
Es ist so ein romantischer Blick, wie ihn die Chiemseemaler des 19. Jahrhunderts in Öl festgehalten haben: Der Himmel ist fast schwarz verstellt mit Gewitterwolken, die Berge blau, der See weiß mit Wellen. Nur Kite-Surfer, die jede starke Wind-Bö ausnutzen für wilde Sprünge weit hinauf hinter ihren bunten Segeln, bringen die Gegenwart ins Bild.
Beim Thomas-Fischer, einem der letzten 18 Fischer vom Chiemsee, trocknen die Netze für Hecht und Saibling, über der Tür Lüftlmalerei. Eine Maria Mutter Gottes und die Arche Noah, Sinnbilder fürs Überleben in der Not.
Heraus tritt Heinz Wallner. Der Sohn übernimmt von der Mutter Fischerei und Bootsverleih. Wallner senior ist Elektromeister, war mit öko-korrektem Kühlschrank-Recycling als Unternehmer erfolgreich. Jetzt will er Landrat im Landkreis Traunstein werden, außerplanmäßig. Den bisherigen hat die CSU in den Bundestag geschickt, als Nachfolger für den extrem populären Peter Ramsauer, der mit seinem Überhang an Erstwählerstimmen immer wieder der Stimmen-Häufelkönig war jenseits der Zweidrittel-Mehrheit.
Wallner war in vielen kommunalen Ämtern für die CSU, aber jetzt tritt er für die Bayernpartei an. Insgesamt 9 Bewerber treten auf, von der CSU natürlich, der SPD, Grüne, Linke, Freie Wähler und unabhängige Kandidaten. Die Bayernpartei machte einst in den fernen 50ern der CSU Ministerposten streitig. Dann ein langer Spielbankenskandal, ein wie sich später herausstellte hübscher Meineid bei Unterzuckerung des damaligen Generalsekretärs Friedrich Zimmermann, und die im schwarzen Winkel beheimateten Häupter der Partei wanderten vom Plenarsaal ins Zuchthaus.
Zimperlich ging es nicht zu in der bayerischen Politik, bis die CSU ihre Allmacht erlangt hatte und scheinbar unangreifbar behaupten konnte. Zimperlich geht es im Chiemgau heute auch nicht zu. Hier stand das Bierzelt, in dem zur bayerischen Landtagswahl 2023 Cem Özdemir und die bayerische Grünen-Chefin Katharina Schulze ausgebuht und ausgepfiffen wurden, zu Blasmusik und Maßkrugklirren. Es war ein Kipppunkt in der öffentlichen Stimmung. Seither sind die Grünen angreifbar und auf der Verliererbahn. Und im Abstieg sind auch die Freien Wähler begriffen.
Ihr Chef Hubert Aiwanger hat einen Windvorrangplan abgezeichnet, der auf den Gipfeln zwischen Inzell, Ruhpolding und Schneizelreuth riesige Windräder hinpflanzen soll, auf dass der geldbringende Tourist verscheucht wird, von dem die Region bislang gut lebt. Im Übrigen hat sich Aiwanger im Streit um das Schuldenpaket von Merz feig auf die Seite von Markus Söder geschlagen – der Dienstwagen geht vor. Linke abgeschlagen, die AfD schwer kalkulierbar und lokal noch nicht verankert, die SPD ist ohnehin nur noch eine Art Veteranen-Treffen von alt gewordenen Sektierern mit Tagesfreizeit.
Jetzt also rechnet sich Heinz Wallner Chancen für die Stichwahl aus, und das nicht zu Unrecht. Die CSU schickt einen Martin Lackner ins Rennen; Bürgermeister der Gemeinde Engelsberg, mit 2413 Seelen selbst für das ländliche Bayern etwas unterdimensioniert.
Seinen Wahlkampf bestreitet Wallner neben so lokal wichtigen Fragen wie dem Verbleib oder der Verlegung der lokalen Justizvollzugsanstalt mit der Frage, ob die Bahnstrecke an den Münchner Verkehrsverbund angeschlossen werden soll, was erhebliche Mehrkosten für Pendler und Kommunen mit sich brächte: Die rotgrün heruntergewirtschaftete Großstadt streckt ihre gierigen Pranken bis in die Taschen der 80 Kilometer entfernten Landgemeinden aus, was allerdings außer bei den zentralisierungssüchtigen Grünen niemanden so wirklich überzeugt.
Wallner hat die Kettensäge des Javier Milei als Wahlkampfthema entdeckt.
Entbürokratisierung ist sein Lieblingsthema. Gerade haben die Busse des bahneigenen RVO verfügt, dass beim Fahrkartenkauf nur noch maximal 20-Euro-Noten akzeptiert werden; wer mit größeren Scheinen bezahlt, darf sich das Wechselgeld dann irgendwann und irgendwo in einem fernen Büro zurückerbetteln. Oder die Wasservögel. Wenn eines Wallners Bootsverleih blitzschnell dahinsausenden Tretboote auf Wasservögel trifft, so die Verordnung des Wasserschutzamts, so „sind sie weiträumig zu umfahren“. Und selbstverständlich sind Handys wasserdicht verpackt mitzuführen, auf denen für die Wadenmuskelbetriebene Fahrt über das doch recht überschaubare bayerische Meer die Nummern der Seenotrettung abzuspeichern sind.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht will die örtliche Sparkasse dazu verpflichten, in allen ihren Texten zu gendern, schließlich ist das einfacher zu vollziehen und für erfolgsorientierte Mitarbeiterinnen der Superbürokratie ein leichter zu erreichendes Ziel, als etwa einem Konzern wie Wirecard auf die Finger zu schauen oder den Cum-Ex-Skandal zu verhindern. Außerdem werden am Weltspartag die Einzahlungen von Schulkindern von ein paar fünfzig Euro einer Geldwäsche-Analyse unterzogen. Einfach ignorieren, meint Wallner. Lokalpolitik habe mehr Macht als gedacht, weil München fern und Berlin weit weg mit sich selbstbeschäftigt ist. Mutige Kommunalpolitiker brauchen einen Hang zur gemütlichen Anarchie, die das Leben weiter atmen läßt.
Stundenlang kann Wallner über solche Details herziehen und hat eine eigene Lösung: wird er zum Landrat gewählt, will er den bürokratischen Schwachsinn, der in Berlin ausgebrütet, in der Münchner Landesregierung großgezogen, dann in der Regierung von Oberbayern perfektioniert wird, ehe er auf die Bevölkerung trifft, diesen Schwachsinn will er einfach nicht vollziehen. Denn zur Kontrolle fehlt ohnehin das Personal – und die Bereitschaft, sich aus dem fernen Amtszimmer wegzubewegen.
Politik, meint er, wird vor Ort gemacht und der Widerstand dagegen auch. Die bürokratischen Netze sind feiner geknüpft als seine Netze für Saibling, Hecht und Zander. Aber auch einfacher zu zerreißen. Es geht auch ohne Kettensäge. Einfach nicht beachten.
Aber jetzt muss Wallner erstmals in die Stichwahl. Dann will er im Erfolgsfall die Deregulierungswelle lostreten. Am Chiemsee kann es stürmisch sein, ehe der Wind sich wieder legt, als ob ihm schon ein Windrad begegnet wäre und die Kite-Surfer ans rettende Ufer paddeln müssen statt zu fliegen.