Hintergrund sehr leistungsfähige Mikrochips große Rechenzentren und leistungsfähige Internet Netzwerke auf Hochtouren laufen.
Das ist bei DeepSeek eben anders. Weil die chinesische KI sich erst einmal die richtigen Werkzeuge sucht und auch gezielt in den passenden Daten, ist der Rechenaufwand und der Energiebedarf deutlich geringer. Die chinesische KI musste auch selber keine riesigen Datenmengen verarbeiten und kein eigenes kompliziertes KI Modell aufbauen, sondern sie bedient sich ja an bestehenden KI-Modellen, die schon fertig sind und schaltet diese sozusagen zusammen.
Damit war der Aufwand samt Kosten natürlich deutlich niedriger. Und das Ergebnis ist trotzdem gut und leistungsfähig. Deswegen gab und gibt es so viel Aufregung. Weil es hier ein Beispiel gibt, dass auch zu deutlich geringeren Kosten eine leistungsfähige KI erstellt werden kann. Allerdings muss man hier vorsichtig sein. Denn niemand weiß wirklich, wie teuer oder günstig die Entwicklung war. Wahrscheinlich wird auch die Entwicklung von DeepSeek mehrere 100 Millionen Dollar gekostet haben. Um sich selber zu feiern und um den Konkurrenten in den USA eins auszuwischen, behaupten die Chinesen, dass es nur fünf oder sechs Millionen Dollar gekostet hätte.
Denn das ist es, worum es hier eigentlich geht. Es ist ein Kampf der Systeme. Und das gleich im doppelten Sinne. Ein Kampf der KI-Systeme. Und ein Kampf der politischen und wirtschaftlichen Systeme. China gegen die USA. Und Europa irgendwo dazwischen.
Dass eine Erfindung wie DeepSeek aus China kommt, ist für Fachleute nicht überraschend. Denn China hat schon vor mehr als zehn Jahren damit begonnen, sich eine Vorherrschaft bei künstlicher Intelligenz zu erarbeiten. Zunächst in Asien und im nächsten Schritt auch weltweit. Der Plan mit dem Namen „Made in China 2025“ wurde 2015 von der chinesischen Regierung ins Leben gerufen, um die industrielle Entwicklung des Landes grundlegend zu transformieren und China zu einem globalen Führer in der Hochtechnologie zu machen.
Ziel des Plans ist es, die chinesische Industrie von einer arbeitsintensiven Produktion hin zu einer technologieintensiven und automatisierten Fertigung zu entwickeln. Dafür braucht man KI. Der Plan konzentriert sich auf zehn strategische Sektoren, darunter Robotik, Luft- und Raumfahrt, Schiffbau, Informations- und Kommunikationstechnologie sowie neue Energien.
Um diese Ziele zu erreichen, sind erhebliche staatliche Investitionen in Forschung und Entwicklung vorgesehen. Die Regierung fördert zudem Partnerschaften mit internationalen Unternehmen und Forschungseinrichtungen, um technologische Fortschritte zu beschleunigen. China war über viele Jahre dafür bekannt, erfolgreiche Produkte und Technologien aus dem Westen zu kopieren. Das reicht der chinesischen Führung aber nicht mehr, denn Märkte werden nicht durch Kopien erobert und beherrscht, sondern nur durch neue und überlegene Produkte und Technologien. DeepSeek ist ein Beispiel für diese Strategie: von der Imitation zur Innovation.
Größter Gegner der Chinesen sind dabei die USA. Die Vereinigten Staaten setzen unter Donald Trump ebenfalls voll auf neue Technologien und künstliche Intelligenz.
Trump präsentierte kurz nach Amtseintritt eine Executive Order, welche KI von ideologischen Vorbehalten befreien soll.
Jüngstes Beispiel dafür ist das Projekt Stargate. Hier sollen 500 Milliarden Dollar in die Entwicklung von künstlicher Intelligenz investiert werden. Dazu will die amerikanische Regierung zusammen mit großen Konzernen wie Microsoft, Oracle oder Softbank massiv Infrastruktur, Rechenzentren und Forschung und Entwicklung aufbauen, um den Vorsprung in Sachen künstlicher Intelligenz für die USA zu sichern. Das ist eine klare Kampfansage an China, das so ein Entwicklungsprogramm schon seit mehr als zehn Jahren umsetzt, nur leiser und unauffälliger.
Wie viel Geld in China genau in die Entwicklung von KI investiert wird, das lässt sich von außen nicht sagen, denn es wird geheim gehalten. Schätzungen und Berechnungen gehen davon aus, dass pro Jahr zwischen 20 und 30 Milliarden Euro staatliches und privates Kapital in China allein in die Entwicklung und Erforschung von künstlicher Intelligenz investiert werden. Dreh- und Angelpunkt dieser Entwicklung sind dabei Universitäten in China und Forschungsinstitute, die sich auf künstliche Intelligenz spezialisiert haben. In China gibt es mittlerweile fast 500 Universitäten, an denen man Künstliche Intelligenz studieren kann. In Deutschland gibt es insgesamt und für alle Studienmöglichkeiten rund 400 Universitäten – von denen nur an einigen Künstliche Intelligenz als Studienfach angeboten wird.
