Eine Wehrpflicht wäre Zwangsarbeit – und völlig unnötig

vor 3 Tagen

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In naher Zukunft werden alle 18-jährigen Deutschen einen Brief bekommen. Dieser wird einen QR-Code enthalten, der zu einem Online-Fragebogen der Bundeswehr führt. Es geht um die Bereitschaft, den Wehrdienst abzuleisten, und die dafür notwendige Datenerfassung. Ab dem 1. Juli 2027 werden dann alle Wehrpflichtigen einer verpflichtenden Musterung unterzogen. Männer sind verpflichtet, den Fragebogen auszufüllen, für Frauen ist er freiwillig – auf die feministische Empörung über so eine skandalöse Ungleichbehandlung warte ich seit Tagen gespannt.

So sieht es der Gesetzentwurf des Bundeskabinetts vor. Verteidigungsminister Boris Pistorius begründet den Schritt mit der russischen Gefahr: „Die Bundeswehr muss aufwachsen. Die internationale Sicherheitslage, vor allem das aggressive Auftreten Russlands, erfordert dies.“ Es braucht nicht viel Fantasie, um in diesem Gesetzentwurf und dieser Rhetorik den Einstieg in die Wiedereinführung der Wehrpflicht zu sehen.

Der Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius sieht in der russischen Aggression den Grund für die Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Doch eine Wehrpflicht wäre nicht nur Zwangsarbeit, sondern auch völlig unnötig. Dass eine Wehrpflicht Zwangsarbeit ist, bestreiten nur die wenigsten ernsthaft. Stattdessen wird die Zwangsarbeit schöngeredet. „Uns hat es damals doch auch nicht geschadet“, ist ein beliebtes Argument unter ehemaligen Bundeswehr-Soldaten. Selbst wenn sie nicht schaden würde, wäre das kein Argument für eine Wehrpflicht.

Uli Hoeneß resümierte einmal in einem Welt-Interview über seine Zeit im Gefängnis, dass sie ihn „distanzierter und gelassener“ gemacht habe, er „Dinge stärker reflektiere“ und ruhiger geworden sei. Klingt doch ganz gut. Sollen wir jetzt alle Deutschen für eine bestimmte Zeit hinter Gitter stecken, damit sie das auch erleben dürfen? Oder sollen wir nicht lieber anerkennen, dass Menschen zu Vergangenheitsglorifizierung sowie Zweckoptimismus neigen und in so ziemlich allen Lebensabschnitten einen Sinn entdecken können?

Junge Rekruten bei einer Übung der Bundeswehr: Wird die Wehrpflicht zur Hypothek für junge Menschen?

Auch die Behauptung einer besseren gesellschaftlichen Entwicklung durch die große Durchmischung der verschiedenen Milieus bei einer Wehrpflicht ist keine hinreichende Begründung für deren Reaktivierung. Was Fußballvereine auf freiwilliger Basis schaffen, muss nicht auf Kasernenhöfen umgesetzt werden.

Eine erneute Wehrpflicht wäre zudem eine weitere, massive Anmaßung der jungen Generation gegenüber. Dieser Staat hat jungen Menschen nichts anderes mehr zu bieten als steigende Sozialabgaben, ein kaputtes Bildungssystem, eine Abzock-Rente und zukünftige Zinszahlungen für Billionenschuldenorgien. Gesellt sich jetzt noch eine Wehrpflicht dazu, ein Raub von Lebenszeit also, wäre die Verhöhnung komplettiert. Der deutsche Staat sorgt in der Tat für wenig Motivation, für ihn zu kämpfen. Ein Staat, der nicht genug Freiwillige findet, die ihn verteidigen möchten, ist ein Staat mit politischem Nachholbedarf. Ein Staat, der seinen Bürgern nicht vertraut, kann nicht erwarten, dass die Bürger ihm ihr Leben anvertrauen.

