Wahlbeben: Wie Farage den politischen Reset in Großbritannien erzwingt

vor 2 Tagen

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Bildquelle: Tichys Einblick

Sogar der Tory-Brexit-Unterhändler David Frost muss den Ernst des Signals würdigen. Hinter dem breiten Wahlsieg der Reform UK Party sieht er einen Grund: „Die britischen Wähler wählen immer wieder die Veränderung und bekommen sie nicht. Die Stimmung in weiten Teilen des Landes ist angesichts dessen vergiftet.“ Die Desillusionierung gehe weiter als jemals zuvor, berichten auch Demoskopen.

Reform UK hat 677 Sitze in Kommunalparlamenten errungen, und in zehn Stadträten auf einen Schlag die Mehrheit gewonnen. Hinzu kommen zwei Bürgermeisterposten und ein neuer Sitz im Parlament, womit die Fraktion nach dem Abgang von Rupert Lowe wieder fünfköpfig ist. Die Mehrheit für Sarah Pochin, die neue MP, fiel denkbar knapp aus: Sie lag sechs Stimmen vor dem zweitplazierten Rivalen. Aber gewonnen ist gewonnen.

Insgesamt standen 1600 Sitze in englischen Kommunalgremien zur Wahl. Die Konservative Partei und Labour verloren jeweils rund zwei Drittel ihrer zur Wahl stehenden Sitze. Die Tories gewannen an diesem Wahltag 319 Sitze, und büßten 674 ein, die sie zuvor besessen hatten. Labour verlor 187 Sitze und konnte nur 98 Sitze erringen. Neben Reform konnten die Lib Dems (370 Sitze, bei einem Plus von 163) und die Greens (79 Sitze, plus 44) teils den Raum einnehmen, den die größeren Parteien ließen. Weder Labour noch die Tories werden noch als Problemlöser angesehen, daher der Verdruss mit ihnen und die Suche nach mehr oder weniger neuen Parteien. Doch viele Wähler werden sich wohl bald über die Trans-positive Politik der Grünen wundern, die biologischen Männern das Betreten von Frauentoiletten und anderem erlauben wollen.

Reform UK ist eine wirklich neue Partei, auch wenn sie Vorläufer in der jüngeren Geschichte hat, etwa UKIP, die auch schon einmal eine breitere Präsenz in Stadt- und Gemeinderäten errang, aber fast nie die Mehrheit in Kommunalgremien bekam. Für Reform sieht es derzeit gut aus. Es könnte seinen Erfolg verstetigen, wie nicht zuletzt die nationalen Umfragen nahelegen. Seit Anfang des Jahres wurden sie immer häufiger von Reform angeführt, mit kleinem Vorsprung zwar, zuletzt aber fast durchgängig. Bis zu 29 Prozent holt die Partei national und könnte schon damit in vielen Wahlkreisen gewinnen.

Im Telegraph schreibt Nigel Farage nach einer für ihn glanzvollen Wahlnacht: „Nichts wird je wieder so sein wie vorher.“ Die Zeit des Zwei-Parteien-Systems sei, auf welcher politischen Ebene auch immer, vorbei. Vor allem die „Implosion der Konservativen Partei“, deren „merkwürdigen Tod“ sieht Farage als Menetekel an, das nicht mehr wieder weggehen wird. Die Tories haben ihre Wählerschaft wohl einmal zu oft enttäuscht. Für Farage ist die Botschaft des neuen Wählervotums erneut: „Take back control“. Man könnte die Bewegung Brexit 2.0 nennen, weil die erste geladene Version nicht ausreichte.

