
Der amerikanische Präsident Donald J. Trump und der russische Präsident Wladimir Putin haben sich in Alaska getroffen, um über ein Ende des Krieges in der Ukraine zu sprechen. Obwohl beide Staatschefs große Hoffnungen in dieses Treffen setzten und wenigstens Präsident Trump erwartete, eine Vereinbarung über einen Waffenstillstand zu erreichen, haben sich diese Hoffnungen nicht erfüllt. Das bedeutet aber keineswegs, wie in allen Mainstream-Medien behauptet wird, dass das Treffen sinnlos oder eine Gratis-Aufwertung von Putins Status in der großen Welt der Diplomatie gewesen wäre. Ganz im Gegenteil: manchmal ist kein Deal auch dann ein Deal, wenn es um große Kriege und ihre Beendigung geht.
Kriege werden durch Verhandlungen beendet und nicht durch ein Morden auf den Schlachtfeldern so lange, bis ein Land kapituliert und das andere triumphiert. Der Dreißigjährige Krieg (1618–1648), der bis dahin längste und blutigste Krieg in Europa, wurde nach langen, zähen Verhandlungen durch den Westfälischen Frieden beendet. Der Siebenjährige Krieg (1756–1763) wurde gleich durch zwei Friedensschlüsse in Paris und Hubertusburg (jeweils 1763) und die Napoleonischen Kriege wurden durch den Wiener Kongress (1815) beendet. Bei all diesen Friedensschlüssen wurde hart, lange und zäh verhandelt und riesige Gebiete zwischen Ländern hin- und hergeschoben – aber irgendwann wurde ein Vertrag unterschrieben und dann war Frieden.
Verhandlungen gescheitert? Keinesfalls! Ein positiver Startpunkt wurde gesetzt
Und so wird es auch in der Ukraine sein. Vor dem Frieden stehen Verhandlungen, und die müssen irgendwann anfangen. Das haben Trump und Putin jetzt getan. Dabei sind sie im ersten Schritt nicht weit gekommen, aber das darf keinen überraschen, denn der Krieg in der Ukraine geht schon dreieinhalb Jahre lang, fast eine Million Menschen sind tot oder verwundet, ein Fünftel der Ukraine ist von Russland besetzt, die Moral in Kiew am Boden und das Land am Ausbluten. In solchen Situationen tun Verhandlungen besonders weh, weil bereits so viel verloren wurde und jetzt nach und nach klar wird, dass für den Unterlegenen Leben, Hab und Gut verloren sind und ein schmählicher Friede droht, bei dem auch noch Gebiete aufzugeben sind. Solche Verhandlungen führt nur der potentielle Sieger gerne, aber sie müssen geführt werden – allein deshalb, um das Sterben und die Zerstörung zu beenden.
Weil dies doch so klar und eigentlich unbestreitbar ist, erstaunt es, mit welcher Sturheit die Regierungschefs vieler europäischer Staaten (und die Journalisten der Mainstreammedien mit dazu) von vornherein Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine entweder gleich ganz verdammen oder mit solch hohen Hürden versehen, dass diese dann garantiert nicht stattfinden. Alle diese Politiker und Medienschaffenden, die doch ihr ganzes Leben lang von Humanität, Frieden, Freiheit und Demokratie säuseln, wollen nun in der Ukraine eine Fortsetzung der Kämpfe bis zum bitteren Ende. Ein Ende, das sie sich stets so vorstellen: Obwohl inzwischen tödlich geschwächt, werden die Ukrainer mit immer mehr Geld, Waffen und Munition aus den NATO-Ländern die Russen irgendwann doch noch aus der Ukraine vertreiben und ihnen dabei so heftige Verluste beibringen, dass Russland irgendwann entweder gleich kapitulieren oder einem Siegfrieden der Westmächte zustimmt, der im Paket auch noch die Mitgliedschaft der Ukraine in NATO und EU enthält. Worauf der Friede in Europa wiederhergestellt ist und das Gück beginnt.
Das wird so nicht kommen. Die Ukraine kann diesen Krieg militärisch nicht mehr gewinnen.
