Was ist da eigentlich noch der Sinn des politischen Lebens?

vor etwa 1 Monat

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„Es wird langsam Zeit, mich zu der Scheiße hier zu äußern“, ist ein Satz, den der große Vordenker und Philosoph Bushido einst prägte. Ich habe es vor mir hergeschoben, mich mit dem Schulden-Deal und dem über uns hereinbrechenden Bundestag auseinanderzusetzen. Mit dem Ziel, nicht realisieren zu müssen, welche Konsequenzen das für unser Land haben wird und all die Auswirkungen, die das auf mein Leben haben könnte. Es ist ein Unterschied, ob man von etwas weiß oder ob man es wirklich realisiert hat.

Mir war natürlich auch klar, dass ich dem nicht ewig entkommen kann. Aber den Wecker stellt man morgens ja auch immer auf Schlummern, auch wenn man das Aufstehen nur um fünf Minuten herauszögert. Meiner Vermutung nach gibt es da aber einige Bürger in Deutschland, die ihre politischen Realisierungen schon sehr viel länger aufschieben. Da ginge eine Aufarbeitung wohl bis in die Kohl-Ära zurück. Ich frage mich manchmal, ob die nicht das schönere Leben leben. Oder ob man doch durch sein Unterbewusstsein verfolgt wird, wie wenn man die Steuererklärung vor sich herschiebt.

Denn was realisiert man denn jetzt? Auch das Papier im Grundgesetz ist geduldig. Man kann da wirklich alles reinschreiben. Und niemand stellt sich dem in den Weg. Ganz unabhängig von den politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen ist für mich die Realisierung von charakterlichen Abgründen, die sich wieder einmal aufgetan haben, die schlimmste.

Ich habe nicht viel von Friedrich Merz oder der CDU erwartet. Mir war klar, dass er schwach ist. Und doch spüre ich, wie etwas in mir, ganz unten in der Büchse der Gefühle, doch enttäuscht ist. Ich glaube, es ist die Hoffnung. Die ist ja einfach so schwer totzukriegen. Egal wie viel Unkrautvernichter an Erfahrungswerten man darüber sprüht. Ich hatte nicht erwartet, dass es besser wird, ich wüsste auch ehrlich gesagt gar nicht, wie das gehen soll.

Doch ich hatte nicht erwartet, dass es so schlimm wird. So schlimm, dass man sich bei dem Gedanken erwischt, dass die FDP in der Ampel retrospektiv dann offenbar doch etwas sehr Schlimmes verhindert hat. Wir hatten gar keine Ahnung, wie schlimm es noch werden konnte. Das alles nimmt Merz in Kauf – für ein Happy End, das nach all den Opfern immer noch in den Sternen steht. Ein Happy End, das unser Land, so wie wir es kennen, möglicherweise nicht überleben wird.

Was ist der Sinn des Lebens? Das ist eine Frage, die ich mir zurzeit besonders oft stelle, seit ich wieder Sachenrecht lerne. Eine sehr aktuelle Frage auch unabhängig meiner ganz privaten Lebenskrisen. Wofür tun wir die Dinge, die wir täglich tun, die uns ausmachen? Wofür streben wir nach dem, was wir streben? Wofür wird man zum Beispiel Politiker? Klar, zynisch gesagt ist die Antwort leicht: Weil man nach Macht strebt. Warum strebt man nach Macht? Um Komplexe zu verarbeiten, vielleicht ist man zu klein oder hatte in der Schule zu wenig Freunde oder eine herrschsüchtige Mutter.

Aber zynisch ist man nach außen und Komplexe finden im Unterbewusstsein statt. In unserer wahrgenommenen Selbstbetrachtung sind wir idealistisch. Da wird man Anwalt, weil man nach Gerechtigkeit strebt, nicht weil man das Geld will und mit den Roben und den großen Gerichtsgebäuden Teil von etwas Größerem sein will, um zu kompensieren, dass man sich nicht ernst genommen fühlt. Was glaubt man, warum man Politiker geworden ist?

Doch eigentlich, weil man das Land mitgestalten will. Weil man zu charakterstarken Menschen aufschaut, auf deren Schultern die Lasten eines ganzen Landes lagen und die doch erhobenen Hauptes in ernsten Situationen wichtige Entscheidungen getroffen haben. Wie Helmut Schmidt bei der Entscheidung über die Landshut. Man wird Politiker, weil man ein Mensch sein will, der tut, was er für richtig hält. Das Idealbild Filibuster – oder römische Ermüdungsrede, je nachdem, welche Ästhetik man bevorzugt. 24 Stunden eine Rede halten, um auch in der aussichtslosesten Lage noch mit allen Mitteln für seine Überzeugung zu kämpfen.

Friedrich Merz wird (vielleicht) Kanzler auf Kosten der konservativen Werte, von denen er glaubt, dass er für sie in die Politik gegangen ist. Die Freien Wähler weichen im Bundesrat von ihrem ursprünglichen „Wir sagen nein“ ab. Die letzte Hoffnung gibt auf, weil sie sich erpressen lassen hat. „Dann sind wir politisch tot“, erklärte Hubert Aiwanger. CDU-Abgeordneter Klaus-Peter Willsch kündigt sich erst als Abweichler an, stimmt dann doch dafür und entschuldigt sich dann bei seinen Enkeln. Da eh nicht genügend Kollegen abgewichen sind, hat er keinen Sinn mehr darin gesehen, auch dagegen zu stimmen.

„Ja, ich war ja auch dagegen, Tobis Kopf in die Toilette zu stecken, aber nachdem das eh schon so viele von meinen Klassenkameraden gemacht haben, habe ich das halt auch gemacht. Tut mir leid, Mama.“ Also die Frage: Was ist der Sinn des politischen Lebens? Wenn man in den entscheidenden Momenten einknickt, ist das politische Leben wirklich besser als der politische Tod?

Aiwanger vertröstet seine Wähler mit „Wir haben die SPD in Bayern verhindert“. Willsch redet sich selbst ein: „Aufgrund des geänderten Grundgesetzes fließt kein einziger Cent. Alles muss einfach gesetzlich von einer neuen Mehrheit geregelt werden. Hieran aktiv gestaltend mitzuwirken, bleibt meine Aufgabe.“ Klar. „Dann aber wirklich!“ Wer’s glaubt, wird selig.

Worauf warten Sie? Wie oft hat man denn in seinem Dasein als Politiker die Möglichkeit, wirklich etwas grundlegend Bedeutendes zu tun? So eine Chance kommt in einer Amtsperiode vielleicht einmal. Bis zur nächsten Wahl sitzen sie nun ihre armselige Zeit zwischen Papierkram, Parteipolitik und Bedeutungslosigkeit ab, immer in Erwartung auf diesen einen perfekten Moment.

Es ist wie zu Corona: Wenn es wirklich so richtig ernst wird, findet man sich mit Menschen auf einer Front wieder, von denen man es nicht erwartet hätte. So wie Canan Bayram. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet eine grüne Bundestagsabgeordnete aus Friedrichshain zu den wichtigsten Fragen der letzten Jahre – Corona und Schulden – eine der wenigen ist, die dagegenhält. Im Ergebnis war ihre Zeit im Bundestag wertvoller als die von all den vermeintlich konservativen Politikern, die ihre Meinung nur am Stammtisch, aber nicht im Plenum sagen. Gibt es ein Leben nach dem Happy End? Nur für politische Karrieren.

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