
Es sind verstörende Bilder, die uns in diesen Tagen aus Taiwan erreichen: Aus den sonst so modern-sauberen Hightech-U-Bahnen der asiatischen Metropole Taipeh steigen keine Arbeitspendler in Hemd und Krawatte, sondern schwer bewaffnete Soldaten in Flecktarn, mit „Stinger“-Flugabwehrraketen auf dem Rücken. Die Inselrepublik Taiwan probt den Ernstfall.
Ukraine, Russland, Israel, Iran – in diesen Tagen schaut die Welt auf viele Konfliktregionen, aber kaum auf den Pazifik. Dabei hat sich dort an der Bedrohungslage kaum etwas geändert, und wenn doch, hat sie sich nur noch weiter verschärft. Während Taiwan für den Verteidigungsfall trainiert, probt man weniger als 200 Kilometer entfernt an der Küste in der chinesischen Provinz Fujian bereits die Invasion.
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Unzählige Amphibienpanzer der dortigen „Volksbefreiungsarmee“ der kommunistischen Partei starteten nur Wochen vor der taiwanesischen Großübung in See und demonstrierten auch, was die Insel im Fall einer Landung chinesischer Truppen zu erwarten hat. Die in der Taiwan-Frage entscheidende Deadline von 2027 rückt immer näher. Dieses Jahr hat die chinesische Führung intern als Zeitpunkt ausgegeben, zu dem das chinesische Militär spätestens für eine Invasion bereit sein sollte – ob und wann sie tatsächlich passiert, ist eine andere Sache.
Wie ernst Peking das nimmt, zeigt sich auch an den immer weiter eskalierenden Militärmanövern Chinas rund um Taiwan. Flogen etwa 2023 noch ca. 1.700 Mal chinesische Militärmaschinen über die Medianlinie der Taiwanstraße, waren es im letzten Jahr bereits über 3.000 solcher Vorfälle. Zugleich werden die Seemanöver immer intensiver. Mehrmals jährlich, mit kaum einer Ankündigung, finden sie inzwischen statt. Das diesjährige Großmanöver beinhaltete erstmals mehrere chinesische Flugzeugträger weniger als 24 nautische Meilen (etwa 44 Kilometer) entfernt von der taiwanesischen Küste.
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Auch deshalb fielen Taiwans Übungen für den Fall einer Invasion besonders großflächig und sogar in urbaner Umgebung aus. Nicht nur in der U-Bahn unter Taipeh, sondern ebenso auf den Straßen der Hauptstadt – auch, um die Verteidigung strategisch wichtiger Brücken zwischen Taipeh selbst und der direkt benachbarten größten Stadt der Insel, Neu-Taipeh, zu trainieren.
Es geht um Verzögerungstaktiken – darum, eine chinesische Invasionsarmee so lange wie möglich aufzuhalten, mit Straßenblockaden, Abschüssen chinesischer Helikopter, Bekämpfung von Luftlandetruppen an Flughäfen und die Verlagerung eigener Militärlogistikrouten in den Untergrund wie die U-Bahn. All das soll ein Vorrücken der kommunistischen „Volksbefreiungsarmee“ so lange wie möglich erschweren.
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Aber viel mehr, als Zeit zu kaufen, lässt sich kaum erreichen. Auch das wissen die meisten. Taiwans Präsidentenpalast im Zentrum Taipehs ist ca. 20 bis 50 Kilometer von möglichen Landungspunkten an der Küste entfernt. Am Ende geht es darum, Tage, vielleicht Wochen durchzuhalten, bis Taiwans Partner vor Ort sind: allen voran die USA.
Klar kann die Insel in einem David-gegen-Goliath-Kampf Widerstand leisten gegen Pekings Truppen, aber die Kräfteverhältnisse sind anders als etwa im Ukraine-Krieg, in dem ein im Verhältnis etwa dreimal so großes Land seinen Nachbarn angriff. Im Kriegsfall Peking gegen Taipeh geht es um ein Größenverhältnis von 59:1, nicht 3:1. Mit 1,4 Milliarden Einwohnern und einer Armee von ca. 2 Millionen ist China seinem Inselnachbarn Taiwan mit 24 Millionen Einwohnern und ca. 150.000 Soldaten am Ende weit überlegen – wenn keiner der Insel zur Hilfe kommt.
