Wall Street Journal: Europas schwächelnde Eliten konspirieren gegen Populisten

vor 24 Tagen

Blog Image
Bildquelle: Tichys Einblick

Europa und die USA driften derzeit in entgegengesetzte Richtungen. Das zeigt sich am nun wohl entbrennenden Zollstreit, in dem es Trump laut eigenem Bekunden darum geht, eine Art Fairness auf dem Weltmarkt wiederherzustellen. Unbeachtet, ob das so ist oder anders, ist damit ein Zeitalter der Interessenpolitik zurückgekehrt, das die „liberale Elite“ gerne vergessen machen wollte – im Zeichen internationaler (und internationalistischer, globaler) Institutionen, die angeblich die Einheitlichkeit der Ökumene garantieren sollen.

Ein Grüner aus dem EU-Parlament, Rasmus Andresen, dort wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher, fordert nicht nur zu Gegenzöllen auf, er will amerikanische Techkonzerne und Banken „sanktionieren“. Dadurch solle man auch Unternehmer wie Elon Musk oder Mark Zuckerberg „in der Substanz treffen“. Andresen will die USA anscheinend wie Russland behandeln. Am Ende der grünen Wünsche steht freilich wiederum die Bekämpfung der Online-Plattformen (X, Facebook) und die Einschränkung ihres Geschäftsmodells, etwa durch eine neue EU-Digitalsteuer.

Derweil ist Europa den Amerikanern auch im Hinblick auf die politische Kultur fremd geworden – zumindest einigen von ihnen. Le Pen, Rumänien und andere Beispiele zeigen es: Europa versinkt in einer Form der Meinungskontrolle, die zumindest einem Teil der US-Gesellschaft gründlich fremd ist. Der andere Teil versucht, das Modell nachzuahmen. Doch er scheint zu unterliegen, zumindest, wenn man den Warnrufen aus dem „liberalen“ Lager folgt. Demnach fügen sich Trump nun reihenweise Institutionen, die ihm und seiner Partei noch gestern die Hölle heiß machen wollten.

Dazu gehören etwa auch große Anwaltskanzleien, die Trump auf dem Kieker hatte, seit er und seine Regierung von der minderen Judikative (Bezirksrichtern und Staatsanwälten vor allem) systematisch unter Beschuss genommen wurden. Vier große Kanzleien wurden durch Exekutivanordnungen ins Visier genommen. Zwei haben dem Präsidenten inzwischen ein Friedensangebot gemacht und sogar umfangreiche Pro-bono-Leistungen für die US-Regierung in Aussicht gestellt. Das heißt, die Anwälte werden jetzt für Trump arbeiten, und zwar gratis im Wert von zig Millionen Dollar. Das wirkt fast wie ein Schuldeingeständnis.

CBS News könnte der nächste Sender sein, der einer Klage des Weißen Hauses auf diesem Wege nachgibt. Hier geht es um ein Vorwahl-Interview mit Kamala Harris in der Sendung 60 Minutes, das der Sender laut Trump zu Gunsten der Kandidatin manipuliert hatte. Was geschehen war: CBS hatte das TV-Interview in zwei Fassungen veröffentlicht und dabei verschiedene Harris-Antworten zum Nahostkonflikt hineingeschnitten, ganz so, als solle hier ein anfängliches Durcheinander der ersten Antwort geglättet und auf Linie gebracht werden. Beispiel aus der ersten Fassung: „Die Arbeit, die wir geleistet haben, hat zu einer Reihe von Bewegungen in dieser Region von Seiten Israels geführt, die durch viele Dinge veranlasst wurden oder ein Ergebnis von vielen Dingen waren, einschließlich unseres Eintretens für das, was in der Region geschehen muss.“

Daneben hat die zuletzt durch Antisemitismus sehr ins Gerede gekommene New Yorker Columbia University angekündigt, ihre Protestleitlinien anzupassen, nachdem das Weiße Haus mit der Streichung von Bundesmitteln drohte. Auch im Institut für Nahoststudien soll es Veränderungen geben. Das geschieht, um Bundesmittel von 400 Millionen Dollar nicht zu verlieren. Das Weiße Haus hat noch nicht verkündet, ob die Schritte ausreichen.