Farage war selbst erstaunt von der Dynamik dieses Wahlkampfs, die ihn vielleicht zu einigen mutigen Forderungen in letzter Minute ermuntert hat: Eine Abschiebungsoffensive forderte er für 1,2 Millionen im Lande sich aufhaltende illegale Zuwanderer. Viele Parteimitglieder erzählten ihm von der großen Unterstützung, die sie in diesem Zuge erfuhren. Farage hielt das für Optimismus, es war das nicht. Reform UK hat im Laufe dieses Wahlkampfs über 200.000 Mitglieder hinzugewonnen. Dagegen gehen die Mitgliederzahlen der früher klar konservativen Tories zurück, seit klar geworden ist, dass sie etwa in der Migrationspolitik nicht viel für das Land leisteten.

Für Farage ist klar, dass die 80-Sitze-Mehrheit nach dem deutlichen Wahlsieg unter Boris Johnson von den Konservativen verspielt wurde. Auch der Brexit wurde so teilweise verspielt, etwa durch die riesige „Boris-Welle“ der illegalen und halblegalen Einwanderung mittels „Studentenvisa“ und ähnlichem. Man sägte rechte Bannerträger wie Liz Truss und Suella Braverman zeitig ab, ein Robert Jenkins verließ seinen Regierungsposten. Mit dem Ruanda-Plan konnte es so nichts werden – er scheiterte an der woken Opposition in der Konservativen Partei. Heute darf sie sich glücklich schätzen, noch 23 Prozent der Stimmen zu holen. Labour liegt UK-weit bei 20 bis 26 Prozent.

Und auch in England scheuen die Mächtigen unter diesen Bedingungen das Volk. In neun Grafschaften wurden für diesen 1. Mai angesetzte Wahlen abgesagt, angeblich weil sie eine Verschwendung von Geldmitteln wären. In Kürze sollen diese Grafschaften wahltechnisch neu zugeschnitten werden. Es wären vielleicht noch ein paar Reform-Siege mehr geworden. Da liegt es nahe, Wahlen zu verschieben, weil sie angeblich zu teuer sind. Farage rief Reform UK nun zur „wirklichen Opposition“ aus, obwohl die Partei erst fünf Abgeordnete im Unterhaus hat. Doch die Lokalwahlen geben diesem Anspruch erstmals etwas mehr Fleisch.

Eine der ersten Aufgaben, die sich die neuen Reform-Vertreter in den Kommunen setzen, wird der Kampf gegen die sogenannte „Netto-Null“ („Net Zero“) sein, also gegen die Senkung des CO2-Abdrucks um jeden Preis, auch durch den Kampf gegen die Automobilität oder bestehende Heizanlagen. Der einstige Parteivorsitzende Richard Tice schrieb einen Brief an Verantwortliche und grüne Investoren in Lincolnshire: „Dies ist ein Krieg. Wir werden Krieg gegen Sie und Ihre schrecklichen Ideen führen. Wenn Sie glauben, dass Sie Ihre Pläne in der Grafschaft Lincolnshire umsetzen werden, werden Sie es bereuen. Sie werden Ihr Geld verschwenden. Es wird finanziell sehr schmerzhaft für Sie sein, Sie können also Ihr Geld und Ihre törichten Ideen genauso gut anderswo unterbringen.“

Andrea Jenkyns, die als Brexit-Befürworterin in die Politik kam, wird künftig die nordenglische Grafschaft Lincolnshire (775.000 Einwohner) als Bürgermeisterin führen. Dort wird es folglich keine „grünen“ Netto-Null-Projekte mehr geben, wenn Tice’ Worte gültig sind. Lincolnshire war früher eine Bastion der Tories, die ebenso wie weitere Grafschaften in den Midlands auf einen Schlag an Reform fielen. Parteichefin Kemi Badenoch hat das „Blutbad“ ihrer Partei bei den Lokalwahlen zugegeben, schließt aber aus, Reform „nach rechts zu folgen“. Für Labour sind die Aussichten nach dieser Niederlage düster. Ein Politikwechsel wäre offenbar an der Zeit, ist aber gerade in Sachen Migration von der sklerotischen Partei nicht zu erwarten.

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