
In ihrem Koalitionsvertrag haben sich CDU, CSU und SPD darauf geeinigt, eine neue Behörde zu erschaffen: das „Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung“. Das klingt mächtig gewaltig.
Womöglich sollten die beeindruckten Steuerbürger trotzdem nicht allzu viel erwarten. Denn was passiert, wenn sich eine Verwaltung um ihre eigene Modernisierung und Digitalisierung kümmert, kann man bei uns schon besichtigen: natürlich in Berlin, Hauptstadt des Landes und Sammelbecken der nationalen Inkompetenz.
Da dampft der Drucker, und der Scanner glüht.
„Medienbruch“ nennen es Fachleute, wenn Vorgänge sowohl analog als auch digital bearbeitet werden. Medienbrüche sind arbeitsökonomisch und finanziell ein Desaster: Entweder werden elektronische Daten wieder zu Papier, indem man sie kosten- und zeitintensiv ausdruckt, weil man sie nur physisch statt elektronisch bearbeiten kann. Oder Papier muss kosten- und zeitintensiv digitalisiert werden. Im schlimmsten – und gar nicht so seltenen – Fall wird mehrfach zwischen analoger und digitaler Welt hin und her gewechselt.
… führt der Medienbruch zu besonders viel Mehrarbeit. Denn bei einer Erbschaft oder Schenkung kann der Steuerbürger seine Angaben zwar (via Elster) digital einreichen. Doch in der Behörde werden die eingereichten Erklärungen erst ausgedruckt und dann „einmal im Monat mit der Hauspost übermittelt“, wie die Berliner Zeitung „Der Tagesspiegel“ recherchiert hat. Zur Bearbeitung werden die Daten dann, Achtung, noch einmal per Hand (!) abgeschrieben. „Die Tätigkeit ist aufgrund dessen sehr fehlerbehaftet“, erklärt die Berliner Finanzverwaltung.
… spielen wir dasselbe Spiel. Studenten können ihre Anträge auf Unterstützung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz beim Hochschulamt online einreichen. Doch dort erfolgt die Bearbeitung dann ausschließlich analog. Warum? Weil „die maßgebliche Akte die Papierakte ist und dort alle Unterlagen vollständig vorliegen müssen“, erklärt die Berliner Bildungsverwaltung. Oder anders: Es ist so, weil es halt so ist.
… in unserer geliebten Bundeshauptstadt bearbeiten jedes Jahr viele tausend Vorgänge. Die Anträge können die Bürger zwar online einreichen. Bearbeitet werden die Unterlagen in den Ämtern aber ausschließlich analog. Eingegangene Anträge werden deshalb ausgedruckt und am Ende mit einem hübschen amtlichen Siegel per Brief an die Bürger zurückgeschickt. Irgendwann soll mal ein „Digitaler Fahrzeugschein“ kommen. Aber das kann noch dauern.
… kann man in Berlin relativ einfach online beantragen. Etwa 4.000 solcher Anträge kommen jährlich in der Verkehrsverwaltung an, das sind um die elf (11) pro Tag. Mit denen passiert dann Folgendes: Der Antrag wird ausgedruckt, unterschrieben, dann wieder gescannt (!) und danach hausintern digital weitergeleitet. Klingt komisch, ist aber so.
… sind in Berlin besonders überlastet, denn mehr als 50.000 Haushalte in der Hauptstadt beziehen Wohngeld. Anträge kann man online stellen, das kennen wir ja schon. Dann dauert es nicht selten Monate. Denn Bescheide etwa zum Wohngeld-Mietzuschuss oder zur Gewährung eines Wohnberechtigungsscheins können ausschließlich analog ausgestellt werden. Für Druck und Porto nur in diesem Bereich gibt Berlin jedes Jahr mehr als 200.000 Euro aus.
Dieses Geld fließt übrigens ausgerechnet an das „IT-Dienstleistungszentrum Berlin“ ITDZ. Das ist laut seinem gesetzlichen Auftrag verantwortlich für die Digitalisierung der Berliner Verwaltung. Weil Letztere so funktioniert, wie wir das gerade beschrieben haben, betreibt das ITDZ eine eigene Druckstraße. Kein Witz. Dort druckt die Behörde, die den Staatsapparat der Bundeshauptstadt digitalisieren soll, jedes Jahr mehr als 70.000.000 Seiten.
In Worten: siebzig Millionen.
In Deutschland und vor allem in Berlin versteht man unter Digitalisierung zumeist, dass E-Mails und deren elektronische Anhänge auf Papier ausgedruckt und in den altbekannten Aktenordnern archiviert werden. Manchmal, siehe Finanzamt, werden sie vorher auch noch per Hand abgeschrieben. Manchmal, siehe Verkehrsverwaltung, werden die ausgedruckten Papiere dann auch wieder eingescannt.
Im ganz am Anfang schon erwähnten Koalitionsvertrag geizen Union und Sozialdemokraten im Kapitel „Digitalisierung“ nicht mit großen Worten. Man werde „Deutschland auf die digitale Überholspur“ führen, heißt es dort.
Einen eigenen Fahrstreifen hat die staatlich organisierte Digitalisierung in Deutschland tatsächlich. Es ist die Standspur.