VW ist besser als sein Ruf

vor 3 Monaten

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Jede Wissenschaft hat ihre fundamentalen Lehrsätze. Ökonomen und empirische Wirtschaftswissenschaftler etwa sind der festen Meinung: „Statistiken lügen nicht“! – Auch wenn diese Vorgabe laut Winston Churchill nur dann gilt, wenn man sie zuvor selbst gefälscht hat.

Fakt ist: Die deutschen Statistiken zählen zu den zuverlässigsten der Welt. Gerade auch, was die Berichterstattung über die Automobilindustrie angeht. Ob Kraftfahrzeug-Bundesamt (KBA), Verband der Automobilindustrie (VDA), europäischer Automobilverband ACEA oder das Statistische Bundesamt (STATIS) in Wiesbaden, sie alle liefern Monat für Monat exakte Daten; in anderen, autokratischen Regionen der Welt darf man da seine Zweifel haben.

Selbst die Anzahl der Johannisbeersträucher wird in Deutschland akribisch ausgewiesen, genauso wie die Lackfarben der Autos nach Beliebtheitsgrad.

Kurzum: Man darf den regelmäßig in großer Fülle veröffentlichten Daten über die Automobilindustrie über Hersteller, Marken und die Entwicklung auf den Märkten in Form von Neuzulassungen, Produktion, Export etc. vertrauen. Sie bilden Wirklichkeit und Entwicklung akkurat ab.

Fakt ist, der Volkswagen-Konzern hat in den letzten Monaten wochenlang mit Negativ-Meldungen die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Permanent gab es neue Schlagzeilen über milliardenschwere Kostensenkungsprogramme, über Massenentlassungen, Lohnkürzungen und Werksschließungen wegen großer Ertrags- und Beschäftigungsprobleme. Ursächlich sei die verlorene Wettbewerbsfähigkeit dieses Leuchtturms der deutschen Autoindustrie.

Unter dem ständigen Anbranden immer neuer Konkurrenz-Wellen von erst japanischen, dann koreanischen und nun chinesischen Autoherstellern mit ihren Elektroautos sei das Fundament der VW-Automobilbaukunst brüchig geworden. Der Leuchtturm hätte seine Strahlkraft und Stabilität verloren, die Lichter gingen allmählich aus.

Nachdem der Präsidentschaftswechsel in den USA und die bevorstehende Neuwahl in Deutschland medial im Vordergrund stehen, ist es inzwischen um Volkswagen ruhiger geworden.

Doch lange wird die Ruhe nicht währen. Denn inzwischen ist wie aus dem Nichts die Konzern-Tochter Porsche als neues Sorgenkind des VW-Konzerns aufgetaucht: Markt in China eingebrochen, geplanter Absatzschwerpunkt Elektroautos ein totaler Flop. Bevor nun die völlig ungewohnte Schieflage des VW-„Gewinn-Automaten“ Porsche die Öffentlichkeit voll in den Bann zieht und wuselige Landespolitiker auf die Idee kommen, einen „Porsche-Krisen-Gipfel“ zu veranstalten, soll die Zwischenzeit genutzt werden, um mit einem fundamentalen Irrtum über VW aufzuräumen. Mit dem Irrtum nämlich, der Autoriese aus Wolfsburg habe seine Wettbewerbsfähigkeit verloren.

Die hohe Politik mit ihren eiligst einberufenen Krisengipfeln „zur Rettung unserer Autoindustrie“ in Berlin wie in Bayern verstärkten diesen Eindruck.

Die Botschaft des VW-Managements lautete immer: Die Kosten bei VW sind international zu hoch, die Produktivität zu niedrig; Mitarbeiter, Kapazitäten und Werke sind strukturell unterausgelastet, seit Corona fehlt die Nachfrage nach 2 Millionen Konzern-Autos, der Automobilstandort Deutschland ist im Niedergang. Mit der Folge: Löhne müssten deutlich gesenkt, Mitarbeiter zu Tausenden entlassen und mindestens zwei VW-Werke geschlossen werden. VW sei der chinesischen Billig-Konkurrenz bei Elektro-Autos hoffnungslos unterlegen, das Überleben von VW stehe auf dem Spiel. Kurzum: VW sei international nicht mehr wettbewerbsfähig.

Die Wirkung all dieser Faktoren auf die Gesamtkonstitution von Volkswagen als Unternehmen ist theoretisch richtig beschrieben, nur treffen sie nicht den Punkt: Der Volkswagen-Konzern ist nicht angeschlagen, weil seine Autos am Markt nicht mehr erfolgreich wären, sondern aus rein internen Ursachen, die auf strategischen Fehlentscheidungen in der Antriebstechnik und einer „unzureichenden“ Konzernführung bis in die jüngste Vergangenheit beruhen – nicht auf Mangel an Konkurrenzfähigkeit am Markt. In der Sprache von Volkswirten gesprochen: Die Nachfrage ist da, das Angebot hat Schwächen.

