
Die skandalöse EU-Chatkontrolle und eine unverhältnismäßige Vorratsdatenspeicherung in Deutschland – das hatte die FDP vorher in der Ampel-Regierung blockiert. Nach dem Ampel-Aus hat Innenministerin Nancy Faeser (SPD) freie Bahn für eine härtere Überwachungspolitik. Und das versucht sie jetzt auch schon …
Ob in Brüssel oder in Berlin: Derzeit gibt es auffällige Bestrebungen für eine verschärfte Strafverfolgungspolitik, die nicht ausbalanciert ist – wodurch letztendlich auch die Grundrechte leiden könnten.
So sind aktuell auf europäischer Ebene höchst kritische Pläne im Umlauf. Eine von der EU-Kommission eingesetzte, hochrangige EU-Gruppe fordert in ihrem Bericht, dass Strafverfolgungsbehörden ab 2025 ein Echtzeit-Datenzugriff auf Handys und Laptops ermöglicht werden soll. Ziel wäre es, Organisierte Kriminalität zu bekämpfen. Doch Juristen und EU-Politiker fürchten ein ernsthaftes Überwachungsrisiko, was den Allgemeinbürger betreffen kann, da der Straftatenkatalog Stück für Stück erweitert und aufgeweicht werden könnte (NIUS berichtete).
27. November: Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) spricht im EU-Parlament, am Tag der Abstimmung über die Besetzung der neuen EU-Kommission.
Bei diesen brisanten EU-Plänen geht es um folgendes:
Der renommierte Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler sieht das Vorhaben im Gespräch mit NIUS äußerst kritisch: „Der Datenschutz und folglich die Freiheit sterben damit zentimeterweise. Es geht bei dem Thema um die Balance. Einerseits: um effektive Strafverfolgung – dafür muss man an Daten herankommen, das ist richtig. Aber andererseits: um das Schützen der Grundrechte und die Privatsphäre der Bürger. Das sollte ausbalanciert werden! Doch das kommt durch diese Forderungen durcheinander.“
ER sieht die Pläne der hochrangigen EU-Gruppe äußerst kritisch: Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler.
Mitte Dezember tagt der EU-Rat für Justiz und Inneres – dann könnten diese Pläne womöglich weiter umgesetzt werden.
Zeitgleich in Deutschland: Plant Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) VOR einer neuen amtierenden Regierung eine faeserische Version der Vorratsdatenspeicherung durchzudrücken! Mehr noch: Jetzt könnte Faeser auch noch der Chatkontrolle auf EU-Ebene zustimmen.
Letzte Woche hielt Innenchefin Nancy Faeser eine Rede auf der Herbsttagung des Bundeskriminalamtes (BKA). Dort deutete sie an, was sie überwachungspolitisch vorhat. Demnach will sie in ihrer verbleibenden Amtszeit sowohl eine neue Version der Vorratsdatenspeicherung als auch eine ausgeweitete Version der bisherigen Gesichtserkennungsvorhaben durchbringen.
Nancy Faeser (SPD) auf der BKA-Herbsttagung
So erklärte Faeser auf der BKA-Tagung, die polizeilichen Befugnisse blieben an vielen Stellen hinter den Möglichkeiten zurück. „Exemplarisch die IP-Adressen-Speicherung! Ich bleibe da glasklar in meiner Haltung: Wir brauchen diese Daten. Oft sind sie der einzige Weg, Opfern Gerechtigkeit zu verschaffen.“
Heißt übersetzt: Vorratsdatenspeicherung! Diese wird kontrovers in Europa diskutiert. In Deutschland ist sie aktuell wegen Grundrechtsbedenken ausgesetzt. Der Europäische Gerichtshof hatte die Vorratsdatenspeicherung deutlich abgelehnt und das damalige Gesetz gekippt, doch im Mai 2024 gab das EuGH plötzlich doch grünes Licht, Daten von Netz-Usern vorsorglich zu speichern, um bei einfachen Straftaten die Täter ausfindig zu machen (z. B. IP-Adressen). Im Hintergrund heißt es aus EU-Kreisen, dass einige EU-Regierungen Druck auf den EuGH ausgeübt hätten.
Ex-Justizminister Marco Buschmann (FDP) hatte viele Faeser-Überwachungsvorhaben blockiert.
Im Frühjahr hatte sich die Ampel-Regierung auf einen „Freeze“-Kompromiss geeinigt, in dem anlasslos bei einem Verdacht von schweren begangenen Straftaten folglich IP-Adressen und Telefonnummern „eingefroren“ werden können. Sobald ein Verdacht einer erheblichen Straftat vorliegt, soll Behörden relevante Daten schnell beim Telekommunikationsanbieter sichern lassen können („Einfrieren“).
