Warum die deutsche Politik solche Angst hat, dass Frieden ausbricht

vor 2 Monaten

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Dem politisch-medialen Establishment in Deutschland steht eine Trennung bevor. Und wie bei fast jeder Trennung kämpfen alle Beteiligten darum, die Liebe am Leben zu erhalten, sei sie auch noch so toxisch…

Seit drei Jahren verteidigen sich die Ukrainer nun gegen Russland, das die Ukraine am 24. Februar überfiel und einzunehmen versuchte. Dies gelang den Russen nicht so schnell und so weitreichend, wie sie gehofft hatten. Die Ukrainer kämpften mit bewundernswerter Tapferkeit und Stärke um ihr Land, Präsident Wolodymyr Selenskyj hielt in der Hauptstadt Kiew die Stellung, obwohl die Russen nach seinem Leben trachteten. In Wahrheit geht dieser Krieg sogar schon viel länger, seit der Annexion der Krim 2014 müssen sich die Ukrainer im Osten ihres Landes gegen russische Angriffe verteidigen.

Nun erfrecht sich ein amerikanischer Präsident, diesen Krieg befrieden zu wollen – ohne vorher bei der EU nachgefragt zu haben, ob das auch richtlinienkonform ist. Und das deutsche Establishment zittert davor, sich vom Krieg trennen zu müssen. Nicht jeden verleitet die Aussicht auf Verhandlungen zwischen Donald Trump und Wladimir Putin zu solch klaren Worten wie den ZDF-Experten Elmar Theveßen, der Mitte Januar bei Maybrit Illner bekannte: „Die gute Nachricht ist – es wird nicht schon am ersten Tag der Frieden ausbrechen in dieser Region“.

Doch auch vielen Politikern scheint die Aussicht auf Friedensverhandlungen eher Sorge als Zuversicht zu bereiten. Der scheidende Bundeskanzler Scholz warnte bereits vor zwei Wochen vor einem „Diktatfrieden“. Verteidigungsminister und SPD-Hoffnungsträger Boris Pistorius findet: „Wir sind als Europa nicht irgendjemand.“ Europa dürfe nicht am „Katzentisch sitzen“. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verriet bei der Münchner Sicherheitskonferenz, dass er beim US-Vize gebettelt habe: „Was immer Ihr plant, besprecht es mit uns!“ – der falsche Weg laut Friedrich Merz: „Zu bitten und zu betteln, dass wir da endlich an den Verhandlungstisch kommen, das ist nicht die richtige Vorgehensweise“. Der CDU-Chef will das Problem lieber angehen wie ein Bodybuilder die Massephase: „Wir müssen jetzt eigenes Gewicht entwickeln.“

Mit „größter Besorgnis“ beobachtet Merz den Versuch der USA, „über die Köpfe der Europäer, über die Köpfe der Ukraine hinweg mit Russland einen Deal zu machen“, wie er am Montag nach der Bundestagswahl erklärte. Zuvor hatte er sich bereits „einigermaßen schockiert“ darüber gezeigt, dass Trump Putins Narrative über den Krieg übernehme.

Merz am Montag bei einer Pressekonferenz.

Natürlich kann man Trumps Verhandlungsstrategie gegenüber Putin kritisieren, ebenso wie seine Äußerungen über Selenskyj. Als „Diktator ohne Wahlen“ hatte Trump den ukrainischen Präsidenten bezeichnet und ihm vorgeworfen, „in einen Krieg gezogen“ zu sein, als sei die Ukraine nicht das Opfer, sondern der Täter. Doch immerhin hat Trump eine Strategie, immerhin verhandelt er, anstatt stupide einen Krieg mit Waffen zu füttern, dessen Fronten seit Jahren nahezu festgetackert sind. Weshalb fällt es dem politischen Spitzenpersonal in Deutschland so schwer, diesen Fortschritt anzuerkennen? Warum bereitet ihnen Trumps Vorstoß einzig Sorge und nicht auch Hoffnung darauf, dass das Sterben in der Ukraine ein Ende finden könnte?

Einer der Gründe hierfür ist die Bedeutung, mit der dieser Krieg hierzulande aufgeladen wird. „Die Ukraine“ ist längst zur Universalerklärung für alle geworden, die eigene Unzulänglichkeiten verschleiern wollen.

Scholz etwa kaschierte im Wahlkampf seine programmatische Leere mit der Forderung, die Deutschen dürften nicht finanziell gegen die Ukraine-Hilfen ausgespielt werden – obwohl keiner seiner Konkurrenten dies tat. Der „russische Angriffskrieg“ galt den Protagonisten der Ampel-Koalition als stete Ausrede, weshalb die Regierung weder wirtschaftlichen noch sonstigen Aufschwung habe schaffen können. Wenn Habeck nach seiner desaströsen Bilanz gefragt wurde, rekurrierte er stets auf die „Gasmangellage“, die er erfolgreich gemeistert und damit das Schlimmste abgewendet habe. Überhaupt kennen die Grünen auf jede Kritik und abweichende Meinung nur noch eine Antwort: Schuld sind Putin und seine „russische Desinformation“.