Als nächstes könnte die noch angesehenere Harvard-Universität in die Schlagzeilen geraten, der Trump Verträge und Zuschüsse in Höhe von rund neun Milliarden Dollar streichen will. „Lebensrettende Forschung“ gerate so in Gefahr, meinte dazu der Uni-Präsident, der aber zugleich zugab, dass Antisemitismus nach dem Terrorangriff auf Israel zum Problem geworden ist.

Derweil sitzen die US-Democrats auf dem Gebiet politischer Umfragen in einem Popularitätsloch, aus dem sie kaum herausfinden. Noch 27 Prozent der Amerikaner haben demnach eine günstige Meinung von der Partei, die bis vor kurzem den Präsidenten stellte. Es ist der schlechteste Wert für die Partei in dieser Umfragenserie seit 30 Jahren, schreibt Newsweek. Da hat auch kein scharfes Schießen gegen Trump in der Signal-Affäre um Pete Hegseth und Mike Waltz geholfen. Wie sich der Trump-kritische Journalist des Atlantic in die Chatgruppe einschleichen konnte, bleibt noch immer unklar. Die Machtverhältnisse in den USA scheinen derzeit grundlegend verändert im Vergleich zu vor der Wahl.

Angesichts dieser Lage ist kein Zufall, dass die Dems sich dankbar auf das kleinste Korn stürzen, das dem Präsidenten angesichts des wahren Füllhorns seiner Maßnahmen und Aktivitäten entgleitet. Im Grunde ist alles ein Kampf um die mediale Aufmerksamkeit.

Trumps Zustimmungsraten halten sich seit seiner Inauguration bei um die 50 Prozent und liegen damit höher als jemals zuvor, wie man hier beim Economist erkennen kann. Natürlich hat Trump noch Schwächen bei Frauen, Hispanics, Schwarzen und Postgrads, also Uni-Absolventen. Aber bekanntlich konnte er bei den ethnischen Minderheiten mehr gewinnen als andere Republikaner vor ihm.

Indes weitet sich das Auge ihrer Sorge, wenn die Amerikaner – vor allem die von der republikanischen MAGA-Regierungspartei – nach Europa blicken. Letzter Höhepunkt war der Prozess gegen Marine Le Pen, der nun wie in einer Art geheimen Dramaturgie auf die Blockade eines Favoriten in Rumänien und die Brandmauer-Wahlen in Deutschland folgte.

Die Affäre, die nun in Frankreich vor Gericht kam, rührt aus den Jahren 2004 bis 2016. Aufgespürt hatte sie schon 2015 der selbst erfolglose Kanzlerkandidat Martin Schulz. Er gab Informationen weiter, wonach etwas nicht in Ordnung gewesen sei. Le Pen warf ihm damals vor, seine Fraktion (S&D) tue doch das Gleiche. Aber sie ließ keine Anzeige oder Klage folgen. Das war vielleicht ein Fehler.

Was geschah also in den Jahren 2004 und folgende? In jenen Anfangsjahren gewann der Front national (FN), der 2018 zum Rassemblement national wurde, mehr als zehn Prozent der Stimmen bei den nationalen Wahlen. Er hatte aber aufgrund des französischen Mehrheitswahlrechts kaum Chancen auf Sitze in der Nationalversammlung. Das EU-Parlament bot einen willkommenen Ausweg, um erstmals in einem Parlament Fuß zu fassen.

Natürlich waren damit auch Vorteile finanzieller Art verbunden, und die galt es zu nutzen. Denn die Partei bekam damals bei keiner Bank Kredit. Dabei ging man vielleicht unvorsichtig vor, aber nicht anders als andere Parteien auch, wie Marine Le Pen nun auch selbst sagte. Sie nennt Mélenchons und Bayrous Partei. Ganz gleich, ob Le Pen nun der Vergehen schuldig ist, die ihr vorgeworfen werden – das werden erst die Berufungsverfahren erbringen –, kann man sicher sein, dass viele Politiker genauso gehandelt haben, aber nicht genauso behandelt werden.

