„Weitere Schulden zu machen, ist unverantwortlich“: Wie Friedrich Merz bis zum Wahltag über Staatsverschuldung sprach

vor etwa 2 Monaten

Blog Image
Bildquelle: NiUS

Es ist der 31. Januar 2024. Generaldebatte im Bundestag. Das Parlament debattiert über den Haushalt der Ampel-Koalition. CDU-Chef Friedrich Merz tritt ans Rednerpult. „Ich schließe eine Zustimmung meiner Fraktion zu einer Aufweichung der Schuldenbremse des Grundgesetzes heute von dieser Stelle aus erneut aus“, verkündet Merz. Im vorangegangenen November hatte die Unionsfraktion gegen den Nachtragshaushalt der Ampel-Koalition geklagt – und vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen.

Mit ihrer Klage haben CDU und CSU aufgezeigt, was der zentrale Webfehler der rot-grün-gelben Koalition ist: Mit Geld sollen die tiefen Gräben zwischen den Sozialdemokraten, den Grünen und der FDP und ihren jeweiligen Ansprüchen zugeschüttet werden. Nachdem das Gericht die Umschichtungs-Tricks der Koalition beim Haushalt für verfassungswidrig erklärt, wird die Beschaffung von Geld zum Problem für die Koalition. Es ist letztendlich einer der Hauptgründe, an dem sie zerbricht.

Friedrich Merz erkennt dies schon früh. Er macht darum die Einhaltung der Schuldenbremse zu seinem Wahlversprechen und treibt die Koalition vor sich her. Noch in der Generaldebatte im Januar vergangenen Jahres verspricht er: „Wir sagen stattdessen unserer Bevölkerung: Die Aufgaben, vor denen wir stehen, lassen sich lösen, auch ohne zusätzliche Abgaben und ohne neue Schulden. Dazu müssen allerdings die Prioritäten der Staatsausgaben neu geordnet werden.“

Vergessen wird Merz diese Parole erst nach der Wahl. Mittlerweile ist klar: Union und SPD wollen Hunderte Milliarden Schulden aufnehmen. Am Dienstagabend verkündeten die Parteispitzen, ein Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für die Instandhaltung der Infrastruktur aufzusetzen, dazu die Schuldenbremse für Militärausgaben zu lockern.

NIUS liefert die Chronik des gebrochenen Schuldenbremsen-Versprechens.

Auch im Juli 2024 zeigt sich Merz im Morgenmagazin der ARD entschieden: „Wir brauchen die Schuldenbremse. (...) Für den Bund muss das gelten, was im Grundgesetz steht.“ Der Moderator hakt nach: Die Schuldenbremse wird nicht verändert? Merz antwortet: „Die Schuldenbremse ist richtig.“ Die Schuldenbremse enthalte Spielräume, um in begrenztem Maße Schulden zu machen. „Darüber hinaus weitere Schulden zu machen, ist unverantwortlich.“

Am 14. November 2024 weicht Merz erstmals von dieser Linie ab. Beim Wirtschaftsgipfel der Süddeutschen Zeitung sagt er über die Schuldenbremse: „Selbstverständlich kann man das reformieren. Die Frage ist: wozu? Mit welchem Zweck? Was ist das Ergebnis einer solchen Reform? Ist das Ergebnis, dass wir noch mehr Geld ausgeben für Konsum und Sozialpolitik? Dann ist die Antwort nein.“ Merz ergänzt: „Ist das Ergebnis: Es ist wichtig für Investitionen, es ist wichtig für Fortschritt, es ist wichtig für Lebensgrundlage unserer Kinder? Dann kann die Antwort eine andere sein.“ Merz öffnet hier eine Tür, die er später weit aufreißen wird.

Doch schließt er sie wieder. Am 4. Dezember 2024 erklärt Merz in der Sendung von Sandra Maischberger: „Ich will mal sagen, warum ich bei der Schuldenbremse so klar bin: Die schützt das Geld und die Steuerzahlungen der jungen Generation. Jetzt sitzen hier einige aus der jüngeren Generation. Sollen wir deren Geld heute schon ausgeben, weil wir mit dem, was wir haben, nicht auskommen? Wir nehmen 1000 Milliarden Euro Steuern ein, pro Jahr eine Billion, und damit sollen wir nicht auskommen?“

Kurze Zeit später, am 17. Dezember 2024, verabschiedet die Union ihr Wahlprogramm. Ein zentrales fiskalisches Versprechen darin: „Wir halten an der Schuldenbremse des Grundgesetzes fest. Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von morgen.“ Weiter schreibt die Union: „Eine solide Haushaltspolitik ist auch ein Gebot der Generationengerechtigkeit, denn Schulden belasten unsere Kinder und Enkel.“

Die Schuldenbremse verpflichte die Politik, „mit den Einnahmen auszukommen, die für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zur Verfügung stehen.“ Besonders bemerkenswert die Formulierung: „Auch in Krisenzeiten hat sie ihre Funktionsfähigkeit und Flexibilität bewiesen.“ Ein Satz, der jetzt an Relevanz gewinnt: Denn es ist das sich zuspitzende Verhältnis der Ukraine und der USA, das in diesen Tagen der Union als Begründung dient, Milliarden an Steuern aufzunehmen.

Merz-Fans im Wahlkampf.

