
Vor wenigen Monaten befand sich die norwegische Politik in Aufruhr. Im Januar führte die rechte Fortschrittspartei (Fremskrittspartiet) in den Umfragen, während die konservativen und sozialdemokratischen Parteien jeweils bei unter 20 Prozent lagen. Es war ein bemerkenswertes Umfrageergebnis einer rechten Partei in Norwegen, einem Land, das wie seine skandinavischen Nachbarn eher für moderate Politik bekannt ist. Doch als der Ministerpräsident Jonas Gahr Støre, Parteivorsitzender der sozialdemokratischen Arbeiterpartei (Arbeiderpartiet), am Montagabend strahlend ans Mikrofon tritt, um den Wahlsieg zu verkünden, steht fest: Es bleibt vieles beim Alten im Land der Fjorde.
Der Block der Mitte-Links-Parteien konnte sich bei den Wahlen am Montag eine Mehrheit sichern. Die Sozialdemokraten gewannen zusammen mit den anderen linken Parteien 87 der 169 Parlamentssitze, während der Block der Mitte-Rechts-Parteien insgesamt 82 Sitze für sich sichern konnte. Für eine Mehrheit sind im norwegischen Parlament mindestens 85 Sitze erforderlich. Die sozialdemokratische Arbeiterpartei erzielte mit 28,2 Prozent der Stimmen das beste Ergebnis. Damit hat der 65-jährige Jonas Gahr Støre, der seit 2021 Ministerpräsident ist, gute Chancen auf eine weitere Amtszeit – die nächsten vier Jahre könnten jedoch anstrengend werden. Støre ist auf die Unterstützung aller vier linken Parteien angewiesen. Ohne sie wird er sich an konservative Parteien wenden müssen, um seine Anliegen durchzusetzen.
Obwohl Støres Arbeiterpartei zu Jahresbeginn in Umfragen noch bei lediglich 17 Prozent lag, konnte sie durch das Comeback von Ex-NATO-Chef Jens Stoltenberg und Donald Trumps Wiederwahl profitieren. Auch das Ausscheiden des Koalitionspartners aus der Regierung im Februar half der Arbeiterpartei in den Umfragen. Auch eine andere linke Partei konnte einen Erfolg feiern. Den norwegischen Grünen ist zum ersten Mal in ihrer Geschichte der Einstieg ins norwegische Parlament gelungen. Mit 4,7 Prozent der Stimmen überwand die grüne Partei die 4-Prozent-Hürde, die für die norwegischen Parlamentswahlen gilt.
Obwohl das linke Lager die Wahl gewonnen hat, ist es eine rechte Partei, die die größten Zugewinne erzielte: Der rechten Fortschrittspartei unter der Führung von Sylvi Listhaug gelang es, ein historisches Ergebnis zu erzielen. Mit 23,9 Prozent haben sie ihr Ergebnis im Vergleich zur letzten Parlamentswahl um 12,3 Prozentpunkte verbessert und sind nun im norwegischen Parlament die zweitstärkste Kraft. Mit 48 Sitzen verfügen sie nunmehr über mehr als doppelt so viele Sitze im Parlament wie zuvor.
Es ist das beste Ergebnis der mehr als 50-jährigen Parteigeschichte. Die Fortschrittspartei hat ein freiheitlich-konservatives Profil, ihre Politik wird häufig als „softer“ Rechtspopulismus beschrieben. Sie punktet vor allem durch einen migrationskritischen Kurs und das Versprechen, härter gegen Kriminalität vorzugehen. Damit konnten sie vor allem bei ehemaligen Wählern der konservativen Partei (Høyre) punkten, denen der Kurs ihrer Partei in den letzten Jahren zu weich und beliebig geworden war.
Die konservative Partei, unter Führung von Erna Solberg, ist damit der große Verlierer der Wahl. Sie verzeichnete ihr schlechtestes Ergebnis seit 20 Jahren und ist nun mit 14,6 Prozent und nur 24 Parlamentssitzen lediglich halb so stark vertreten wie die Fortschrittspartei. Die Parteivorsitzende Solberg amtierte von 2013 bis 2021 als Ministerpräsidentin.
Laut einer Wählerumfrage des norwegischen Rundfunks „NRK“ verlor die konservative Partei nicht nur Stimmen an die Fortschrittspartei, sondern auch an die Liberalen (Venstre), die allerdings an der 4-Prozent-Hürde scheiterten. Auch die politisch mittig einzuordnende Zentrumspartei (Senterpartiet) verlor mehr als die Hälfte ihrer Parlamentssitze und ist damit der zweite große Verlierer der Wahl.
Bei der Wahl haben über 3,1 Millionen Norweger ihre Stimme abgegeben. Die Wahlbeteiligung war dabei die höchste seit 36 Jahren, was mit dem polarisierenden Wahlkampf und der politischen Großwetterlage zu erklären ist. Wie überall in Europa wird auch in Norwegen kontrovers über die Migrationsfrage und damit verbundene Kriminalität, wirtschaftliche Schwierigkeiten und die Verteidigungspolitik diskutiert.