Die amtlichen Zulassungsstatistiken bestätigen das: Danach ist VW als Automarke uneingeschränkt wettbewerbsfähig. Alle einschlägigen Automobilstatistiken über die Entwicklung des Automarktes in Deutschland wie in Europa belegen das. Sogar bei Elektroautos (BEV) hat VW die Nase vorn, wurde Tesla weit abgeschlagen. China ist ein Sonderfall – und VW dort kein Einzelfall, alle deutschen und ausländischen Hersteller dort sind betroffen. Und ziehen sich zum Teil sogar aus dem Markt zurück.

Dazu folgende amtliche Kennzahlen des KBA über den Absatz des VW-Konzerns im Jahr 2024: Top 1 unter allen Automarken war und ist Volkswagen mit dem Golf bei 100.183 Neuzulassungen. Die Plätze 1 bis 5 der meistverkauften Autos in Deutschland sind von Modellen des VW-Konzerns belegt. Unter den zehn meist verkauften Automodellen in Deutschland befinden sich unverändert sechs Fahrzeuge aus dem VW-Konzern. Insgesamt konnte die Marke VW 2024 trotz rückläufigem Gesamtmarkt (-1 Prozent auf 2,82 Millionen Einheiten) den Absatz um 3,4 Prozent auf 537.000 Fahrzeuge steigern; somit belief sich der Marktanteil der Marke VW wie gehabt auf rund ein Fünftel – trotz allen Krisenlärms.

Insgesamt hat der VW-Konzern im Jahr 2024 in Deutschland 1.134 Millionen Fahrzeuge verkauft, belieferte damit über 40 Prozent des Gesamtmarktes. Bei Elektroautos (BEV) musste VW zwar dem Markttrend folgend Absatzeinbußen von -12,1 Prozent hinnehmen, allerdings erheblich weniger als der Gesamtmarkt mit -27,4 Prozent.

Unter den Top 3 Marken bei Elektroautos (BEV) lag VW einsam an der Spitze mit 62.000 Einheiten – fast doppelt so viele wie Tesla. Von mangelnder Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Autohersteller, vor allem VW, bei Elektroautos kann also keine Rede mehr sein.

In Europa konnte VW seine dominierende Stellung sogar weiter ausbauen. Laut ACEA nahmen die Pkw-Neuzulassungen in der Europäischen Union schwach um 0,8 Prozent auf 10,6 Millionen Fahrzeuge zu. Die Automobilwoche fasst die Lage zusammen: „Der Volkswagen-Konzern zieht Stellantis davon, die Marke Toyota macht Boden gut – und Tesla landet auf der Loser-Liste“.

Der VW-Konzern konnte seinen Absatz mit 3.407 Millionen Einheiten um 2,5 Prozent steigern, der EU-Marktanteil des Konzerns aus Wolfsburg steigt auf 26,3 Prozent (2023: 25,9 Prozent). Der Marktanteil der Nummer zwei in der EU, der Stellantis-Gruppe, ging von 16,5 Prozent auf 15,2 Prozent zurück. Der Vorsprung des Volkswagen-Konzerns vor Stellantis ist 2024 auf rund 1,4 Millionen Fahrzeuge gewachsen; 2023 hatte der Unterschied noch bei 1,2 Millionen Autos gelegen.

Die Kernmarke Volkswagen verzeichnet mit 1.371 Millionen Autos einen Zuwachs von 1,0 Prozent, der Marktanteil steht unverändert bei 10,6 Prozent. Diese Markt- und Absatzdaten auf dem VW-Heimatmarkt Europa lassen nur einen Schluss zu: Der Volkswagen-Konzern ist auf Seiten seiner Modellpalette und der Kundennachfrageseite in Europa voll wettbewerbsfähig.

Die akuten Probleme des Konzerns rühren aus anderen Quellen. Da sind strukturelle Kosten- und Ertrags-Probleme mit Langzeitcharakter: zu hohe Lohnkosten, seit Jahrzehnten über Branchenniveau, inflexible Organisationsstrukturen und -abläufe, zu geringe Produktivität. Da sind hohe Fehlinvestitionen und Leerkapazitäten bei Elektrofahrzeugen (BEV) und ein fehlendes Angebot bei Hybriden aufgrund falscher Markteinschätzung. Für den Sonderfall China liegt ein fehlendes Angebot an Elektroautos vor, die auf die chinesischen Markt-Charakteristika zugeschnitten sind, sowie fehlende Risikoplanung trotz der absehbaren politisch gewollten Renationalisierung des chinesischen Automarktes und der Elektrifizierung der chinesischen Autoflotte.

Wie gesagt leiden allerdings alle ausländischen Hersteller unter diesen Trends. VW leidet darunter nur am meisten wegen seiner hohen Exposition – 37 Werke unterhält VW in China.

Die aktuellen Turbulenzen des VW-Konzerns sind also nicht im Markt und in fehlender Wettbewerbsfähigkeit zu verorten, sondern intern in falschen Managemententscheidungen. Die aufkommenden Absatz- und Ertragsprobleme bei Porsche könnten ein Hinweis darauf sein, das diese Fehlentscheidungen auch in absehbarer Zeit der größte Hemmschuh für das Unternehmen bleiben werden.

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