China setzt also wie immer auf Masse. Dass bei dieser schieren Menge an Studienmöglichkeiten, Forschung und Entwicklung irgendwann etwas Besonderes und Innovatives herauskommen muss, ist also nur eine Frage der Zeit gewesen. Aber China kann beim Thema Künstliche Intelligenz auch mit hoher Qualität punkten. Laut dem KI-Jahresbericht 2023 der Stanford University sind die ersten neun Plätze der zehn besten KI-Forschungseinrichtungen weltweit durch chinesische Universitäten belegt. Erst auf Platz zehn folgt das MIT (Massachusets Institute of Technology) in den USA, das als die „Geburtsstätte der KI“ gilt. Von der Zhejiang Universität oder dem Harbin Institute of Technology hat man in Deutschland wahrscheinlich noch nie etwas in der Öffentlichkeit gehört. Aber hier wird die KI von morgen gemacht, die uns jetzt auch in Deutschland erreicht.
China nutzt die Entwicklungen in Sachen Künstlicher Intelligenz als strategischen Vorteil in mehreren Bereichen. Zum einen natürlich in der Wirtschaft, denn die chinesische Industrie ist mittlerweile sehr hoch entwickelt und konkurrenzfähig. Das sehen wir z.B bei der Autoindustrie, wo chinesische Elektroautos die deutschen Hersteller immer mehr vom Markt verdrängen und in den Schatten stellen. Ähnliches passiert auch in anderen Industriezweigen. Wenn Künstliche Intelligenz in die industrielle Produktion integriert wird, dann steigt hier die Produktivität und damit die Wettbewerbsfähigkeit noch einmal deutlich. Genau das passiert in China, wo immer mehr Unternehmen auf automatisierte und KI-gesteuerte Produktion setzen. Damit überholen chinesische Unternehmen ihre Konkurrenten aus den USA und gewinnen immer mehr Marktanteile.
Während in den USA der Einsatz von KI in der Industrie schnell vorankommt, sieht es in Europa und Deutschland anders aus. Die deutsche Industrie hinkt beim KI-Einsatz China und den USA mindestens fünf Jahre hinterher. Auch das ist ein Grund, warum die deutsche Industrie immer weniger wettbewerbsfähig wird und sich Deutschland mittlerweile im dritten Jahr einer Rezession befindet.
Ein anderes Feld für den strategischen Einsatz für Künstliche Intelligenz ist in China natürlich das Militär. Große Teile der KI-Forschung und der KI-Entwicklung in China haben sich darauf spezialisiert, künstliche Intelligenz in Waffen und in Verteidigungs- und Angriffssystemen zu verwenden. Das reicht von KI-gesteuerten und autonom fliegenden Drohnen bis hin zu vernetzten Waffensystemen aus Raketen und autonom fahrenden Panzern oder Schiffen. Auch hier ist China technologisch Europa weit überlegen und mittlerweile ein echter Konkurrent und eine echte Gefahr für die USA.
Ein drittes Feld für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz ist die öffentliche Verwaltung in China und der gesamte Staat. Im Unterschied zu Deutschland ist der chinesische Staat mehr oder weniger komplett durchdigitalisiert. Egal ob es um Ämter oder Behörden geht, das Rathaus in einer kleinen chinesischen Stadt oder die Krankenversicherung: Alles läuft online. Diese ganzen öffentlichen und staatlichen Strukturen und Anwendungen sind ein riesengroßes Experimentierfeld für die Entwicklung von neuen KI-Lösungen. Zudem gibt es in China massenhaft Daten. Einmal natürlich, weil die Bevölkerung mit mehr als einer Milliarde Menschen riesig ist, fast doppelt so groß wie die Bevölkerung in Europa. Und weil alle diese Menschen immer und überall in ihrem Leben durch die komplette Digitalisierung des Alltags andauernd Daten erzeugen. Von solchen Datenmengen können KI-Entwickler in Europa nur träumen. Während in Europa die Nutzung dieser Daten sehr streng limitiert und reguliert und begrenzt ist, gibt es in China praktisch keine Begrenzungen und alle Daten können und sollen für alle möglichen Experimente und Entwicklungen genutzt werden. Das ist gerade bei Künstlicher Intelligenz ein unschlagbarer Vorteil, weil KI für die Entwicklung einfach so viele Daten wie möglich braucht, um gut zu funktionieren.
Die Ergebnisse dieser Anstrengungen und dieser Strategie sehen wir jetzt und wir werden sie in Zukunft noch öfter sehen. Was TikTok vorgemacht hat, indem es als chinesisches Produkt die digitalen globalen Märkte erobert hat, macht nun DeepSeek nach. China baut mit digitalen Technologien und Plattformen seine globale Dominanz immer weiter aus. Das nützt der chinesischen Industrie und Wirtschaft und es schwächt die Industrie und Wirtschaft in den USA und vor allen Dingen auch in Europa und Deutschland zunehmend. Diese Vorherrschaft und diese Dominanz Chinas kann auch als eine neue Form des digitalen Kolonialismus bezeichnet werden. Denn Globalisierung und gegenseitige Beeinflussungen werden durch Digitalisierung noch enger und bedeutender. Unsere Welt ist nicht mehr nur über Geschäfte und Warenströme verbunden.
