Wahlausschuss verhindert AfD-Kandidaten zur Bürgermeisterwahl: Wird Ludwigshafen zur Blaupause für das ganze Land?

vor etwa 18 Stunden

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Die Ereignisse von Ludwigshafen bedeuten eine Zäsur für die Demokratie in Deutschland. Ein AfD-Politiker wird von der Bürgermeisterwahl ausgeschlossen – auf der Grundlage einer absurden Zitatensammlung des Verfassungsschutzes, die dem Wahlausschuss der Stadt dazu dient, dem Politiker de facto das passive Wahlrecht zu entziehen.

Handelt es sich hier nur um einen Einzelfall? Oder könnte die Causa Joachim Paul zur Blaupause im ganzen Land werden?

Am 31. März hatte die AfD den Landtagsabgeordneten Paul als Kandidaten für die Bürgermeisterwahl in Ludwigshafen nominiert. Die derzeitige Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck, die bis 2023 in der SPD war und fortan als Parteilose regierte, scheidet demnächst aus ihrem Amt aus. Am 21. September (1. Wahlrunde) und am 12. Oktober (2. Wahlrunde) soll ihr Nachfolger gefunden werden.

Steinruck ist aktiv in die Auslese ihres Nachfolgers involviert. Denn sie ist als Bürgermeisterin auch gleichzeitig Vorsitzende des Wahlausschusses der Stadt. In dieser Funktion kontaktierte sie am 18. Juli 2025, also erst mehrere Monate nach der Nominierung von Paul durch die AfD, die Verfassungsschutzabteilung des Innenministeriums. Die frühere SPD-Politikerin bat um eine Einschätzung der Bewerbung des AfD-Politikers. Sie „teilte Anhaltspunkte für ein Nichtvorliegen der Verfassungstreue des Bewerbers Paul mit“, heißt es in einem Schreiben des Innenministeriums, in dem nachfolgend „die aus Sicht des Verfassungsschutzes relevanten offenen und gerichtsverwertbaren Erkenntnisse“ gesammelt wurden.

Das Papier ist eine 11-seitige zusammenhanglose Zitatensammlung des AfD-Politikers, zusammengetragen mittels „Internet-Recherchen“, wie der Verfassungsschutz selbst erklärt. Meist geht es im Schreiben um unterschiedlichste Formen der Kontaktschuld, an anderer Stelle wird dem AfD-Politiker die Rezension der „Herr der Ringe“-Serie auf Amazon zum Verhängnis.

Der Wahlausschuss entschloss sich auf dieser Grundlage, Paul von der Wahl auszuschließen. Steinruck fasste das Ergebnis in einer internen Mail, die NIUS vorliegt, so zusammen: „Der Wahlausschuss bezweifelt, dass der Bewerber der AfD (Herr Joachim Paul) die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt.“ Harte Vorwürfe an einen ehemaligen Lehrer, der bei seiner Einstellung einen Eid auf die Landesverfassung schwören müsste.

Schon am 25. Juni hatte ein „zivilgesellschaftliches Bündnis“ mit dem Namen „Netzwerk gegen Joachim Paul“ Alarm geschlagen. „Joachim Paul will Oberbürgermeister in Ludwigshafen werden. Wir verhindern das. Bist du dabei?“, hieß es in den sozialen Medien. Unterschiedlichste Politiker linker Parteien, darunter auch SPD-Landtagsabgeordnete, klickten auf „Gefällt mir“ und unterstützten den Aufruf.

In den Kommentaren schrieb eine selbsternannte „Antifaschistin, Feministin und Sozialarbeiterin“: „Wir dürfen nicht zulassen, dass in Ludwigshafen der erste AfD-Oberbürgermeister Westdeutschlands an die Macht kommt. Keinen Zentimeter nach rechts.“ Man wolle „dem Wahlausschuss auf die Sprünge helfen“, hieß es an anderer Stelle. Entsprechende Unterlagen habe man an den Ausschuss weitergeleitet.

