Warum wir uns auf die Freilassung der Geiseln freuen sollten und nicht über eine „Waffenruhe“ in Gaza

vor 3 Monaten

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Gegenwärtig herrscht Erleichterung über eine möglicherweise bevorstehende Waffenruhe im Gazastreifen. Dabei sollte unsere Solidarität den fast hundert Geiseln gelten, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden. Vor allem, um die Verschleppten nach Hause zu holen, führt Israel diesen Krieg – und ist sogar zu einem Waffenstillstand bereit, der de facto dem Ziel, die palästinensischen Terroristen als dauerhafte Gefahr für seine Bürger auszuschalten, zuwiderläuft.

Seit 466 Tagen und Nächten werden noch knapp hundert Geiseln aus Israel unter bestialischen Bedingungen im Gazastreifen festgehalten. Ohne Medikamente, hungernd, frierend in mehrere Meter unter der Erde angelegten niedrigen und verdreckten Tunneln, in denen manche nicht aufrecht stehen können, psychisch und physisch gequält. Seit 466 Tagen bangen nicht nur ihre Angehörigen und Freunde um sie, sondern ganz Israel: Rund um die Uhr wird für ihre Rückkehr gebetet, ihre Gesichter sind auf Plakaten und Projektionen zu sehen, in den Zeitungen, am Ben Gurion Airport in Tel Aviv, einfach überall präsent, ihre Namen jedem geläufig.

Die Gesichter der Verschleppten sind in Israel allgegenwärtig und jedem vertraut.

Mehr als 251 Menschen jedes Alters, vom Baby bis zum Greis, Israelis, aber auch Ausländer, darunter Arbeiter aus Fernost, sind am 7. Oktober 2023 beim Überfall auf Israel mit mehr als 1200 Toten in den Gazastreifen verschleppt worden, die meisten von den Terroristen der Hamas und anderer islamistischer palästinensischer Banden, etliche aber auch von Zivilisten. Einige wenige Geiseln konnten von israelischen Soldaten befreit werden, am 1. Dezember 2023 kamen 50 frei – weil Israel dafür 240 verurteilte Palästinenser aus seinen Gefängnissen freiließ.

Zwei Wochen später kamen drei Geiseln durch Schüsse israelischer Soldaten ums Leben, Opfer einer tragischen Verwechslung. Weitere Geiseln wurden von der Armee befreit, zwei davon in Rafah, dem Ort, den Annalena Baerbock von einer Offensive der IDF verschont wissen wollte. Ende August fanden Soldaten die Leichen von sechs ermordeten Geiseln in einem Hamas-Tunnel im südlichen Gazastreifen.

Niemand weiß, wie viele von den 98 Menschen, die sich noch in der Gewalt der Terroristen befinden, noch am Leben sind. Ihr Schicksal dauert durchaus nicht die ganze Welt, in Europa und Amerika zerreißen Antisemiten Plakate mit den Porträts der Geiseln, das Augenmerk liegt ganz auf dem Schicksal der Palästinenser, der angeblichen Opfer eines imaginierten „Genozids“.

Israel hat seine lange eisern durchgehaltene Doktrin, der Erpressung durch Geiselnehmer nicht nachzugeben, zwar schon vor vielen Jahren aufgegeben (2006 war der Soldat Gilad Schalit verschleppt und mehr als fünf Jahre festgehalten worden, bevor er im Tausch gegen 1027 palästinensische Häftlinge, darunter Yahya Sinwar, freigelassen wurde), doch ist jedem Israeli klar, dass der Preis sehr hoch ist: Terroristen kommen frei und werden irgendwann weitere Menschen ermorden. Allerdings sind viele dennoch bereit, diesen Preis zu zahlen. Es hätte auch sie, ihre Familie oder ihre Freunde treffen können, da ist die Solidarität bedingungslos.

Angehörige der Geiseln demonstrieren für einen Deal mit den Terroristen.

Doch nicht von den Geiseln ist die Rede, wenn es jetzt um Verhandlungen über ihre Freilassung geht, sondern von der „Waffenruhe“, die in Wahrheit verhindert, dass Israel die Hamas vollständig zerschlagen kann. „Vereinbarung über Gaza-Waffenruhe naht“ meldet zdf heute, „Neue Hoffnung auf Waffenruhe in Gaza“ die SZ, „klare Fortschritte“ der stern, „Drei-Stufen-Plan soll Waffenruhe in Gaza bringen“ n-tv.

Dabei ist der Krieg noch nicht beendet. Der Autor und Politikwissenschaftler Dan Reiter nennt in seinem Buch „How Wars End“ (Wie Kriege enden) drei Formen des vollständigen Sieges, die Alternative zum kurzsichtigen „Einfrieren“ von Kriegen: Vernichtung des Feindes, Annexion oder aufgezwungener Regimewechsel. Israel könnte Option 1 oder 2 wählen, hat sich aber für Option 3 entschieden: die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen zu brechen. Eine Waffenruhe erschwert (oder verunmöglicht) dieses Vorhaben, das muss jedem bewusst sein.