Dieser Staat verbietet es mir, mein eigenes Leben und das Leben mir nahestehender Personen im Ernstfall mit einer Schusswaffe zu verteidigen. Er hält mich und Millionen andere Bürger für zu gefährlich. Warum sollte ich im Ernstfall diesen Staat mit einer Schusswaffe verteidigen wollen?

Wenn es um die russische Gefahr geht, braucht es aber auch schlicht und ergreifend nicht mehr Soldaten. Die NATO – das mächtigste Militärbündnis der Menschheitsgeschichte – hat jetzt schon alles, was sie braucht, um Russland in einem konventionellen Krieg locker zu schlagen. Russland hat über 3,5 Millionen Menschen im militärischen Dienst. Die NATO hat über 8,6 Millionen Soldaten. Der Westen stellt mehr als viermal so viele Luftstreitkräfte, gibt im Vergleich zu Russland das Zwölffache für Militär aus. Sogar unter Berücksichtigung der Kaufkraftparität – Russland kann pro Dollar mehr militärische Güter einkaufen als Deutschland oder Frankreich – beträgt der Faktor noch 4:1.

Russische Soldaten marschieren in Mariupol ein.

Russland kämpft seit über drei Jahren in der Ukraine. Anfangs gingen viele davon aus, dass Putins Armee nach wenigen Tagen oder Wochen in Kiew einmarschieren würde. 30 Monate später hat sie lediglich 20 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets erobert, unter enormen Verlusten. Die allermeisten Gebietsgewinne konnten in der Anfangszeit errungen werden. Seit dem Herbst 2022 kamen lediglich ein Prozent der ukrainischen Gesamtfläche hinzu.

Glaubt denn irgendjemand wirklich, dass diese Armee Ländern wie Frankreich, Großbritannien, Deutschland, den USA oder allen zusammen gefährlich werden könnte?

Die Gefahr durch Russland ist real, aber sie besteht nicht darin, dass deutsches Staatsgebiet ernsthaft gefährdet wäre. Sie besteht darin, dass Russland die NATO mit einem Angriff auf ein kleines Mitgliedsland wie Lettland testen könnte, die Mitgliedsstaaten bei diesem Test versagen und gerade die kleineren osteuropäischen Länder Russland ausgeliefert sind.

Die Frage, wie sich die NATO-Länder bei so einem Test verhalten würden, ist keine Frage der faktisch vorhandenen Wehrhaftigkeit, sondern eine Frage der politischen Realitäten in den jeweiligen Ländern. Konkret: Würden die Deutschen für lettisches Grenzgebiet deutsche Soldaten Richtung Moskau schicken?

Soldaten bei einer NATO-Übung an der Ostflanke.

Die NATO ist abwehrbereit. Die relevante Frage ist, ob die Menschen in den NATO-Ländern das auch sind. Kurz und knapp: Es braucht keine Wehrpflicht, um wehrhaft zu sein. Es braucht vielmehr ein tiefes Verständnis von richtig und falsch, eine Entfernung vom allgegenwärtigen Relativismus in der Außenpolitik und eine stabile Verwurzelung im politischen Westen. Dann gehen auch genug Freiwillige zur Bundeswehr. Dann nimmt Russland die Abschreckung der NATO ernst. Dann braucht es keine Zwangsarbeit.

Die schwarz-rote Bewegung hin zu einer Reaktivierung der Wehrpflicht ist kein Schritt in Richtung erhöhter Abwehrbereitschaft, sondern ein Schritt in Richtung weniger Abwehrbereitschaft. Anstatt eine Politik zu betreiben, die Menschen motiviert, freiwillig Deutschland zu verteidigen und die Notwendigkeit von Abschreckungspolitik gegenüber Russland zu erkennen, wird wieder einmal die Bevölkerung mit einem moralisch anmaßenden Befehlston überzogen – von Politikern, die ihre Kinder sicher nicht zur Bundeswehr oder gar in einen Krieg schicken würden.

Auch bei NIUS: Warum die Wehrpflicht zur sicherheitspolitischen Notwendigkeit wird

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