Jutta Steinruck, die 2023 die SPD nicht etwa verlassen hatte, weil sie ihr zu links wurde, sondern weil sie der SPD-Landesregierung fehlende Unterstützung insbesondere im Bildungsbereich vorwarf, lieferte als Vorsitzende des Ausschusses später das gewünschte Ergebnis. Auf der Instagram-Seite des Netzwerks jubelt man. „Wir haben mit dem Netzwerk gegen Joachim Paul als OB-Kandidat verhindert!“ Dazu wurden Glückwünsche des Grünen-Landtagsabgeordneten Carl-Bernhard von Heusinger geteilt, die sich an den Wahlausschuss richteten. Ein linkes Netzwerk aus NGO-Aktivisten und Politikern forcierte also ganz bewusst den Ausschluss des AfD-Politikers.

Der Grünen-Landtagsabgeordnete feiert die Entscheidung des Wahlausschusses.

Die Grüne Jugend in Rheinland-Pfalz postete gemeinsam mit dem Netzwerk die linksextreme Parole: „Antifa bleibt Handarbeit! In Ludwigshafen Joachim Paul verhindert!“ Der grüne Bundestagsabgeordnete Julian Joswig frohlockte daraufhin: „Ein Erfolg für die Zivilgesellschaft vor Ort!“ So hatte das „Netzwerk gegen Joachim Paul“ am 5. August, dem Tag der Entscheidung des Ausschlusses, auch zu einer Demonstration vor dem Wahlausschuss aufgerufen.

Das Netzwerk gegen Joachim Paul steht den Grünen nahe.

Knickte der Wahlausschuss am Ende auch vor dem Druck des Bündnisses ein?

Im Fall der Vorsitzenden Jutta Steinruck stellen sich noch weitere Frage: Kalkulierte die Ausschussvorsitzende ein, dass bis zur Wahl im September nur wenige Tage liegen, um juristisch gegen die Entscheidung des Wahlausschusses vorzugehen? Entsprechende Schritte hat Joachim Paul bereits angekündigt. Und warum forderte Steinruck die Einschätzung des Verfassungsschutzes nicht schon im April ein, als die Nominierung von Joachim Paul öffentlich wurde?

Die Entscheidung des Wahlausschusses am Dienstag reiht sich ein in eine Reihe von Maßnahmen, die den Verdacht erhärten: In Rheinland-Pfalz soll der eingeschlagene Weg im „Kampf gegen Rechts“ zur Blaupause im ganzen Land werden.

Erst am 10. Juli hatte der rheinland-pfälzische SPD-Innenminister eine neue Verfügung für Bewerber des öffentlichen Dienstes veröffentlicht, die insbesondere AfD-Mitglieder betreffen soll. Darin heißt es: „Alle Bewerberinnen und Bewerber müssen erklären, dass sie keiner extremistischen Organisation angehören oder in den letzten fünf Jahren angehört haben. Bestandteil hierfür wird eine vom Verfassungsschutz regelmäßig aktualisierte, nicht abschließende Liste extremistischer Gruppierungen und Organisationen, bei denen hinreichend tatsächlich Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen. Auf dieser Liste wird daher auch die AfD geführt werden.“

SPD-Innenminister Ebling sorgt sich um wachsende Probleme mit Rechtsextremismus.

Jedes AfD-Mitglied muss nun also zum Rapport. Im Einzelfall könnten „Zweifel an der Verfassungstreue“ von den „Bewerberinnen und Bewerbern ausgeräumt werden“, versicherte eine Sprecherin des Innenministeriums auf Anfrage von NIUS. In der Praxis könnte es jedoch trotzdem zu einer Verweigerung der Neueinstellung von AfD-Mitgliedern im öffentlichen Dienst kommen – begründet mit einer Einzelfallentscheidung.

Ebenfalls für Aufmerksamkeit hatte die Entscheidung des Landtags gesorgt, seine Zutrittsregeln für Mitarbeiter zu verschärfen. Im März 2024 hatte SPD-Innenminister Ebling in diesem Zusammenhang beklagt, dass rechtsextreme Gesinnungen immer offener gezeigt würden und die Schwelle zu Gewalttaten sinke. „Die Bekämpfung des Rechtsextremismus ist notwendiger denn je“, sagte er.