Dies war eine etwas mildere Version der Vorratsdatenspeicherung, welche die FDP wollte – Faeser hingegen wollte eine schärfere. Deshalb wurde der Quick-Freeze-Plan nicht weiter umgesetzt.
Auch das deutete die Innenministerin klar an, sagte in ihrer Herbstrede: „In dieser Wahlperiode war es insbesondere wegen eines Koalitionspartners nicht möglich, eine Einigung auf nötige Verbesserung zu erzielen“. Weiter: „Wäre es nach mir gegangen, hätten wir die verpflichtende Speicherung längst umgesetzt. Ich gebe noch nicht auf. Wir haben noch ein bisschen Zeit. Von mir wird es noch einen Vorschlag geben!“
September 2024: Nancy Faeser (SPD) und BKA-Chef Holger Münch stellen das Bundeslagebild zur Organisierten Kriminalität vor.
Das Problem: Faeser sprach dabei von Schwerstkriminellen – doch sehr oft werden Straftatkataloge erweitert. Was also, wenn man in wenigen Jahren seitens der Behörden mitgeteilt bekommt, dass die Maßnahme erfolgreich ist und auf mittelschwere Fälle erweitert wird? Ähnliches passierte beim Staatstrojaner: Erst ging es um Terrorplanungen, nun geht es runter bis zur Steuerhinterziehung.
Faeser möchte noch während ihrer Amtszeit einen Entwurf dazu im Parlament einbringen, dazu bräuchte sie als Rest-Ampel die Stimmen der Union.
Brisant: Innerhalb der Union und unionsgeführten Bundesländer gibt es Stimmen, welche eine Vorratsdatenspeicherung – also eine anlasslose Speicherung von Telekommunikations-Daten – befürworten. Darunter NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst.
Nicht zu vergessen: Die FDP blockierte zudem auch ein geplantes Schnüffel-Gesetz von Faeser. Sie wollte die Ermittlungsbefugnisse für das Bundeskriminalamt erweitern, indem Ermittler heimlich Wohnungen durchsuchen dürfen sowie Spionagesoftware auf Geräte draufzuspielen. Verfassungsrechtler und Juristen sahen dies äußerst kritisch, meinten, so etwas hätte es „in der Bundesrepublik noch nie gegeben“ und erinnere „an Stasi-Methoden“. Nach jetziger Gesetzeslage muss die Polizei den Beschuldigten erst die Straftat und den Zweck der Durchsuchung nennen. Aktuell liegt dieser Plan auf Eis. Im Gegensatz zu der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung wäre dies schwer möglich im Parlament durchzusetzen.
Ebenfalls hatte Ex-Justizminister Marco Buschmann (FDP) in der Ampel-Regierung die Chatkontrolle auf EU-Ebene blockiert. Aus Regierungskreisen hörte man deutlich, dass die Innenministerin auf eine knallharte Chatkontrolle pochte. Zwischen Faeser und Buschmann herrschte mehr als ein Jahr Zoff darüber.
Damit die Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt gegen Kinder ergreifen können, will die EU private Chats überwachen lassen. Dabei geht es um Internet-Dienste wie Google, Meta und Apple, die zum Scannen und Überwachen ihrer Nutzer verpflichtet werden sollen – ohne Anlass! Automatisiert sollen Inhalte auf Straftaten durchsucht und bei Verdacht an Sicherheitsbehörden gemeldet werden. Kritiker nennen die Chatkontroll-Vorordnung ein „Überwachungsvorhaben“ und eine drohende „Massenüberwachung“.
Bei dieser Verordnung für eine Chatkontrolle befürchten Kritiker und Experten eine mögliche „drohende Massenüberwachung“.
Ebenfalls Mitte Dezember: könnte erneut über die Chatkontrolle in der EU verhandelt werden – falls es auf die Tagesordnung kommt: Könnte Faeser die deutsche Position nun ändern und der Chatkontrolle zustimmen.
Bei der letzten Runde sperrten sich („Sperrminorität“) Österreich, Belgien, Tschechien, Polen, die Niederlanden und Deutschland dagegen.
Die grenzüberschreitenden EU-Vorhaben häufen sich. Kürzlich erst beschäftigten viele Bürger im Land die deutsche Umsetzung des „Digital Service Acts“ (DSA) der EU mit sogenannten „Trusted Flaggers“. Dass private Meldestellen für mehr Kontrolle im Netz sorgen, löste großen Wirbel aus. Kritiker sehen dies hinsichtlich der Meinungsfreiheit problematisch. Für rechtswidrige Inhalte gibt es eigentlich eine staatliche Struktur aus Justiz und Polizei – die wird jedoch jetzt ergänzt mit staatlich-geförderten Meldeportalen.
Mehr NIUS: