
Scott Bessent setzte mit dem Hinweis auf ein mögliches Delisting chinesischer Aktien vom US-Markt den Ton für einen denkwürdigen Tag. Alles liege auf dem Tisch, so der amerikanische Finanzminister auf die Frage, ob es denkbar sei, Chinas Marktzugang zur Wall Street zu sperren. Damit wird deutlich: Die Märkte sind zur Bühne geopolitischer Machtspiele geworden. Der eskalierende Konflikt der beiden Supermächte zementiert sich.
Was daraufhin geschah, war absehbar: Die Börsen kollabierten und selbst die als sicherer Hafen und globales Kollateral im Kreditgeschäft etablierten US-Staatsanleihen erlebten einen dramatischen Kurssturz. Renditen schossen zwischenzeitlich um etwa 30 Basispunkte in die Höhe – ein bedenklicher Sprung am sonst wenig volatilen Anleihenmarkt und ein Zeichen von Panik in den Reihen von Hedgefonds und anderen Marktteilnehmern. Deren Kerngeschäft ist es, die allgemein niedrige Volatilität dieser Papiere durch Arbitragegeschäfte am Spot- und Futuremarkt zu monetarisieren.
Politiker, die sich auf geopolitischer Ebene in die Arena begeben, konfligieren unwillkürlich auch mit diesem Markt, dem Herzstück des internationalen Kreditgeschäfts. Und wer Druck auf ihn ausgeübt hat, ob nun China oder Hedgefonds, spielt lediglich eine untergeordnete Rolle. Er begrenzt politischen Handlungsspielraum. Jede überschießende Panik wirkt auf die Liquidität dieses Marktes – das Bankensystem droht einzufrieren, wenn das Vertrauen in die Stabilität der US-Anleihen erodiert. Und was aus politischer Sicht schwer wiegt:
Die fortlaufende Refinanzierung staatlicher Schuldenberge wird zum Problem, das letzten Endes nur die Notenbank mit umfassender Intervention vorübergehend und auf Kosten der Preisstabilität lösen kann. Hier liegt das systemische Dilemma: Die USA wollen über eine erzwungene Neuordnung des internationalen Handels einen Weg aus ihrem Doppeldefizit finden, sehen sich als Emittent der Weltreservewährung aber den operativen Zwängen des Kreditmarkts unterworfen, der sprunghafte Volatilität nicht absorbieren kann.
Die Unsicherheit ist allgegenwärtig. Ein Tweet genügt, um am Markt Euphorie oder Kollaps auszulösen. Und der kam: Trump – ganz Dealmaker – veröffentlichte auf „Truth Social“ einen markigen Satz: It’s a good time to buy. DJT. Offene Marktmanipulation? Drei Stunden später folgte die nächste Volte: Drei Monate Schonfrist für die Handelspartner – alle außer China. Für Peking hatte das Weiße Haus andere Pläne: Sonderkontrollen chinesischer Frachter, angedrohte Zollerhöhungen, Währungskrieg inklusive. China reagierte zunächst mit Zöllen auf US-Waren von bis zu 104 Prozent, erhöhte sie inzwischen auf 125 Prozent. Ein klares Zeichen: Man beugt sich in Peking nicht dem Druck aus Washington.
Nach dem dramatischen Einbruch zog Trump am Nachmittag die Notbremse: Zölle vertagt. Die Panik am Anleihemarkt sei nicht unbemerkt geblieben – die Leute seien ein wenig „yippy and queasy“ geworden, so Trump. Das sind Euphemismen für ein Szenario, das die Grenzen politischer Manövrierfähigkeit aufzeigt. Hatte man in Washington die Nerven verloren angesichts des Absturzes am Anleihenmarkt? Immerhin setzt man im Finanzministerium auf fallende Zinsen, um den Schuldenberg möglichst günstig durch die Zeit zu rollen. 9,2 Billionen Dollar werden dieses Jahr fällig – überschießende Zinsen sind da das Letzte, was man sich angesichts der Schuldenmisere leisten will. Hinzu kommt eine weiterhin kaum gebremste Neuverschuldung. Es scheint, als ob Staatsschulden ab einem bestimmten Punkt ein Eigenleben entwickeln, das selbst das engagierte Team um Elon Musk nicht einfangen können.
Im Kern des Konflikts schwebt der artifiziell erzeugte, durch Währungsmanipulation, Exportsubvention und ethisch bedenklichen Arbeitsbedingungen herbeigeführte Exportüberschuss Chinas, der etwa ein Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, oder 1000 Milliarden Dollar, ausmacht. Das Handelsdefizit der USA mit China beläuft sich derweil auf etwa 300 Milliarden Euro jährlich, während man sich in Washington im vergangenen Jahr ein Haushaltsdefizit von 1,83 Billionen Dollar leistete – ein Weg, der in die fiskalische Katastrophe führen muss. In Washington ist man daher zu der Überzeugung gelangt, Chinas Macht über dessen Exportmarkt zu brechen.
Das in deflatorischer und demografischer Malaise taumelnde chinesische Wirtschaftswunder hat sichtbare Risse bekommen und die Kader der Kommunistischen Partei geraten zunehmend in Erklärungsnot, wenn ihre aufwendig zelebrierten Fünf-Jahrespläne nicht den Wohlstand liefern, mit denen man die Machtfülle in Peking begründet. Dort verfügt man allerdings über reichlich Manövriermasse. US-Anleihen im Wert von über 700 Milliarden Dollar ruhen noch immer in der Reserve der chinesischen Notenbank, die sie nutzen kann, ihre Währung zu verteidigen, wenn der Markt dies erzwingen sollte. Zudem bietet diese Reserve ein glaubwürdiges Drohszenario. China kann über drastische Abverkäufe ein Zinschaos und eine Volatilität erzwingen, die die Trump-Regierung gerade jetzt unbedingt vermeiden will.
Wie geht es nun weiter? Die globale Ordnung zerfällt in zwei Lager. Auf der einen Seite: die wieder erstarkende Supermacht USA, die sich – nach den lähmenden Biden-Jahren – marktwirtschaftlichen Prinzipien, bürgerlichen Freiheiten und dem Rückbau des wuchernden Staatsbürokratismus zuwendet. Auf der anderen Seite: China, der Antagonist, der auf Staatsintervention, Kapitallenkung und Meinungskontrolle setzt.
Donald Trump hat gestern ein Zeitfenster geöffnet. Drei Monate bleiben der Welt, sich über ihre eigene Position in diesem sich zuspitzenden Systemkonflikt klarzuwerden. Die Stunde des Bekenntnisses naht: Setzen Gesellschaften auf Freiheit, Wettbewerb und Eigenverantwortung – oder driften sie ab in Richtung Kontrolle, Zensur und kollektiver Entmündigung?
Thomas Kolbe, studierter Volkswirt, arbeitet seit über 25 Jahren als freiberuflicher Autor sowie als Medienmacher für Kunden aus verschiedenen Branchen und Wirtschaftsverbänden. Als freier Publizist widmet er sich schwerpunktmäßig ökonomischen Prozessen und beobachtet geopolitische Ereignisse aus dem Blickwinkel der Kapitalmärkte.