Warum mehr Geld allein die Bundeswehr nicht rettet

vor etwa 5 Stunden

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Bildquelle: NiUS

Selbst besonders aufmerksamen Beobachtern fällt es dieser Tage schwer, angesichts der Vielzahl militärisch bedeutsamer Meldungen einen Überblick zu bewahren. Zuweilen wird die Medienlandschaft selbst zu einem unübersichtlichen Schauplatz epochaler Schlachten, über dem mal mehr, mal weniger ein griesgrämiger, grauer Pulverdampf schwebt.

Inmitten dieser Nebelschwaden haben sich zwei Meldungen heldenhaft nach oben gekämpft, die von besonderer Bedeutung sind. Nicht zuletzt, weil es um eine Menge Geld geht. Zum einen erhöht die NATO, so der weitestgehend einhellige Beschluss, ihr rüstungspolitisches Ausgabenziel auf 3,5 Prozent, wie es viele Experten erwartet haben. Zum anderen kam ein renommiertes Kieler Institut zu dem Schluss, dass die Ausgaben aus dem ursprünglichen Sondervermögen bislang recht wirkungslos zu sein scheinen.

Zwei Transportflugzeuge vom Typ Airbus A400M der Luftwaffe stehen auf dem Fliegerhorst Wunstorf in der Region Hannover.

Krieg und Geld, das ist schon mehr eine Binsenweisheit als echtes Allgemeinwissen, die gehören zusammen. Einerseits lässt sich mit dem Rüstungsgeschäft ein hübsches Sümmchen verdienen, insbesondere dann, wenn man schon zu Beginn der Ereignisse ein paar Euro übrig hat, die man investieren kann – ansonsten eher nicht so. Andererseits kosten bewaffnete Konflikte auch eine Menge Geld. Waffen, insbesondere solche, die man als zeitgenössisch bezeichnen kann, sind aufwendig zu produzieren.

Benutzt man sie nicht, muss man sie irgendwann entsorgen oder sie kommen aus der Mode. Mit viel Glück bekommt man auf dem Gebrauchtmarkt noch etwas dafür, vor allem, wenn man bei potenziellen Käufern nicht so genau hinschaut. Setzt man sie selbst ein, gehen sie dabei in den meisten Fällen kaputt. So oder so muss man sich einen Krieg, oder so etwas Ähnliches, also leisten können – und wollen. Im jüngeren Menschheitsgedächtnis enden große Auseinandersetzungen zwar mit Sieg oder Niederlage, doch für einen recht kräftigen Teil der Geschichte gingen Kriege nicht selten schlicht und ergreifend deshalb zu Ende, weil einem das Geld ausging. Zumindest davor müssen sich die Deutschen der Berliner Republik aber nicht fürchten.

Es ist nicht lange her, da wurde hierzulande der Rotstift mit Vorliebe bei der Bundeswehr angesetzt, wenn es zu sparen galt. Saniert wurde das Budget, nicht die Kasernen, und zumindest in diesem Krieg war das erste Opfer nicht die Wahrheit, sondern die Wehrpflicht. Scheckbuchpolitik und der vordergründige Pazifismus eines geläuterten Volkes waren die beiden Säulen deutscher Militärdoktrin, ein Kampf der verbundenen Waffen: Abkommen von links, Rettungsschirm von rechts, eine mächtige Zangenbewegung, die sich zu einer dicken schwarzen Null verengend.

Soldaten und Kriegsgerät brauchte man nur für das Messegelände, um dem Export ein wenig unter die Arme zu greifen. Halbwegs ambitionierte Rüstungsprojekte, wie die Einführung einer – wohlgemerkt unbewaffneten – Drohne, waren uns so derart egal, dass sie scheiterten, auch an der eigenen Apathie. Die „Euro Hawk“-Drohne kostete 600 Millionen Euro und einen Verteidigungsminister, danach war es das mit der Rüstung, keine Lust mehr. Heute steht diese Drohne übrigens in einem Museum, und der ehemalige Minister, nun ja, im Grunde auch.

Der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maziere wollte die Drohne an den Start bringen.

Dann, 2022, eine unerwartete Wendung. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist Deutschland seines einstudierten Pazifismus überdrüssig und orientiert sich neu. Vorbei mit der Zivilgesellschaft, die ihre Rüstungsausgaben am liebsten eindampfen und von ihren Soldaten nichts wissen wollte. Den Aufschlag machte die Ampel mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die ausgelaugte, nach frischen Moneten dürstende Bundeswehr. Innerhalb weniger Jahre fanden auch unerwartete Teile der Öffentlichkeit ihren Weg zu einer neuen Haltung, die vorläufig in „Whatever it takes“, einer Aussetzung höherer Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse und einem zweiten Sonderschuldenpaket fand.

Von der Aussage, Deutschland müsse die stärkste Armee auf dem Kontinent haben, ganz zu schweigen.

Könnte man die Geschwindigkeit, mit der die Rhetorik sich in Deutschland gedreht hat, waffenfähig anreichern, wäre dieses letzte Ziel in Windeseile erreicht. Könnte man sie zu Geld machen, wäre auch die Finanzierung ein Kinderspiel. Leider jedoch gibt es dabei zwei fundamentale Probleme: Erstens haben die Deutschen ihre Streitkräfte zwar explizit kleingespart, um eine Reform ihrer teuren Sozialsysteme zu vermeiden – nun bleiben sie dieser Logik treu, indem sie ein weiteres Mal die Auseinandersetzung über die Transferleistungen scheuen.

So wird also nicht die Aufrüstung mit Schulden bezahlt, sondern die Beibehaltung der Sozialausgaben trotz Aufrüstung ermöglicht. Weil es für die Mehrheit derjenigen, die diese Verteidigungspolitik befürworten, keinerlei Einschnitte bedeutet, die junge Generation aber gleich doppelt belastet – durch eine mögliche Wehrpflicht und die steigenden Verbindlichkeiten des Staates – fehlt es der Debatte um Aufrüstung an fiskalischer Seriosität. Das führt, zweitens, zu der besorgniserregenden Feststellung, dass das zusätzliche Geld ganz offensichtlich seine Wirkung verfehlt.

Man muss kein Ökonom sein, um angesichts der beiden Nachrichten aus Kiel und Den Haag die Stirn zu runzeln. Das „Institut für Weltwirtschaft“ zieht auf über einhundert Seiten sehr deutlich die Bilanz, dass trotz Milliardensummen Europas Aufrüstung zu scheitern droht. Insbesondere das deutsche Beschaffungswesen kommt nicht in die Gänge. Dennoch soll nun eine gewaltige Menge Geld zusätzlich bereitgestellt werden, die das bisherige Sondervermögen gewaltig übertrifft.

Wofür genau?

Unweigerlich denkt man an „more of the same“, an einen löchrigen Eimer, in den eine unendliche Wasserflut gegossen wird, ohne, dass dieser jemals den gewünschten Füllstand erreicht. Die Bundeswehr hat kaum mehr Schlagkraft als beim Amtsantritt des beliebtesten deutschen Politikers: Die Ausrüstung hat sich seit 2021 nicht wesentlich verbessert, beim Personal hat sich die ohnehin klaffende Lücke zum Soll sogar vergrößert. Wieso zusätzliches Geld, wenn schon die vorhandenen Mittel nicht ankommen?

Der alte und neue Verteidigungsminister Boris Pistorus

Nun kann man allerhand einwerfen: Beispielsweise, dass es sich bei der NATO-Vereinbarung um eine Zielmarke handelt, die eher in die Zukunft weist. Dass sie eine faire Lastenverteilung unter den Mitgliedsstaaten garantieren soll, ohnehin eine politische Zahl ist – und als solche immer auch ein außenpolitisches Signal, das Teil der Abschreckung ist. Unbestritten ist auch, dass die schlechte Bilanz der eigenen Ausstattung zu Stande kommt, weil ein erheblicher Teil der Bestände in die Ukraine geliefert wurden.

Doch es ändert nichts an der Tatsache, dass das Beschaffungswesen dieses Staates und seine Rüstungspolitik im Ergebnis nicht zur ausgerufenen Doktrin passt. Wollte Europa tatsächlich bis 2030 verteidigungsbereit sein und drohte tatsächlich ein russischer Angriff irgendeiner Art, dann müsste Europa seine Rüstungsproduktion verdreifachen, so attestiert der Report. Damit liegt er richtig. Denn Russland stellt derzeit mehr schweres Gerät als Deutschland, das Vereinigte Königreich, Polen und Frankreich zusammen her, bei vergleichbaren Rüstungskosten. Entgegen den immer wieder fehlerhaften Einschätzungen mancher Experten, die von den Öffentlich-Rechtlichen Medien stur zitiert werden, gehen Russland nicht die Panzer aus. Von einer eigenen Rüstungsproduktion und einem gestrafften Beschaffungswesen kann hingegen keine Rede sein. Die bittere Ernsthaftigkeit, der zuweilen und vereinzelt auch hysterische Diskurs über die Bedrohung aus dem Kreml passt so gar nicht zur Realität. Das Einzige, was derzeit in Deutschland explodieren kann, sind die Kosten.

Es ist ein alter Hut, dass in der Berliner Republik der Wind in jeder Debatte heftig peitscht und gerne umschlägt, sich in Bodennähe aber wenig tut. Dabei gäbe es einiges zu tun: Das Beschaffungswesen der Bundeswehr beschäftigt beinahe zwölftausend Mitarbeiter an knapp 120 Dienstorten, was in etwa der Mannstärke des belgischen Heeres entspricht. Es ist fraglich, ob immer mehr Beamte mit immer mehr Geld in einem schwer vorstellbaren Dickicht an Vorschriften überhaupt die Art von beherzter Entscheidung treffen können, die dem viel beschworenen Bedrohungsszenario angemessen ist.

Wenn der Staat sich im Bürokratieabbau üben möchte, so könnte er sich vornehmen, im Rüstungssektor damit zu beginnen – an derart viel Sand im Getriebe kann nicht einmal die Opposition Gefallen finden. Produktion in hohen Stückzahlen geben Sicherheit für Hersteller und den Besteller gleichermaßen, sie sparen nicht nur Zeit, sondern auch Geld. Die überteuerten Einzelbestellungen in einem Geflecht überflüssiger Dienststellen verhindert jede Chance auf Synergieeffekte. Hier muss der Minister ansetzen, wenn er seine Popularität mit tatsächlichem Regierungshandeln untermauern will.

Es ist gut, dass Deutschland seine Armee endlich zu einer Priorität macht, und auch so kann man die Entscheidung zu Mehrausgaben deuten. Um aufzuholen, sind tatsächlich einige Investitionen nötig, das ist nicht billig. Nun brauchen die Politiker eine Prise von dem Mut, die sie von den Soldaten erwarten: Das Beschaffungswesen vom Kopf auf die Füße zu stellen, wird hausintern alles andere als populär sein. Immer fantastischere Summen aber lösen Deutschlands Sicherheitsproblem nicht. Diese Erkenntnis dürfen sich auch Deutschlands Politiker ruhig etwas kosten lassen.

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