
Grenzenlose Schulden für die Bundeswehr, 500 Milliarden Euro Schulden in Form eines „Sondervermögens“ für die Infrastruktur, mehr Schulden-Möglichkeiten für die Bundesländer und die Schuldenbremse soll von einer möglichen schwarz-roten Angola-Koalition auch noch ganz grundsätzlich reformiert werden, „damit sie keine Investitionsbremse ist“, wie SPD-Chef Lars Klingbeil sagte.
Union und SPD wollen noch vor einer Regierungsbildung und mit den Stimmen des alten, abgewählten Bundestages das Grundgesetz ändern und das größte Schulden-Paket in der Geschichte Deutschlands schnüren. CDU und CSU brechen damit ein zentrales Wahlversprechen.
Hinter den Fragen, ob sich die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit mithilfe der Stimmen abgewählter Grüner im alten Bundestag finden lässt und ob das alles verfassungsrechtlich möglich ist, stehen jedoch große Fragezeichen. NIUS beantwortet die wichtigsten Fragen zum geplanten Schulden-Hammer von CDU/CSU und SPD:
Friedrich Merz, Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Bundesvorsitzender, steht an einem Fenster im Jakob-Kaiser-Haus, wo die Sondierungsgespräche stattgefunden haben.
Union und SPD haben sich in eiligen Sondierungen auf ein gigantisches Schuldenpaket geeinigt: Alle Militärausgaben oberhalb von einem Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen von den Regeln der Schuldenbremse befreit werden – damit wären Schulden in grenzenloser Höhe für die Bundeswehr möglich. Zudem soll ein „Sondervermögen“ von 500 Milliarden Euro für Investitionen in die deutsche Infrastruktur beschlossen werden – für beides ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig, die das Grundgesetz ändert.
Auslöser der Hauruck-Schulden-Plan: Der Eklat im Oval Office zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj, der in Deutschland offenbar als mögliche Abkehr der USA von Europa und der NATO gedeutet wird.
Das 500 Milliarden Euro-„Sondervermögen“ und die Grundgesetzänderung, die grenzenlose Schulden für die Bundeswehr ermöglichen würde, soll noch mit den Stimmen den alten, bereits abgewählten Bundestages beschlossen werden. Der Grund: Union und SPD befürchten, dass das im neuen, frisch gewählten Bundestag politisch nicht möglich sein könnte.
Denn AfD und Linke haben gemeinsam mehr als ein Drittel der Sitze. Für eine verfassungsändernde Mehrheit müsste also eine der beiden Parteien eingebunden werden. Und weil die AfD völlig offen ist für große Investitionen in die Bundeswehr, ist der vorgezogene Hauruck-Plan auch ein Ausweichen einer „Brandmauer“-Debatte. Die Linke lehnt hingegen mehr Geld für die Bundeswehr ab, wäre aber sonst für jede Reform der Schuldenbremse oder „Sondervermögen“ für Konsumausgaben zu haben.
Bereits am 13. März, also am kommenden Donnerstag, sollen die Anträge von Schwarz-Rot im Bundestag diskutiert werden. Am Montag drauf (17. März) soll im Bundestag abgestimmt werden, damit der Bundesrat am 21. März zustimmen kann.
Mit der Schulden-Ankündigung haben CDU und CSU ein zentrales Wahlkampf-Versprechen bereits wenige Tage nach der Bundestagswahl gebrochen: „An der grundgesetzlichen Schuldenbremse festhalten. Sie stellt sicher, dass Lasten nicht unseren Kindern und Enkeln aufgebürdet werden“, heißt es wörtlich im Wahlprogramm.
Friedrich Merz hatte sich im Wahlkampf zig Mal betont, dass an eine Reform der Schuldenbremse nicht zu denken sei. Im Finale des Wahlkampfes sagte Merz im TV-Duell mit Olaf Scholz wörtlich: „Wie weit wollen wir das eigentlich noch treiben mit unserer Verschuldung? Ich bin der Meinung, wir haben hier auch eine Verpflichtung unseren Kindern gegenüber. Die müssen das irgendwann mal zurückzahlen. Und deshalb sage ich: Grundsätzlich sollten wir irgendwann mal mit dem Geld auskommen, das wir an Steuern in Deutschland einnehmen, und das sind mittlerweile fast 1000 Milliarden Euro pro Jahr.“
Johannes Winkel, der Chef Jungen Union, bezeichnete die Schuldenpläne als „Niederlage“.
Entsprechend angespannt ist die Lage in der CDU: Bisher hat sich kaum ein CDU-Politiker öffentlich hinter die Schulden-Pläne von Merz gestellt, im Gegenteil: Ex-Fraktionschef Ralf Brinkhaus etwa soll in der Fraktion heftige Kritik geäußert haben: „Ist das der Preis, den Du dafür zahlen musstest? Wir haben im Wahlkampf das Gegenteil erzählt“, zitiert ihn Table Media.
Johannes Winkel, der Vorsitzende der Jungen Union, spricht im Deutschlandfunk von einer „deutlichen Niederlage für die Union“. Er lässt auch ein gutes Haar an den Schuldenplänen: „Aus Sicht der jungen Generation ist das natürlich ein harter Schlag für Generationengerechtigkeit und auch für Nachhaltigkeit bei Staatsfinanzen, weil die Botschaft ist: Lieber bequeme Schulden machen, als unbequeme Reformen anzugehen.“ Von einer „deutlichen Niederlage“ spricht Winkel deshalb, „weil ich für dieses große Entgegenkommen der Union gegenüber den Sozialdemokraten offengestanden, die Gegenleistung nicht sehe“, erklärt der JU-Chef.
Winkel fordert, dass sich du Union nun bei anderen politischen Feldern wie der Migrations- und der Wirtschaftspolitik inhaltlich durchsetzen.
