
Althistoriker David Engels prophezeite vor 12 Jahren, dass der Westen in die Fußstapfen der niedergehenden römischen Republik treten und zuerst einen neuen Cäsarismus erleben werde, bevor schließlich ein neues Zivilisationsimperium entstehen würde. Gibt ihm die Wahl von Donald Trump und dessen Bündnis mit Elon Musk Recht?
Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. David Engels.
„Told you so“ ist eine Aussage, die ich in den letzten Jahren (möglichst) vermieden habe, wenn die politischen Ereignisse immer wieder die Prognosen meines Buchs „Auf dem Weg ins Imperium“ bestätigt haben. Doch die Ereignisse der vergangenen Wochen in den USA machen es schwer, ganz auf Selbstreferenzialität zu verzichten, da es sich ja nicht nur darum handelt, Vergangenheit und Gegenwart zu verstehen, sondern eine Zukunft vorherzusehen, deren Umrisse wohl kaum noch einem Zweifel unterliegen können.
Worum geht es? Ich hatte 2013 in meinem zunächst auf Französisch publizierten Buch systematisch dargelegt, dass die gegenwärtige Krise Europas, ja eigentlich des ganzen „Westens“ keineswegs ein Einzelfall ist, sondern eine ziemlich genaue Entsprechung der Zustände der römischen Republik im 1. Jahrhundert v. Chr. Sie mündet in einer Transformation in einen autoritären Staat. Für die Analysen dieser Studie bin ich auch von den deutschen Medien zunächst gelobt und sogar von der SZ und dem NDR ausgezeichnet worden („Bestes Sachbuch September 2014“). Später aber, der rapiden Verengung des Meinungskorridors seit 2015 geschuldet, schob man sie in die mittlerweile dramatisch übervölkerte rechte Ecke: Eine Unterscheidung zwischen historischer Zustandsbeschreibung und politischer Meinung, zwischen kühler Prognose und privater Utopie, schien zunehmend nicht mehr intelligibel oder doch zumindest nicht mehr erwünscht.
Seit dem 20. Januar 2025 ist Donald Trump erneut Präsident der USA.
Und doch wird man sich zumindest heute kaum noch dem Eindruck entziehen können, dass die ersten und wohl wichtigsten der von mir prognostizierten Entwicklungen im Großen und Ganzen Wirklichkeit geworden sind. Demographische Schrumpfung, Massenmigration, Niedergang traditioneller Religiosität, Globalismus, Familienzerfall, soziale Polarisierung, Herausbildung abgeschlossener Eliten, Brot und Spiele oder asymmetrische Kriege sind wie in der späten römischen Republik auch heute immer offensichtlicher zu bestimmenden Faktoren geworden.
Auch die Gegenbewegungen – Populismus, Terrorismus, Parallelgesellschaften, Fundamentalismus – sind ungleich stärker als vor zehn Jahren. Kein Wunder, dass die in ihrem Machtmonopol bedrohte herrschende Elite sich zunehmend vom Pfad politischer Klugheit abgewendet hat. Man greift auf Methoden wie Medienzensur, Brandmauern, geheimdienstliche Überwachung, das Erfinden bedrohlicher Putschversuche, finanzielle Sanktionen, soziale Ausgrenzung oder gar politisch motivierte Haftstrafen zurück, um das Steuer nicht aus der Hand zu geben – ganz ähnlich wie die römischen Optimaten in ihrem Endkampf gegen die Populares.
Während dementsprechend die Zeit der Niederschrift meines Buchs in etwa den frühen 60er Jahren v. Chr. entsprach, ist seitdem, wie in Rom, ein grundlegender Wandel eingetreten. Dieser speist sich zum einen daraus, dass die oben genannte Marginalisierung des „populistischen“ Widerstands kaum noch aufrechtzuerhalten ist, denn in den meisten westlichen Ländern steht die jeweilige „Alternative“ kurz vor den Toren der Macht oder übt sie bereits aus. Zum anderen ist auch im Bereich der Eliten ein allmähliches Umdenken eingetreten, nämlich jener Oligarchie, die im Gegensatz zu den meisten parlamentarischen Machtträgern de facto die eigentlichen Zügel der Macht in der Hand hält.
Bis vor kurzem waren sich die Musks, Bezos, Zuckerbergs, Gates oder Soros dieser Welt recht einig darin, dass sich die politisch-korrekte linksliberale Doxa nicht nur am ehesten dazu eignet, die eigentlichen Absichten der zunehmenden eigenen Machtkonzentration zu verschleiern, sondern auch ein interessantes Instrument zur Enteignung der Mittelklasse darstellt. Die absurde Debatte um Identitätspolitik im Namen der „Diversität“, die Auslagerung der Industrie nach China im Namen des „Liberalismus“ und die Zerstörung des Grundeigentums im Namen der „Umwelt“ haben den klassischen Träger der westlichen Demokratien, den bürgerlichen Mittelstand, weitgehend vernichtet.
Doch nachdem diese gewaltige Umschichtung von Macht in die Hände einiger weniger weitgehend abgeschlossen ist – wie geht es da weiter?
