Vorgetäuschte Moral – Heuchelei als Geschäftsmodell

vor 17 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Inzwischen gibt es so gut wie keine Handlung mehr in Deutschland, die nicht moralisch überhöht wird. Das gilt nicht nur in der Politik, wo es die grün-linken Neo-Jakobiner ja längst geschafft haben, dass vermeintlich gute Absichten wichtiger geworden sind als tatsächlich verheerende Folgen.

Der Ungeist, auch noch den kleinsten Schritt irgendwie ethisch zu begründen, hat längst auch die Wirtschaft erfasst. Das Wort „Profit“ wird gemieden, obwohl es die unverzichtbare Grundlage nicht nur jedes Unternehmens ist – sondern unseres Wohlstands insgesamt, unserer Kultur und unserer Lebensart.

Manchmal treibt dieser Drang, jedwedes Gewinnstreben unbedingt zu verbergen, sehr skurrile Blüten.

Das mittlerweile leider recht heruntergekommene „Kranzler-Eck“ in Berlin ist eine Einkaufs- und Geschäftspassage am mittlerweile leider nicht weniger heruntergekommenen Kurfürstendamm. Im öffentlich begehbaren Innenhof des Gebäudekomplexes stehen seit einem knappen Vierteljahrhundert zwei große Volieren.

Beide sind jeweils 22 Meter hoch, imposant und ein Besuchermagnet. Ursprünglich lebten dort mehr als 100 Sittiche. Inzwischen sind es noch 15 Vögel – doch noch in dieser Woche werden auch die verschwunden sein. Die Volieren werden abgebaut.

Die Liegenschaftsverwaltung – neudeutsch „Facility Management“ – erledigt seit Jahren die Firma Apleona. Sie begründet den Auszug der Sittiche gegenüber der Berliner Zeitung „Tagesspiegel“ mit leicht irritierendem Pathos: „Wir können die Käfighaltung mit unserem Gewissen nicht länger vereinbaren.“

Das überrascht etwas, denn die Vögel werden keineswegs ausgewildert. Das würden die Tiere, die niemals in freier Natur gelebt haben, auch keine zwei Tage überleben. Die Sittiche werden in die Vogelburg Weilrod im hessischen Naturpark Hochtaunus verlegt. Dort hält man sie, wir ahnten es schon, natürlich weiter in Volieren.

Dass Vögel in Volieren leben, können die Damen und Herren bei Apleona also offensichtlich sehr gut mit ihrem Gewissen vereinbaren. Nur sollen es bitteschön nicht die eigenen Volieren sein. Der Volksmund hat dafür den Begriff Sankt-Florians-Prinzip geprägt:

„Heiliger Sankt Florian: Verschon’ mein Haus, zünd’ andre an.“

Allerdings darf man bei näherer Betrachtung bezweifeln, dass Apleona tatsächlich irgendein wie auch immer gelagertes Interesse an den Sittichen hat. Deren Umsiedlung dürfte vielmehr handfeste wirtschaftliche Gründe haben: Die Volieren sind alt und sanierungsbedürftig. Ihre Instandsetzung wäre recht teuer geworden.

Außerdem hat der Versicherungskonzern Axa, dem das ganze Areal gehört, Pläne für eine weitgehende Neugestaltung. Der Innenhof, in dem jetzt die Volieren stehen, soll begrünt und künftig als Veranstaltungsort genutzt werden. Damit, auch das ahnten wir, sollen mehr Besucher angelockt werden, mit denen sich dann mehr Geld verdienen lässt als bisher. Das ist völlig normal in der Marktwirtschaft – oder sollte es sein.

Doch stattdessen tischt uns Apleona das Märchen vom Gewissen auf.

Glenn Close hat in Hollywood eine beachtliche Karriere als Filmschauspielerin gemacht. Mit vorgetäuschter Moral kennt sie sich also aus. Ein Zitat der US-Künstlerin über ihre Zeit im Kino-Business passt perfekt zu unseren Berliner Vogelkäfigen:

Das Gegenteil der Heiligen sind nicht die Sünder, sondern die Scheinheiligen.

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