Gerade deshalb hat es jetzt Priorität im Pentagon, genau für diesen Fall gewappnet zu sein und es mit genügend Kräften im Pazifik am besten gar nicht erst zu einer chinesischen Invasion kommen zu lassen. „China ist die alleinige entscheidende Bedrohung für das [Verteidigungs-]Ministerium, und die Verweigerung einer fait accompli-Einnahme Taiwans durch China – bei gleichzeitiger Verteidigung des US-Heimatlandes – ist das alleinige entscheidende Ziel des Ministeriums“, schrieb US-Verteidigungsminister Pete Hegseth etwa im Frühjahr in einem internen Memo über die Zielsetzung der Trump-Regierung (Apollo News berichtete).
Aber hat die US-Regierung unter Trump dafür die entscheidenden Weichen gestellt? Kritiker sehen seine Außenpolitik immer noch zu sehr auf Europa und den Nahen Osten fokussiert: Stichwort Ukraine, wo der Präsident seinen versprochenen Waffenstillstand nicht liefern konnte – auch weil Putin nicht mitspielt. Im politischen Berlin aber merkt man dennoch, dass diese US-Kräfteverschiebung hin zum Pazifik langsam im Gange ist.
Zuletzt ging, wie Politico berichtet, die Angst vor der US-amerikanischen „Global Force Posture Review“ um – ein Vorgang, der sonst meist nur Insidern in Washington ein Begriff ist. Gemeint ist die bei Regierungswechsel oft gestartete US-Neubewertung der eigenen Truppenaufstellung rund um den Globus. Und die könnte diesmal den Abzug von bis zu 30 Prozent der US-Truppen in Deutschland beinhalten, fürchtet man in Berlin. Ziel für die US-Soldaten stattdessen: der Indo-Pazifik.
Neben eigenen Truppen bräuchten die USA dabei in einem potenziellen Konflikt um Taiwan auch weitere Verbündete in der Region. Dass etwa Großbritannien zuletzt seine Hilfe zusagt, mag ein starkes Symbol sein, strategisch bedeutender sind dafür aber die asiatischen Partner, wie etwa Japan und die Philippinen.
Mit Trumps Handelskonflikten und blitzartigen Zöllen dürfte er viele von denen vergrault haben, mag man denken, aber jüngste Umfragen unter ASEAN-Ländern, also Vietnam, Malaysia, Indonesien, Singapur, die Philippinen, etc., zeigen überraschenderweise ein anderes Bild: Anders als unter US-Präsident Biden im vergangenen Jahr favorisiert jetzt eine Mehrheit von 52 Prozent der ASEAN-Elite die USA gegenüber China in einem Konflikt der beiden Rivalen. Unter Biden führte 2024 noch China knapp vor den USA. Mit Trump hat sich also trotz seiner Zölle gegen mitunter enge Verbündete die Stellung der USA im asiatischen Machtgefüge verbessert.
Die große Frage ist jetzt, wie es weitergeht: Wird es der Trump-Regierung gelingen, den historischen „Pivot to Asia“, den schon US-Präsidenten vor ihm ankündigten, aber am Ende im Sand nahöstlicher Konflikte verlaufen ließen, durchzusetzen?
Zwei Dinge sind jedenfalls bereits geschehen, mal mit, mal ohne sein Zutun: Europäische NATO-Mitglieder haben sich jetzt ganz klar für eine Wiederaufrüstung entschieden, in bisher als astronomisch geltender Größenordnung von 5 Prozent als BIP-Ziel für Militärausgaben.
Und im Nahen Osten konnte Trump in seiner ersten Amtszeit einerseits Israel enger an arabische Verbündete, die den Iran in Schach halten wollen, heranführen (Stichwort „Abraham Accords“). Andererseits gelang es Israel im Nachgang des 7. Oktobers, viele seiner strategischen Gegner größtenteils aus dem Verkehr zu ziehen – wie etwa die einst mächtige Hisbollah im Libanon oder die jetzt stark geschwächte Hamas.
Dennoch bleiben Probleme: Die Huthi-Gefahr für den internationalen Schiffsverkehr im Roten Meer ist eine Bedrohung, wie auch der weiter flammende Ukraine-Krieg, für den Trump gerade erst weitere US-Waffen aufseiten Kiews zusagte. Wenn auch bezahlt von den Europäern, kommen die Systeme dafür meist aus den USA.
Wie es also im schwelenden Konflikt mit China weitergeht und ob es Trumps Regierung gelingt, eine chinesische Übernahme Taiwans zu verhindern, das wird eine der historischen Fragen seiner Präsidentschaft.