Und wenn die Hamas, deren Ziel die Vernichtung Israels war und ist, zwar geschwächt, aber dennoch in irgendeiner Form diesen Krieg überlebt, ist die nächste Runde nur eine Frage der Zeit. Dennoch plädiert Außenministerin Annalena Baerbock fast von Tag 1 an für einen Waffenstillstand, angeblich aus „humanitären Gründen“. Das Schicksal der Geiseln, darunter solche mit deutscher Staatsbürgerschaft, erwähnt sie dann und wann pflichtschuldig, doch ihr Hauptaugenmerk liegt klar auf der palästinensischen Seite. Entlarvend ihr Statement: „Natürlich sind meine Gedanken bei den Geiseln und erst recht bei den Menschen, die in Gaza leben, den zwei Millionen Palästinensern.“

Baby Kfir und Kleinkind Ariel – leben sie noch? Niemand weiß es.

Den Journalisten der staatsnahen Medien geht es ganz ähnlich. Während die israelischen Geiseln unsichtbar in den Tunneln leiden, dürfen Gaza-Bewohner lang und breit über ihr eigenes Schicksal klagen, das sie allerdings selbst heraufbeschworen haben. Allgemein ist die Ansicht verbreitet, nicht die Hamas sei das Problem, sondern der Krieg, unter dem schließlich Unschuldige zu leiden hätten.

Das ist erstaunlich, zumal unter den am 7. Oktober verschleppten Geiseln zunächst mindestens 30 Deutsche waren – aktuell sind es noch zehn bis zwölf, niemand weiß es genau, die Bundesregierung hält sich bedeckt. Das Auswärtige Amt spricht nüchtern von einer „niedrigen zweistelligen Anzahl von Personen mit Deutschlandbezug“, die sich noch in der Gewalt der Hamas befinden. Reichlich herzlos, zumal es sich um Menschen handelt, deren Eltern oder Großeltern von den Nazis entrechtet, ermordet oder aus ihrer Heimat vertrieben wurden und die dennoch das Angebot Deutschlands auf Wiedereinbürgerung angenommen haben. So viel zum „Nie wieder ist jetzt“.

Annalena Baerbock setzt das Schicksal der Geiseln mit dem der Gaza-Bewohner gleich: „Jeder einzelne Tag, den die Geiseln in Händen der Hamas-Terroristen sind, ist einer zu viel. Jeder einzelne Tag, an dem palästinensische Zivilist*innen in Gaza sterben, ist einer zu viel.“ Vor diesem Hintergrund bleibt fragwürdig, ob die „Freilassung aller Geiseln, gerade auch der verbliebenen Deutschen“ wirklich „höchste Priorität“ hat. Vor allem auf eine Waffenruhe drängten Baerbock und das Auswärtige Amt immer wieder, im Domina-Ton („Keine Ausreden mehr!“) forderte sie Israel auf, (noch) mehr Lieferungen in den Gazastreifen zuzulassen, behauptete, der Krieg sei „militärisch nicht zu gewinnen“. Die Unterstützung der Terror-affinen UNRWA stellte Deutschland nicht ein, stattdessen flossen reichlich Millionen „Soforthilfe“ an die Palästinenser.

Der durch den von der Hamas ausgelösten Krieg brachte Leid und Zerstörung über Gaza.

Mittel- bis langfristig hält Baerbock sogar an der längst gescheiterten „Zweistaatenlösung“ fest, obwohl diese auf absehbare Zeit illusorisch bleibt, jedenfalls so lange Terrororganisationen wie Fatah oder Hamas die Herrschaft in der Westbank und Gaza ausüben, mit denen buchstäblich kein Staat zu machen ist. Der amerikanische Journalist und Autor Seth Mandel brachte es auf den Punkt: „Die Hamas wird ein Ende des Krieges nicht zulassen – sie wird nur Pausen zulassen, um sich neu zu bewaffnen und zu versorgen, damit der Krieg ewig weitergehen kann.“ Damit er endet, muss die Hamas also nicht nur empfindlich geschwächt, sondern vollständig vernichtet werden, das Gerede von einer Waffenruhe verschleiert nur diese unumstößliche Tatsache.

Wird die Hamas zerschlagen, wird das ein Segen nicht nur für die Israelis, sondern auch für diejenigen unter den Palästinensern sein, die guten Willens sind. Nur ein Ende der Hamas wird „die Region stabilisieren“, nicht die trügerische Waffenruhe, wie Baerbock glaubt und verkündet.

Die Herrschaft der Hamas im Gazastreifen zu brechen, ist das Ziel der Israelis.

Sollte es, wofür sich die Anzeichen verdichten, wirklich bald zu einem „Deal“ kommen, in dessen Folge Israel tausende Terroristen auf freien Fuß setzt, wofür 98 Geiseln nach Israel zurückkehren können, wird das kein Tag der unbeschwerten Freude sein. Zumal niemand weiß, wie viele der Verschleppten noch am Leben sind – in Israel geht man davon aus, dass etwa ein Drittel in Särgen nach Hause zurückkehrt, es könnten auch mehr sein.

Damit die geschundenen Geiseln nach Hause zu ihren Liebsten kommen und die Toten wenigstens begraben werden können, dafür zahlt Israel jetzt einen hohen Preis, der aber wie üblich nicht gewürdigt wird, weder von der deutschen Politik noch von der ihr zugeneigten Presse. Es ist nicht weniger als beschämend.

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