Aus der amerikanischen Fernsicht verstärkt sich damit der Eindruck, dass Europa – speziell auch die Europäische Union – zu einer Kirche der ‚politischen Korrektheit‘ geworden ist, die aber auch selbst viel Unkorrektes an sich hat. Zu diesem Schluss kommt nun sogar das Wall Street Journal. Das Blatt spricht in seiner Zeile davon, dass „Europas Eliten“ möglicherweise „gegen Populisten konspirieren“.

Das zeigt wohl wiederum, dass das Blatt zumindest in seiner Chefredaktion auf einen Trump-freundlichen Kurs eingeschwenkt ist. Bei der Münchner Sicherheitskonferenz hatte der amerikanische Vizepräsident J.D. Vance gesagt: „Die Demokratie beruht auf dem heiligen Grundsatz, dass die Stimme des Volkes zählt. Es gibt keinen Platz für Brandmauern.“

Ein weiteres Beispiel sind Matteo Salvini und Giorgia Meloni in Italien, die ähnlich wie Trump von Gerichten bekämpft werden. „Menschen, die Angst vor dem Urteil der Wähler haben, werden oft durch das Urteil der Gerichte beruhigt“, kommentiert Salvini die italienische Sparte des Phänomens. Er stand wegen seiner Seeblockade gegen NGO-Schiffe vor Gericht und wurde im Dezember letzten Jahres in Palermo freigesprochen.

Wenig später widersprachen Richter auch der aktuellen Politik der italienischen Rechts-Regierung, in internationalen Gewässern aufgelesene männliche Bootsmigranten in albanischen Lagern unterzubringen. Im Februar mussten Migranten aus Albanien nach Italien überstellt werden. Nun sollen die Lager als Abschiebezentren dienen – für Asylbewerber, deren Antrag in Italien abgelehnt wurde. Aber mit wie vielen Hindernissen hat die italienische Justiz dieses Vorhaben bisher belastet. Hinzu kommt eine Überprüfung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH), die auch noch läuft.

Was Le Pen angeht, so besteht vielleicht Hoffnung, dass man sie doch wieder antreten lässt – ähnlich den Rechtshändeln gegen Trump, die ihn nicht an einer erneuten Kandidatur hindern konnten. Die Berufung des Urteils gegen sie soll nun noch vor den nächsten Präsidentschaftswahlen stattfinden. Trump hat von den Prozessen vielleicht sogar profitiert, indem er sich als Rebell gegen das System inszenierte. Die Veröffentlichung des Mugshots (des Porträtbildes als Angeklagter) gehörte in diese Strategie. Ob Le Pen etwas ähnliches gelingen kann, bleibt abzuwarten. Die kulturellen Unterschiede könnten sich geltend machen – Frankreich ist nicht der Wilde Westen.

In Deutschland ist bekannt, was diesen Entwicklungen entspricht: AfD-Abgeordnete müssen sich in Landesparlamenten einer aggressiven Unterbutterei zur Wehr setzen, in der sich nicht selten andere Fraktionen mit dem Sitzungsvorsitz verbünden. Ordnungsrufe werden bei den merkwürdigsten Dingen verhängt und mit Geldbußen bewehrt, etwa wenn auf das rechtliche Geschlecht eines Abgeordneten hingewiesen wird (der Fall Ganserer / von Storch). Außerdem müssen AfD-Politiker die deutsche Geschichte besser kennen als andere. Keineswegs dürfen sie „emotional“ Probleme ansprechen. Auch das hat Ordnungsrufe und Mäkeleien der Innenministerin zur Folge. Am Ende hatte die auch stärkere Instrumente zu ihrer Verfügung: das nicht genehme Magazin Compact wurde verboten und das Verbot vorläufig als nicht verhältnismäßig wieder außer Kraft gesetzt. Schwachkopf-Poster bekommen Polizeibesuch. Der kritische Teil des Volkes soll in Habachtstellung gebracht werden. Das ist in Deutschland nicht anders als anderswo auch.

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von Tichys Einblick

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von Tichys Einblick zu lesen.

Weitere Artikel