So wurde auch die Hausordnung im Parlament entsprechend verschärft – unter Verantwortung des SPD-Landtagspräsidenten Hendrik Hering. Mitarbeitern mit „nachweislich extremistischem Hintergrund“ wurde der Zugang zum Plenarsaal sowie zu anderen sensiblen Bereichen des rheinland-pfälzischen Landtags untersagt. Sie dürfen nur noch ihren Arbeitsplatz aufsuchen.

Über den extremistischen Hintergrund einzelner AfD-Politiker entscheidet bekanntlich der Verfassungsschutz – der in Rheinland-Pfalz dem SPD-Innenministerium unterstellt ist. Dessen Behördenchef Michael Ebling versucht sich seit geraumer Zeit parteiintern als härtester Anti-AfD-Kämpfer zu verkaufen. Sein rigides Vorgehen in Rheinland-Pfalz soll Schule machen.

Immer wieder führt die Spur in der Geschichte von Joachim Paul zur SPD. Das ist wenig verwunderlich: Ludwigshafen ist eine alte Industriestadt, in der die SPD jahrzehntelang fest auf die Stimmen der Arbeiterschaft zählen konnte. Mit der Migrationskrise und dem Aufkommen der AfD hat sich die politische Landschaft in der Stadt grundlegend gewandelt.

Bei der Bundestagswahl im Februar 2025 erhielt die AfD in der Stadt die meisten Stimmen. Sie konnte sich also gute Chancen ausrechnen, zumindest in der ersten Runde der Bürgermeisterwahl in Ludwigshafen auf den beiden vordersten Plätzen zu landen – in der Stichwahl hätte sich Paul wahrscheinlich einem Konsenskandidaten der anderen Parteien geschlagen geben müssen. Doch dazu ließen es die anderen Parteien nicht ankommen – dem Vorgehen der Ausschussvorsitzenden Steinruck folgten in der Abstimmung bekanntlich auch CDU, FDP und die Freie Wählergemeinschaft.

Joachim Paul darf nicht bei der Wahl des Bürgermeisters im September kandidieren.

Klar ist: Gegen Joachim Paul leitete der Landesvorstand der AfD in Rheinland-Pfalz Parteiordnungsmaßnahmen ein. Grund dafür war offenbar ein Foto, auf dem Paul das OK-Zeichen mit seinen Fingern zeigte, das einigen Landesverfassungsschutzämtern als rechtsextreme Chiffre gilt. Die Ämtersperre sei jedoch später auf eine Abmahnung heruntergesetzt worden, heißt es aus dem AfD-Landesvorstand.

Doch bislang war es in Deutschland gängig, dass auch rechtsextreme NPD-Kandidaten problemlos an Kommunal- oder Bürgermeisterwahlen teilnehmen konnten. Zum Teil waren die Bewerber sogar vorbestraft. Das Erstarken der AfD sorgt nun für einen neuen Kurs, der auch an anderen Orten Einzug hält. Erst kürzlich hatte der Wahlausschuss in der Stadt Lage, der mit Kommunalpolitikern von CDU, SPD, FDP, Grünen und AfD besetzt ist, entschieden: Der AfD-Politiker Uwe Detert darf nicht bei der Bürgermeisterwahl kandidieren. Detert soll in der Vergangenheit aber unter anderem die These verbreitet haben, dass Deutschland kein souveräner Staat sei.

Auch in anderen Bundesländern stehen in den kommenden Monaten Bürgermeisterwahlen an. Damit könnte den Wahlausschüssen künftig eine wichtige Funktion obliegen. Immer dann, wenn ein Kandidat der AfD in eine aussichtsreiche Position gelangt, könnte man sich auf die Einschätzungen des Verfassungsschutzes berufen. Dass die Vorwürfe wie im Fall Ludwigshafen an den Haaren herbeigezogen wirken, spielt dann kaum mehr eine Rolle, wenn die Entscheidung juristisch erst nach der Wahl angefochten werden kann.

Dem Bürger wird damit verwehrt, eine eigene Entscheidung zu treffen. Für die Demokratie in Deutschland ist das kein gutes Zeichen.

Lesen Sie auch:Verfassungsrechtler über Ausschluss von AfD-Kandidaten bei Bürgermeisterwahl: „Ein echter Skandal und verfassungswidrig“

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