Die Grünen und ihr politisches Vorfeld aus NGOs und öffentlich-rechtlichen Medien erhoben den Ukraine-Krieg zur großen moralischen Frage unserer Zeit, wie sie es 2015 auch schon mit der Flüchtlingskrise, dann mit dem Klimawandel und schließlich mit der Pandemie taten. Und weite Teile der Konservativen schlossen sich brav an. Man nahm die Impf-Spritzen aus dem Twitter-Profil und ersetzte sie durch Ukraine-Flaggen. Man lernte die Reichweite von Marschflugkörpern auswendig und die Namen der umkämpften Dörfer. Die Bezeichnungen der Panzermodelle gingen einem so leicht über die Lippen wie jene der neuen Modelle von BMW.

Ganze Sätze trainierte man wie im Fremdsprachenunterricht: „Die Ukraine muss zunächst ihre Offensive beenden, damit sie gestärkt in Verhandlungen gehen kann.“ „Europa wäre zu Verhandlungen bereit, aber Putin will nicht verhandeln.“ „Wir dürfen nicht über die Köpfe der Ukrainer hinweg entscheiden.“

All das wäre vertretbar, wenn es der Ukraine dienen würde. Doch die bellizistische Rhetorik diente vor allem der eigenen Selbstüberhöhung. Die Debatte über die Ukraine ist in Deutschland längst keine geopolitische Auseinandersetzung mehr, sondern eine innenpolitische Debatten-Simulation zur eigenen Verortung auf der moralischen Landkarte. Sie folgt derselben medialen Logik wie zuvor die Flüchtlings-, die Klima- und die Corona-Krise.

Jede dieser Krisen kannte einzig eine binäre Logik – stets ging es um Leben oder Tod: Wer gegen Corona-Maßnahmen war, brachte die eigene Oma ins Grab, wer gegen Klimaschutz war, gleich die gesamten Nachfahren. Wer die Migrationspolitik kritisierte, schien den Tod von Flüchtlingen im Mittelmeer zu befürworten. Und wer schließlich den Waffenlieferungen an die Ukraine misstraute, wurde für den Tod ukrainischer Männer und die Vergewaltigung ukrainischer Frauen verantwortlich gemacht.

Jede dieser Krisen brachte einer jeweils eigenen Klasse Deutungsmacht und damit auch finanzielle Gewinne ein. Jede von ihnen katapultierte eine Riege von Experten ans Licht der Öffentlichkeit und sicherte ihnen ein Dauerticket in Talkshows, jede von ihnen erhöhte die Bedeutung einzelner Politiker und Journalisten, deren Fachgebiet plötzlich an Aufwind gewann. Wo stünden Karl Lauterbach, Luisa Neubauer, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Carlo Masala, Christian Drosten, Alena Buyx oder Claudia Major heute ohne die jeweilige Krise, die ihren Ruhm begründete?

Militärexperte Carlo Masala erklärt bei Caren Miosga die Welt.

Der russische Angriff auf die Ukraine beendete die Corona-Pandemie in Deutschland. Nicht weil das Virus auf einmal verschwunden wäre. Abgeklungen war nach dem 24. Februar 2022 einzig der Hype um R-Wert und Infektionszahlen, weil nun Grenzverläufe und Waffensysteme die talking points auf den Dachterrassen-Partys bildeten. Das Ende jeder Krise beraubt ein Milieu der Deutungsmacht und bringt ein anderes an die Spitze. Und so ringen die selbsternannten Transatlantiker dieser Tage um Diskurshoheit über den Ukraine-Krieg, ohne anzuerkennen, dass ihre Gegner längst die besseren Drähte zur anderen Seite des Atlantiks pflegen.

Dass es auch anders gehen kann, zeigt der französische Präsident Emmanuel Macron: Am Montag besuchte er die neue US-Regierung im Weißen Haus. Dabei sendeten Trump und Macron Bilder der Einigkeit: Sie lachten, umarmten sich, schüttelten sich die Hände. Auch inhaltlich kam es zu einer Annäherung: „Die Initiative von Präsident Trump ist eine sehr positive“, erklärte Macron. Mit dem Regierungswechsel in den USA gebe es einen „neuen Kontext“: „Jeder ist in seiner Rolle. Aber wir haben europäisch-amerikanische Einigkeit“.

Harmonie zwischen Macron und Trump.

Es kam auch zu einer Umarmung.

Noch auf dem Weg nach Washington hatte Macron mit Merz telefoniert und über das Treffen mit Trump gesprochen. Merz erklärte dazu am Montag: „Ich habe eine vollkommene Übereinstimmung festgestellt zwischen dem, was er vortragen will, und dem, was ich auch in der Sache denke.“

Was Merz in der Sache denkt und äußert, ist zwar ziemlich verschieden von dem, was Macron schließlich in Washington vortrug. Vielleicht aber brauchte der mutmaßliche nächste Kanzler einfach einen Stups des französischen Präsidenten in Richtung Diplomatie. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Franzosen die Deutschen dazu bringen, das Ende eines Krieges zu akzeptieren.

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