Datenströme und Wissen sind entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg, Wohlstand, Einfluss und militärische Macht. Wer die analogen und die digitalen Wege kontrolliert, der hat die Voraussetzungen für globale Macht.
Europa ist bereits zu einem Exporteur von „Rohstoffen“ geworden. Daten werden exportiert und in den USA und zunehmend in China genutzt, veredelt und zu hochwertigen Export-Gütern gemacht. Damit verschiebt sich Wohlstand und Macht. Daten über Menschen und ihr Verhalten sind der Rohstoff für Wertschöpfung und Gewinne mit KI. Nicht nur die großen US-Technologiekonzerne sind Meister in diesem Geschäft. Auch und gerade chinesische Unternehmen nutzen KI in verschiedenen Formen, um hier alle Potenziale zu nutzen und möglichst alles aus uns „herauszuholen“.
Europa ist da ein besonders verlockender Markt für China, denn die Europäische Union hat mit mehr als 500 Millionen Menschen sehr viele potenzielle Nutzer und ein gutes Geschäft zu bieten. Zudem gibt es in Europa keine einheimischen KI-Anbieter, die es in ihrer Größe und Leistungsfähigkeit mit den chinesischen KI-Unternehmen aufnehmen könnten oder auch nur annähernd in einer Liga mit den amerikanischen Riesen wie Google, Amazon Microsoft oder Nvidia mitspielen könnten.
Deswegen ist Europa das neue Schlachtfeld um die technologische Vorherrschaft zwischen den USA und China. China schottet seinen Markt ab und lässt niemanden herein. Und auch in den USA weht ein anderer Wind, der chinesische Einflüsse abhalten und zurückdrängen soll. Ein Beispiel dafür ist, dass TikTok in den USA entweder an ein amerikanisches Unternehmen verkauft werden soll oder es verboten wird. Deswegen ist Europa und der europäische Markt die Arena, in der der Kampf zwischen den amerikanischen und chinesischen KI-Giganten letztlich entschieden wird. Wer hier gewinnt der hat die globale Vorherrschaft.
Kein EU-Mitgliedsstaat stellt derzeit einen Konkurrenten zu den großen Tech-Unternehmen in den USA wie Amazon, Facebook und Google oder deren chinesischen Pendants wie Alibaba, Tencent und Baidu. Das bedeutet aber nicht, dass die EU- Mitgliedsstaaten nicht das Zeug dazu haben, eine ernstzunehmende Kraft im Tech-Bereich zu sein. Europa ist die Heimat von rund 6 Millionen Softwareentwicklern, im Vergleich zu etwas mehr als vier Millionen in den USA, und einer Vielzahl von Tech-Hubs – von den klassischen Top-Drei in London, Berlin und Paris bis zu den weniger bekannten in Stockholm, Amsterdam, Barcelona, Dublin, Helsinki und Madrid. Die EU-Länder haben einen enormen Vorteil durch die Freizügigkeit von Menschen und Kapital. In der KI-Forschung und -Entwicklung kann Europa zwar nicht in punkto Masse mit China und den USA konkurrieren, aber durchaus in punkto Klasse.
Das Potenzial ist in Europa also durchaus vorhanden und das Rennen bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz ist noch lange nicht gelaufen. Es wird immer neue Überraschungen und Sprünge geben. Das hat ja gerade DeepSeek eindrucksvoll bewiesen. Genauso gut könnte die nächste KI-Überraschung auch aus Europa kommen. Doch dafür braucht es in Europa auch eine entsprechende Fokussierung – und vor allen Dingen die finanzielle Ausstattung wie beispielsweise beim Stargate Projekt in den USA. Dabei muss das Geld gar nicht aus öffentlichen Kassen kommen, sondern die Rahmenbedingungen und die Anreize für privates Risikokapital müssen in Europa verbessert werden, so dass es sich lohnt, in europäische Forschung und Entwicklung zu investieren. Gleichzeitig müssen die strengen Regelungen und Vorschriften für Künstliche Intelligenz in Europa gelockert, wenn nicht sogar gestrichen werden.
Donald Trump hat diese Regulierungen in den USA beispielsweise kürzlich komplett gestrichen. Und in China gab es sie noch nie. Mindestens ebenso wichtig ist aber auch ein klares politisches Bekenntnis und ein Fokus auf dieses Thema. Solange in Europa ideologische Projekte wie der Green Deal, Lieferkettensorgfaltspflichtengesetze oder postkolonialistische Vergangenheitsbewältigung die Agenda bestimmen, wird Europa im Kampf um die Zukunftstechnologien nicht vorne mitspielen können.
* Prof. Dr. Andreas Moring ist Wirtschaftsprofessor und langjähriger Unternehmer in der Digitalwirtschaft. Er ist stellvertrentender Landesvorsitzender der FDP und kandidiert für die Hamburger Bürgerschaft.
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