Facebook-Chef Mark Zuckerberg, Amazon-Gründer Jeff Bezos, Alphabet-CEO Sundar Pichai und Tesla-Boss Elon Musk wohnten der Inauguration von Donald Trump bei.
Dies ist der Punkt, an dem die modernen Milliardäre ebenso wie damals die schwerreichen römischen Oligarchen beginnen, sich vom Egalitarismus der gemeinsamen politischen Komplizenschaft abzuwenden und aktiv in den Kampf um die volle Macht einzutreten.
Elon Musk ist, wie ich schon seit Jahren ankündigte, der erste, der aus dem linksliberalen Konsens ausschert und sein ganzes Gewicht nach rechts geworfen hat, um Donald Trump zu unterstützen; ein Bündnis, das strukturell völlig dem Ersten Triumvirat in Rom entspricht (60-49): Pompeius und Crassus, Trump und Musk, jeweils der mächtigste und der reichste Mann der bekannten Welt, sind übereingekommen, dass „nichts im Staat geschehen dürfe, dass einem von ihnen missfiele“.
Crassus und Pompeius schlossen sich später mit Caesar zum Ersten Triumvirat zusammen.
Dieser plötzliche Machtüberhang ist insoweit revolutionär, als er nicht mehr, wie die bisherige Allianz zwischen Oligarchie und US-Demokraten, kollektiver und anonymer Natur ist, sondern ganz auf das Charisma und die Interessen zweier einzelner Individuen zugeschnitten ist. Und wenn in diesem Bündnis auch (noch) ein Cäsar als dritter Mann fehlt, da Trump und Musk sich auch die Exekutivgewalt geteilt haben, steht doch außer Frage, dass auch dieses „Duumvirat“ kaum das Ende der Geschichte darstellt. Im Gegenteil handelt es sich vielmehr um den Beginn eines echten abendländischen „Cäsarismus“, also des Endkampfs einiger großer Individuen um die ungeteilte Macht, der erst abgeschlossen ist, wenn aus dem letzten übriggebliebenen „Cäsar“ ein Augustus wird. Auch die überraschend eilfertige Unterwerfung der anderen Wirtschaftsgrößen unter den Zweimännerbund dürfte daher wie in der späten Republik kaum von Dauer sein, sobald sich erste Risse zeigen.
Dieser Kampf kann und wird daher wohl, wie in Rom, noch einige Jahre dauern und ungeahnte Verwerfungen und Krisen bewirken. Und wenn in den USA auch vielleicht offene Bürgerkriege vermieden werden können, ist doch zu erwarten, dass der bereits in den letzten Jahren überall im Westen zur Gewohnheit gewordene innenpolitische Einsatz von Polizei, die faktische Enteignung oder gar Verbannung unliebsamer Konkurrenten, die Instrumentalisierung von Unruhen, Pandemien und Aufständen, die Nutzung von Überwachungstechnik, die Manipulation oder Annullation von Wahlen und schließlich sogar politischer Mord zur neuen Normalität werden könnten – bis schließlich irgendwann einmal ein Kompromiss zwischen den ausgelaugten Eliten, der erschöpften Bevölkerung und dem geeignetsten Kandidaten um die Macht gefunden sein wird, der es wie damals Augustus mit seiner Fiktion einer „Rückkehr“ zu republikanischen Zuständen allen erlaubt, das Gesicht zu wahren.
Welche Rolle wird der „alte Kontinent“ hier spielen, der ja ganz ähnliche, wenn auch etwas weniger vorangeschrittene politische Tendenzen wie die USA aufweist? Sind wir dazu verdammt, für die „römischen“ Amerikaner die Griechen zu spielen, ein zerstrittenes und ewig quasselndes Völkchen, das besserwisserisch aus den ramponierten Elfenbeintürmen der eigenen „Kultur“ auf jene Machtmenschen herabblickt, die das tatsächliche Geschehen diktieren?
Oder werden wir im Namen von Souveränismus und Multipolarität zum Schachbrett der rivalisierenden Interessen der Großmächte werden; stolz, von Russen, Chinesen, Katarern oder Amerikanern gegeneinander ausgespielt zu werden und dies auch noch mit einer wiedergewonnenen „Eigenständigkeit“ zu verwechseln? Oder wird es uns möglich sein, in buchstäblich letzter Sekunde endlich zum politischen Bewusstsein unserer schicksalshaften Zusammengehörigkeit zu gelangen, uns als eigener Machtblock zu vereinen und an die Stelle einer äußerlich impotenten, innerlich aber zunehmend dominanten EU ein neues Bündnis zu setzen, das uns stark und stolz nach außen vertritt und uns gleichzeitig maximale Autonomie nach innen garantiert?
Dort liegen die einzigen Würfel, die wir in diesem gewaltigen Spiel noch einmal werfen dürfen – es mag der letzte Versuch sein, bevor wir endgültig und selbstverschuldet zur Verfügungsmasse anderer werden.
***Prof. Dr. David Engels ist Althistoriker und forscht am Instytut Zachodni in Posen.
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