Die Ukraine hat sich tapfer, mutig und ingeniös verteidigt, aber das Land verfügt ganz einfach nicht über die Soldaten, die Wirtschaftsleistung und die Rüstungsindustrie, um einen Sieg über das viel größere Russland, das seine ganze Industrie erfolgreich auf Kriegswirtschaft umgestellt hat und die vom Westen so zahlreich verhängten Sanktionen mit Hilfe Chinas und Indiens umgeht, zu erringen. Russland und die Ukraine befinden sich in einem Abnutzungskrieg, in dem es für beide Seiten kaum Geländegewinne gibt, der aber Menschen, Maschinen und Moral nach und nach auszehrt, bis eine Seite, dann aber sehr plötzlich, in sich zusammenklappt.
Ich erinnere kurz an den Ersten Weltkrieg: Im März 1918 begann die oberste deutsche Heeresleitung, also Hindenburg und Ludendorff, auf breiter Linie eine Offensive an der Westfront, die die Entscheidung bringen sollte, bevor die amerikanische Armee in voller Stärke eingreifen konnte. Und obwohl die Deutschen bis auf 48 km an Paris herankamen (vgl. Nick Lloyd, The Western Front: A History of the Great War 1914‑1918, New York 2021.), erschöpfte diese massive Materialschlacht die deutschen Kräfte so stark, dass die erzielten Geländegewinne nicht zu halten waren und ein letztes Aufbäumen im Juli 1918 nicht mehr kaschieren konnte, dass die Wende erreicht war und die endgültige Niederlage bevorstand. Stellungskriege wie im Ersten Weltkrieg, die auf rücksichtsloser Abnutzung von Menschen und Material beruhen, haben die Tendenz, die Wirklichkeit lange zu verschleiern (zu denken wäre auch an Österreicher und Italiener bei Caporetto ebenfalls im Ersten Weltkrieg) – bis die unterlegene Seite dann ganz plötzlich kollabiert.
Genau so kann und wird es der Ukraine kommen – all dies ist nichts anderes als die Arithmetik militärischer Faktoren. Reißt jedoch die Front in der Ukraine auf weiter Linie plötzlich auf (wie es im November 1918 von Ostende bis Belfort geschah), dann wird die darauf folgende Niederlage zu einer vollständigen Kapitulation führen, welche Putin dazu verleiten könnte, die ganze Ukraine zu annektieren bzw. in ein russisches Protektorat zu verwandeln. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendein NATO-Regierungschef oder einer der vielen Ohrensesselstrategen bei ARD und ZDF das wirklich will. Wenn dies aber niemand will, dann muss frühzeitig etwas dagegen getan werden. Es muss, mit einem Wort, verhandelt werden, bevor es zu spät ist. Und damit hat Trump nun begonnen.
Jetzt sind die Gespräche in Alaska nicht so gelaufen, wie zu erwarten gewesen wäre. Die Medien haben sofort kritisiert, mit welcher Freundlichkeit Trump den erkennbar glücklichen Putin empfangen hat, der im letzten Moment gebürstete rote Teppich war zu rot, die überfliegenden Tarnkappenbomber zu respektvoll, Trump hat zu nett gelächelt und seine Hand zu weit ausgestreckt – so, als würde ernste Griesgrämigkeit die Sache verbessert haben. Auch hat Trump den russischen Präsidenten, der ja in der großen, guten Welt der internationalen Diplomatie als Unberührbarer gilt, aus seiner Isolation befreit, ihn dadurch aufgewertet und in die Reinsträume der Weltpolitik zurückgeführt – als könnte man mit einem Verfemten Verträge schließen.
Es ist richtig, dass in Anchorage in Alaska zwischen beiden Staatschefs kein Deal geschlossen wurde. Trump und Putin haben eine Menge diplomatischer Höflichkeiten ausgetauscht (Putin: „Our countries, though separated by the oceans, are close neighbors.“ – Trump: „The meeting was a very warm meeting between two very important countries — and it's very good when they get along. I think we're pretty close to a deal.“). Die wurden als leere Nettigkeiten kritisiert, aber so ist die Sprache der Diplomatie mindestens seit Metternich und Talleyrand – und nur so bekommt man zwischen Staaten überhaupt etwas auf die Reihe. Wichtig und substanziell allerdings war, dass Trump einen Waffenstillstand und ein Ende des Tötens mit großem Ernst verlangt hat: „I want to see a ceasefire rapidly … I'm not going to be happy if it's not today … I want the killing to stop.“ Und Putin das immerhin in einem Nebensatz anerkannt hat.