Anstatt sich Geld auf Pump zu besorgen, will die Union laut ihrem Wahlprogramm lieber durch kluge Kürzungen ihre Mittel aufbessern: „Jeder Euro muss effizient eingesetzt werden. (...) Ausgaben, die ihr Ziel verfehlen, müssen entfallen. Das schafft Spielräume für unseren Politikwechsel. Im Rahmen einer Modernisierung des Bundeshaushalts wollen wir zu einer stärker ziel- und wirkungsorientierten Haushaltsführung kommen.“

Auch im Wahlkampf wird die Schuldenbremse zum Thema. Am 9. Februar 2025 duellieren sich Merz und Noch-Bundeskanzler Scholz bei ARD und ZDF. Merz fragt: „Wie weit wollen wir das eigentlich noch treiben mit unserer Verschuldung? Ich bin der Meinung, wir haben hier auch eine Verpflichtung unseren Kindern gegenüber. Die müssen das irgendwann mal zurückzahlen. Und deshalb sage ich: Grundsätzlich sollten wir irgendwann mal mit dem Geld auskommen, das wir an Steuern in Deutschland einnehmen, und das sind mittlerweile fast 1000 Milliarden Euro pro Jahr.“

Die Moderatorinnen wollen von Merz wissen: Wird die Schuldenbremse noch reformiert? „Ich habe gesagt, man kann es diskutieren. Aber das kommt nicht am Anfang. Am Anfang kommt das Einsparpotenzial, kommt das Wachstum und kommen wirklich auch mal Umschichtungen im Haushalt, die dringend Not tun.“

Im Kanzler-Duell von Welt und Bild am 19. Februar macht sich Merz über Scholz lustig. Der Amtsinhaber behauptet im Duell: „Das billigste Programm hat die SPD geschrieben, weil sie mit Geld umgehen kann.“ Merz prustet los und erklärt: „Diesen Kalauer sollten Sie am Wochenende öfter wiederholen, dass die SPD mit Geld umgehen kann … – Sie wollen Schulden machen, das ist das Einzige …“

Zum Wahlkampfabschluss von CDU und CSU im Münchner Löwenbräukeller lobt Merz am 22. Februar die eigene Partei: „Wir waren eine gute Opposition – bis hin zu der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht wegen der Manipulation des Bundeshaushaltes. 60 Milliarden Euro Rumtrickerei, liebe Kolleginnen und Kollegen, so kann man es wohl sagen: Dieser 15. November 2023, der Tag, an dem das Bundesverfassungsgericht über 60 Milliarden entschieden hat, die sie als Spielgeld jetzt für ihre Projekte nicht mehr zur Verfügung haben, das war der erste Tag vom Anfang vom Ende dieser Koalition.“

Merz und CSU-Chef Markus Söder im Löwenbräukeller in München.

Am nächsten Tag wird gewählt. Die Union wird stärkste Kraft, braucht aber einen Koalitionspartner von links, weil sie eine Koalition mit der AfD ausschließt. Friedrich Merz spürt: Das wird teuer. Denn im Grunde steht er nun vor der gleichen Herausforderung wie vor ihm die FDP: Die Union muss den nach Sozialausgaben gierenden Schlund einer nach links gerückten SPD füttern, damit diese ihr den Weg zur Macht ebnet.

Bereits am 24. Februar, dem Tag nach der Wahl, wird Merz bei einer Pressekonferenz gefragt, ob eine Modifizierung der Schuldenbremse mit Blick auf die Bundeswehr möglich wäre. Merz antwortet: „Also unsere Überlegungen dazu sind nicht abgeschlossen. Ich möchte zunächst einmal auch die Einschätzungen der Sozialdemokraten, der Grünen und der FDP dazu hören, bevor wir hier zu Entscheidungen kommen. Wir wissen alle, dass die Bundeswehr in den nächsten Jahren sehr viel mehr Geld braucht. Wie wir das organisieren, darüber müssen wir sprechen.“

Eine Woche später, am 03. März, äußert sich Merz erneut in einer Pressekonferenz. Ein Journalist spricht ihn darauf an, dass er im Wahlkampf viel von Kompromisslosigkeit gesprochen habe. Inwiefern müsse er jetzt etwa mit Blick auf die Schulden Abstriche machen? „Wir haben eine kurzfristige Entscheidung zu treffen, ob es uns gelingt, in den nächsten Tagen noch ein höheres Finanzvolumen für die Streitkräfte zur Verfügung zu stellen. Aber das verringert nicht den Konsolidierungsdruck auf die öffentlichen Haushalte, das erhöht ihn eher.“

Am Abend des Folgetages steht fest: Merz will nicht nur 500 Milliarden Euro als Sondervermögen aufnehmen, sondern auch die Schuldenbremse reformieren. Und das, bevor die Koalitionsverhandlungen – und damit eine Einigung auf Konsolidierung – überhaupt begonnen haben. Entschieden werden soll das nicht mit dem frisch gewählten, sondern mit dem abgewählten, alten Bundestag. Merz bricht sein Versprechen. Es wird, so ist anzunehmen, nicht das Einzige bleiben.

Lesen Sie auch:Der Doppelwumms-Wortbruch! Merz macht 500 Milliarden neue Schulden UND schafft die Schuldenbremse ab!

Publisher Logo

Dieser Artikel ist von NiUS

Klicke den folgenden Button, um den Artikel auf der Website von NiUS zu lesen.

Weitere Artikel