
Friedrich Merz gab sich lange als deutlich Israel-freundlicher als die Scholz-Regierung – jetzt aber kommt die Kehrtwende: Auf einmal kommen von CDU-Außenminister Wadephul und dem Kanzler selbst schärfste Kritik am Verbündeten in Nahost. Israels aktuelles Vorgehen lasse sich „nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen“, meint Merz jetzt. Die israelische Regierung dürfe nichts tun, „was auch irgendwann die besten Freunde nicht bereit sind zu akzeptieren“.
Was Merz meint, ist die neuerliche israelische Offensive im Gazastreifen. Bereits Tage zuvor gab es aus dem Auswärtigen Amt scharfe Kritik daran: Man warf Israel gar vor, das Leben deutsch-israelischer Geiseln zu gefährden. Zudem sei die Lage der Zivilbevölkerung „katastrophal“. Von der EU und anderen EU-Ländern kommen wie erwartet derweil noch viel schärfere Verurteilungen gegen Israel. Der Außenminister David Lammy der britischen Labour-Regierung nennt die Offensive gar „moralisch nicht verteidigbar“.
Eins ist klar: Auf internationaler Bühne verschärft sich der Druck immer weiter auf Israel. Aber warum? Etabliert das Land wirklich eine neue, zerstörerische Form der Kriegsführung, wie manche Berichte einen glauben lassen? Neu ist an dieser neuen Offensive eigentlich wenig. Eine Bodenoffensive gepaart mit Luftangriffen – klar kein Spaziergang, sondern eben Krieg in einem dicht besiedelten, von Terroristen durchsetzten Landstreifen, wie er seit dem Angriff massakrierender Hamas-Kämpfer am 7. Oktober 2023 herrscht.
Inzwischen aber, nach bald zwei Jahren, hat man das Gefühl, an den Kämpfen in Gaza ist wenig neu – es setzt eine Müdigkeit im eigentlich unbeteiligten Westen ein, zusammen mit einer Umdeutung des Konflikts. Amnesty International behauptet etwa allen Ernstes: „Am 7. Oktober 2023 startete Israel eine Militäroffensive von beispiellosem Ausmaß, Umfang und Dauer gegen den besetzten Gazastreifen.“ Ganz so, als hätte es die mehr als tausend toten israelischen Zivilisten, das schlimmste Massaker an Juden an einem einzigen Tag seit dem Holocaust, gar nicht gegeben. Und ganz so, als seien es nicht Hamas-Terroristen gewesen, die mordend durch Kibbuze zogen.
Wenn man aber aktuell manchen westlichen Politikern zuhört, dann klingt es mitunter gar so, als hätte Israel entschlossen, mordend durch Gaza zu ziehen. Für den Militäreinsatz gegen die Hamas ist inzwischen kaum noch Verständnis da – all das wird immer mit der Sorge um die Zivilbevölkerung vor Ort gerechtfertigt.
Ein temporärer Stopp von Hilfslieferungen über UN-Organisationen wurde von Israel-Gegnern geradezu als eine Art Aushungern dargestellt – inzwischen laufen diese wieder, aber jetzt über eine private Hilfsstiftung, die eben nicht die gleichen Verbindungen zur Hamas hat wie die Skandalbehörde UNRWA. Unterschlagen wird gerne, dass auch die Verteilung von Hilfsgütern von der Hamas massiv behindert wird, die immer wieder ganze Konvois für sich einsammelt. Israels Inlandsnachrichtendienst schätzt, dass von den UN-Hilfen an die 70 Prozent in die Hände der Hamas fielen. Egal, wie hoch der Anteil konkret ist, die Plünderungen sind ein massives Problem, das zeigen auch Hinrichtungen von lokalen Zivilisten durch die Hamas, weil diese Hilfsgüter nicht der Terrorgruppe überlassen wollten.
Ideen, einer anderen UN-Organisation ohne ähnliche Verflechtungen mit der Hamas die Auslieferung zu überlassen, blockierte die UNO aber mehrfach: UN-Generalsekretär Guterres schärfte bereits im Januar anderen UN-Organisationen ein, dass es ihnen verboten sei, die Rolle der UNRWA zu übernehmen. Die private Gaza Humanitarian Foundation, die nun anstelle der UN Hilfsgüter ausliefert, hat nun eigene Sicherheitsleute im Einsatz, um zu verhindern, dass die Hilfe an die Hamas geht.
