
In den Koalitionsverhandlungen herrscht derzeit die Ruhe vor dem Sturm. Bis Mitte der Woche möchten die Verhandler von Union und SPD ein Ergebnis präsentieren – derzeit hakt es vor allem noch bei den Themen Bürgergeld und Steuern. Aufgrund der bisher für die Union eher enttäuschend ausfallenden Bilanz haben sich aber schon vor einer finalen Fassung eines Koalitionsvertrages zahlreiche Kommunalpolitiker der Union für einen Mitgliederentscheid ausgesprochen – denn mit den bisherigen Ergebnissen ist die Parteibasis überhaupt nicht zufrieden (Apollo News berichtete).
Jetzt meldet sich auch erstmals eine Bundestagsabgeordnete zu Wort. Die schwäbische Abgeordnete Inge Gräßle hatte bereits Anfang April vor den Folgen weiterer Zugeständnisse der Union an den möglichen Juniorpartner gewarnt. „Die größten Merz-Unterstützer sind besonders ernüchtert, schreiben mir bittere Briefe und treten zum Teil aus“, sagte sie dem Tagesspiegel. „Sie sind misstrauisch, aber noch gutwillig.“
In einem am Dienstag erschienenen Bericht weitete Gräßle ihre Warnung dann weiter aus. Ein Mitgliederentscheid könnte den Konflikt um den künftigen Koalitionsvertrag „innerparteilich befrieden“, sagte sie gegenüber der Zeitung. „Es ist an der Zeit, demokratische Prozesse zu leben, statt präsidiales Vorgehen zu pflegen“, erklärte sie und betonte, sie sei „unbedingt dafür, das auch zu machen“. Gräßle reagierte damit auf den Vorstoß des CDU-Kreisverbands Potsdam-Mittelmark.
Der hatte am Sonntag einen Brief veröffentlicht, in dem eine verbindliche Mitgliederbefragung über einen möglichen Koalitionsvertrag mit der SPD unter dem Titel „Weiteren Vertrauensverlust verhindern – Mitgliederbefragung zum Koalitionsvertrag“ gefordert wurde (Apollo News berichtete). Wie zuvor bereits Gräßle warnte auch hier der Kreisvorsitzende Christian Große vor einer Verunsicherung bei den Mitgliedern und dahingehenden Austrittsplänen zahlreicher Christdemokraten.
Ihm pflichtete auch der Vorsitzende des Brandenburger CDU-Landesverbandes bei. „Wenn der Koalitionsvertrag steht, muss die CDU-Basis dazu gehört werden“, sagte Jan Redmann gegenüber dem Tagesspiegel. „Ich bin auch für eine Mitgliederbefragung offen“. Das ist deshalb interessant, weil ein Mitgliederentscheid über einen Koalitionsvertrag – was in der Union unüblich ist – laut der CDU-Satzung dann zustande kommen kann, wenn ein Drittel aller Landesverbände einen solchen beantragen.
Der Bundesvorstand – der den Kurs von Friedrich Merz bislang mitgeht – muss das dann aber noch einstimmig annehmen, was bisher als unwahrscheinlich gilt. Dabei war der Aufschrei in der Partei vor allem nach der Veröffentlichung des Sondierungspapiers groß. Ursprünglich hatte Merz im Wahlkampf an der Schuldenbremse festgehalten – die dann aber mit der Abstimmung zur Änderung des Grundgesetzes am 18. März gelockert und so die Schuldenaufnahme für ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro ermöglicht.
Aus dem Sondierungspapier ging dann auch hervor, dass sich die Union migrationspolitisch von ihrem Wahlkampfversprechen, kompromisslose Asylregeln durchsetzen zu wollen, verabschiedet hatte. Jetzt soll es vor allem um Zurückweisungen an den Landesgrenzen gehen, Abschiebungen spielen keine Rolle mehr. Vor allem im Bereich Finanzen ist die Union bisher noch nicht großspurig abgewichen – die SPD fordert beispielsweise drastische Steuererhöhungen.
Klar ist aber: Die Sozialdemokraten möchten in den kommenden Tagen zu einem Ergebnis kommen – und setzen dafür auf weitere Zugeständnisse der Union. Wenn sich Merz, wie momentan angedacht, am 7. Mai zum Kanzler wählen lassen möchte (lesen Sie hier mehr), muss der Koalitionsvertrag noch diese Woche stehen. Denn anders als die CDU lässt die SPD ihre Mitglieder über den Kontrakt abstimmen, anberaumt sind derzeit zweieinhalb Wochen.
Währenddessen befindet sich die Union nicht nur parteiintern in einer Zwickmühle. Auch in der Bevölkerung schwindet der Zuspruch – vor allem nach der Grundgesetzänderung, die überdies noch mit dem abgewählten Bundestag beschlossen worden war. Kamen CDU und CSU bei der Bundestagswahl noch auf 28,6 Prozent, so sind es je nach Umfrage derzeit 24 bis 26 Prozent – und damit teilweise genauso viel wie für die AfD (Apollo News berichtete).