Wie NIUS in zahlreichen Gesprächen mit CDU-Politikern und Mitgliedern erfahren hat, herrscht auch an der CDU-Basis das blanke Entsetzen.
Für all die Hauruck-Schulden-Pläne ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag nötig: 491 der 733 Stimmen.
CDU/CSU und SPD haben zusammen nur 403 Stimmen und haben (bisher) die Rechnung ohne die fehlenden 88 Stimmen gemacht, die sie sich von Grünen oder der FDP erhoffen. Denn Klingbeil und Merz haben die beiden Parteien in die Verhandlungen nicht einbezogen, sondern lediglich mit den konkreten Plänen konfrontiert. Und die ersten Reaktionen sind von beiden Parteien abweisend.
Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki nannte das Vorgehen „unseriös“ und „demokratietheoretisch falsch“. Auch und vor allem bei den Grünen gibt es Widerstand, die im Wahlkampf genau das forderten – jede Menge Schulden für Investitionen in die deutsche Infrastruktur – und von der Union dafür verlacht worden sind. Einige fühlen sich offenbar betrogen. „Merz und Söder blockierten und verunglimpften lange, was sie nun selbst tun“, sagte Grünen-Chefin Franziska Brantner. Und sofort werden natürlich auch Forderungen laut, auch Geld für Klimaschutz bereitzustellen: „Habe ich überlesen wieviel Investitionen in Klima-, Natur- und Umweltschutz gehen?“, fragte etwa die grüne Bundestags-Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Anton Hofreiter sagte bei Markus Lanz gar: „Merz hat sich an die Macht gelogen.“
Die entscheidende Frage für Merz ist jedoch: Warum sollten Dutzende (Noch-)Abgeordnete von SPD und Grünen, die die Wahl und ihr Mandat auch verloren haben, weil sie mit ihren Forderungen nach neuen Schulden von Merz verlacht worden sind, die Merz wegen seiner gemeinsamen Abstimmung mit der AfD in weiten Teilen in den schrillsten Tönen beschimpft haben, nun Merz mit ihren Stimmen genau das ermögliche: grenzenlose Schulden?
Aus der Grünen-Fraktion werden mehr als 30 Abgeordnete ausscheiden: Warum sollten die für Friedrich Merz stimmen und ihm ermöglichen, grenzenlos Schulden zu machen?
Selbst wenn man den Ärger innerhalb der Union und vor allem der Jungen Union wegdenkt und davon ausgeht, dass CDU und CSU geschlossen für die Pläne stimmt, fehlen nur 30 Abweichler bei SPD und Grünen, die Pläne scheitern zu lassen. SPD und Grüne werden zusammen 117 weniger Mandate haben. Für noch mehr Abgeordnete sind es die letzten Tage im Bundestag. Es gibt keinerlei Druckmittel der Fraktion, sie zu einer geschlossenen Abstimmung zu nötigen, kein Grund für eine Loyalität gegenüber den Schulden-Plänen eines in Teilen verhassten und als „Nazi“ beschimpften CDU-Chefs.
Die Pläne stehen also parlamentarisch auf sehr wackligen Beinen.
Aber nicht nur mit Blick auf die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit schwanken und wanken die Milliarden-Pläne, auch verfassungsrechtliche werden größte Bedenken angemeldet ob einer möglichen verfassungsändernden Abstimmung mit den Stimmen des alten, abgewählten Bundestages.
Rein rechtlich, sagt der Staatsrechtler Prof. Volker Boehme-Neßler im Gespräch mit NIUS, ist der alte, abgewählte Bundestag 30 Tage lang bis zur Konstituierung des neuen Parlaments „uneingeschränkt arbeitsfähig“. Man könne aber durchaus die Frage stellen, ob es dem Demokratieprinzip entspreche, den bereits geäußerten und bekannten Volkswillen gezielt zu umgehen. „Der Respekt vor der Verfassung nimmt ab. Der Geist der Verfassung spielt oft keine Rolle mehr.“
„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“, heißt es in Artikel 20 des Grundgesetzes. „Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ In den letzten drei Jahren waren eine ganze Reihe von Verfassungsklagen erfolgreich, von der Haushaltsklage der Union über die Klage wegen beschnittener Rechte der Opposition oder der Klage von NIUS gegen die Bundesinnenministerin.
Der Staatsrechtler Prof. Volker Boehme-Neßler
Auch der Staatsrechtler Franz Josef Lindner hält Merz’ Milliarden-Pläne formalrechtlich für möglich, gibt allerdings zu bedenken, dass es mit Blick auf die Bundestagswahl und die neuen Mehrheiten eine „Zurückhaltungspflicht“ der Exekutive geben könnte, mit dem alten Bundestag so tiefgreifende Beschlüsse herbeizuführen, wie es Änderungen der Verfassung nun einmal darstellten. Es könnte interessant sein, diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen, darin sind sich die beiden Top-Juristen einig.
Doch auch das milliardenschweren „Sondervermögen“ selbst finden die beiden Staatsrechtler problematisch und könnten sich auch hier eine Klärung in Karlsruhe vorstellen, bis zu welcher Höhe derartige Schuldenberge neben dem regulären Haushalt (der auch neue Kredite umfasst) zulässig seien. Ganz abgesehen davon, dass ein „Sondervermögen“ eben nicht mehr besonders sei, wenn man immer neue daneben aufhäufe, spricht Lindner von einem „Normwiderspruch“, wenn es gleichzeitig eine Schuldenbremse mit Verfassungsrang gebe, die durch Sondervermögen faktisch unwirksam gemacht werde. „Irgendwo muss da eine Grenze sein“, so Lindner. Nur gezogen hat sie bislang halt niemand.
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