Dass die Zivilbevölkerung bei all dem Krieg, der sich oft in Häuserkämpfen manifestiert, leidet, ist klar. Aber wenn man an einem Ort wie Gaza einen Krieg gegen einen Feind wie die Hamas führt, dann ist das kaum vermeidbar. Was im Westen daher kritisiert wird, ist zunehmend eher die Tatsache, dass Israel überhaupt weiter Krieg führt, nicht wie es ihn führt – denn an vielen Problemen der urbanen Kriegsführung kommt man im Kampf gegen die Hamas nicht vorbei, das weiß man auch im Westen.
Viel lieber wiederholt man das beliebte Mantra aus dreierlei Forderungen: Waffenstillstand, Geiselfreilassung und Zwei-Staaten-Lösung ohne Hamas. Scheibchenweise gab es immer wieder Ansätze dahin – daher auch das „On and Off“ der Kämpfe. Aber es war immer nur eine temporäre Feuerpause, mit einer Freilassung mancher Geiseln. Denn alle drei Ziele widersprechen sich von vornherein, das ist eigentlich jedem klar: Zieht sich die israelische Armee zurück, gibt es keinen Grund für die Hamas, ihre Herrschaft über den Gazastreifen aufzugeben, geschweige denn den Faustpfand der Geiseln aufzugeben. In der Vergangenheit hielt die Hamas einzelne Israelis gar teils über 11 Jahre lang als Geiseln.
Dass Israel jetzt zum finalen Schlag ansetzt, auch die Territorien in Gaza von der Hamas zu räumen, die man durch bisherige Geisel-Deals temporär ihr überlassen musste, ist nur logisch, wenn man den Krieg auch zu Ende führen will. Denn die israelischen Kriegsziele waren schon seit 2023: Ende der Hamas-Herrschaft in Gaza und Befreiung der Geiseln. Dass es unmöglich ist, dabei alle Geiseln lebend zu befreien, ist eine traurige Realität. Aber auf eine Hamas-Zerschlagung zu verzichten und stattdessen einen neuen dauerhaften Waffenstillstand mit ihr zu schließen, wäre nur eine Rückkehr zur Situation vor der Hamas-Attacke, die den Angriff gerade erst ermöglichte. Denn einen entsprechenden Waffenstillstand gab es genau so schon vor dem 7. Oktober.
Trotzdem genau das ist die Forderung nach einem diffus-definierten „Ende des Krieges“ ohne Ende der Hamas, den es jetzt so viel im Westen gibt. In der Welt schrieb zuletzt Chefkommentator Jacques Schuster gar: „Wäre es nicht womöglich wirkungsvoller, die Hamas beim Wort zu nehmen, so wie es Israels früherer Premierminister Ehud Olmert kürzlich riet? Schließlich versprach sie, sämtliche Geiseln freizulassen, sollte Israel den Krieg beenden.“
Bei so viel Blauäugigkeit wird man schon stutzig. Man muss kein Israeli sein, um die Hamas-Terroristen nach dem 7. Oktober eben nicht beim Wort zu nehmen. Aus Israels Sicht ist es klar – nur eins kann verhindern, dass sich so ein Massaker wiederholt: Dass man ein Hamas-Terrornest eben nicht direkt neben sich duldet. Das erfordert eine Zerschlagung der Hamas als militärisch-strukturelle Einheit, die offen Territorien kontrolliert und dort etwa in Ruhe Tunnel und Stellungen bauen kann.
Dass der Hass auf Israel und der Drang nach Terror nicht militärisch völlig ausgemerzt werden kann, ist klar, aber man kann der Terrororganisation ihr entscheidendes Rückzugsgebiet entziehen. Darum dreht sich der israelische Militäreinsatz, der jetzt – nach vielen gescheiterten Deals und temporären Feuerpausen – auf der letzten Meile angekommen ist. Und gerade dort stellen sich immer mehr westliche Politiker gegen das Land.