Einen ausgewachsenen Vertrag, einen Fahrplan dazu oder wenigstens ein von beiden Seiten gemeinsam verfasstes Working Paper, das festlegt, wie es jetzt weitergeht, gab es zum Abschluss nicht, was Trump mit dem denkwürdigen One-Liner kommentierte: „There's no deal until there's a deal.“ Das ist sein Satz, der auch von Groucho Marx stammen könnte, aber im Kern ist er vollkommen richtig. Denn er besagt, dass es irgendwann einen Deal zwischen beiden Ländern geben muss – einen Deal, der dann auch die Ukraine einschließen muss und wird.
Es ist also all den leichtfertigen Leitartiklern zu widersprechen, die behaupten, Trump wäre Putin „in die Falle gegangen“ und hätte dem Russen und „Kriegstreibern wie ihm“ die Botschaft vermittelt, diese könnten ungestraft Kriege vom Zaun brechen und sich von ihren Nachbarländern holen, was sie wollten. Das ist nicht der Fall. Wer so schreibt, ist einer interventionistischen linken Außenpolitik aufgesessen, die der amerikanische Politikwissenschaftler John Mearsheimer in seiner maßgeblichen Studie (John J. Mearsheimer, The Great Delusion: Liberal Dreams and International Realities, New Haven, CT: Yale University Press, 2018) als liberalen, sprich linken Progressivismus bezeichnet, der dem Rest der Welt durch gezielte Interventionen eine linksgrüne Politik aufzwingen will.
Mearsheimer hat klar festgestellt, dass linke interventionistische Außenpolitik, die auf liberaler Hybris beruht – also der Verbreitung liberaler Demokratien durch militärische Eingriffe – zu den unendlichen Kriegen der USA (z. B. in Vietnam und im Irak) geführt hat. Wirklicher Friede, schreibt Mearsheimer, kommt durch Zurückhaltung („restraint“) zustande und dadurch, dass die Großmächte die Einflusssphären der jeweils anderen Macht respektieren und sich gegenseitig in einer Machtbalance befinden. Nur schonungslose Realpolitik, die den Status der anderen Großmacht respektiert und eben nicht die eigene liberale Ideologie – und sei sie noch so sehr auf Menschenrechte, Demokratie und Freiheit fixiert – kann nach Mearsheimer zu einem dauerhaften Frieden zwischen den Großmächten führen.
Das ist auch der Weg zu einem Frieden in der Ukraine. Die Ukraine kann aus heutiger Sicht trotz aller Waffen und Hilfe aus dem Westen nicht damit rechnen, das eine Fünftel ihres Bodens, das von den Russen besetzt ist, zurückzugewinnen. Die Ukraine kann auch nicht damit rechnen, dass Russland eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine akzeptiert oder an der Demarkationslinie zwischen den beiden Armeen NATO-Truppen stationiert sehen will. Das ist gewiss für die Ukrainer eine riesengroße bittere Pille, die extrem schwer zu schlucken sein wird. Aber nur so ist zukünftig ein Friedensschluss denkbar.
Als Geste des Respekts durfte Putin in Trumps Panzerlimousine „The Beast“ mitfahren
Bis dahin wird es noch ein langer Weg sein. Die Friedensverhandlungen für den Westfälischen Frieden nach dem Dreißigjährigen Krieg dauerten vier Jahre und wurden von 1400 diplomatischen Vertretern geführt.Aber Trump hat in seiner praktischen, realpolitischen Art erkannt, dass nur durch langwierige und unangenehme Verhandlungen – die linksliberale Leitartikler auch zukünftig in eine Ohnmacht nach der anderen stürzen werden – ein echter Frieden möglich ist. Dazu wurde der erste Schritt heute im Morgengrauen in Alaska getan.