
Wie man sich doch täuschen kann: Eigentlich hätte man nach dem Abgang von Strafanzeigenweltmeister Robert Habeck als Wirtschaftsminister respektive als Dienstherr der Bundesnetzagentur mit ihrem Präsidenten Klaus Müller (vormals grüner Landesminister und Bundestagsabgeordneter) sowie mit dem Dienstantritt von Wirtschaftsministerin Katharina Reiche (CDU) damit rechnen können, dass die Einrichtung von „Trusted Flagger“ (vertrauenswürdigen Anzeigestellen) etwas zurückgeschraubt wird.
Denkste! Die Neue – Katharina Reiche – sorgte dafür, dass die Bundesnetzagentur das Vorgehen gegen verbotene Postings, zum Beispiel „Hasskriminalität“, verschärfen kann. Drei neue Meldestellen sollen helfen, Facebook, X, TikTok und Co. auf die Finger zu schauen. Namentlich sind die drei „Zertifizierten“: HateAid als gemeinnützige GmbH (bislang recht kooperativ, wenn es um Habecks Strafanzeigen ging), der Bundesverband Onlinehandel e.V. und die Verbraucherzentrale Bundeszentrale e.V. Das teilte die Bundesnetzagentur in einer Pressemitteilung mit. Insgesamt gibt es jetzt vier solcher staatlich zertifizierten Meldestellen. Die erste war „REspect!“
„Trusted Flagger“ sollen verbotene Inhalte an Konzerne wie etwa „Meta“ melden. Darüber schwebt – was denn sonst – eine Vorgabe der Europäischen Union: der Digital Service Act (DSA). Die Umsetzung des DSA gilt als Maßnahme, um die Demokratie und die EU-Mitgliedstaaten vor Tech-Plattformen zu verteidigen. „Trusted Flaggers“ agieren wie eine Art Vorsortierer, welche Inhalte entfernt oder gesperrt werden. Die letztendliche Entscheidung verbleibt bei TikTok, Facebook, YouTube und Co. Diese wiederum beschäftigen dafür „Content Moderatoren“ und Juristen, die bei strittigen Fällen eingeschaltet werden können. Etwaige Ermittlungen gegen Online-Postings übernehmen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften.
Nicht nur am Rande: Bei „REspect!“ handelt um eine „zivilgesellschaftliche“ Einrichtung, als deren Direktor der an der Kairoer Universität mit einem Bachelor für Islamwissenschaften qualifizierte Ahmed Haykel Gaafar firmiert.
Zu „Trusted Flagger“, Meldestellen, DSA und Co. passt eine aktuelle „Studie“ von Bitkom e.V. Das ist der Verband der Informations- und Telekommunikationsbranche. Laut dieser Studie fühlen sich viele Deutsche im Umgang mit Medien überfordert. Internetnutzer würden der „Studie“ zufolge ihrer eigenen Medienkompetenz nur die Schulnote 3,1 geben. Für die Erhebung hatte Bitkom Research telefonisch 1.003 Personen ab 16 Jahren in Deutschland befragt, darunter 933 Internetnutzer.
Details aus der „Studie“: Die 16- bis 29-Jährigen geben sich die Note 2,5 in Sachen digitaler Medienkompetenz, die Gruppe zwischen 30 und 49 Jahren eine 2,9. Ab dem Alter von 50 Jahren geben sich die Internetnutzer höchstens ein „befriedigend“: Die 65- bis 74-Jährigen eine 3,8, die Gruppe ab 75 Jahren sogar nur die Note 4,1. Konkret würde sich nur rund ein Viertel aller Internetnutzer (26 Prozent) zutrauen, Falschinformationen im Netz zu erkennen. Bei den 16- bis 29-Jährigen sind es rund ein Drittel (32 Prozent), in der Gruppe ab 75 Jahren nur sieben Prozent. Insgesamt würde nur etwas weniger als die Hälfte (44 Prozent) Informationen im Internet in der Regel prüfen, bevor sie sie teilen. Zwischen 16 und 29 Jahren sind es 48 Prozent, in der Gruppe der Internetnutzer ab 75 Jahren nur 36 Prozent. Rund die Hälfte (52 Prozent) sind nach eigener Einschätzung schon mindestens einmal auf ein Deepfake hereingefallen, also ein gefälschtes Video oder Foto.
Zum Hintergrund von Bitkom e.V.: Der 1999 gegründete Verein hat weit über zweitausend Mitglieder, darunter ziemlich alle digitalen „Global Player“ und auch viele Startups. Der Verein sieht sich als Lobby für die Digitalisierung von Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung.
Über die Motive von Bitkom e.V., die skizzierte Studie durchzuführen, mag man spekulieren. Ein Ziel wird sicher sein, die wirtschaftlichen Interessen der Bitkom-Mitglieder durch noch mehr Digitalisierung und noch mehr Förderung digitaler Kompetenzen voranzutreiben. Ein anderes Ziel könnte sein, für die eigene Mitgliedschaft neue Betätigungsfelder zu reklamieren. Nach dem Motto: Da seht mal, wie desolat die digitalen Kompetenzen vieler Nutzer sind. Unsere Mitglieder können da helfen, wenn man uns staatliche Aufträge – etwa im Bildungsbereich – gibt. Ein dritter Hintergedanke könnte ähnlich sein. Motto: Unsere Mitgliedsunternehmen haben die Kompetenz, zumal in Zeiten um sich greifender Fake-News und Deep-Fakes, einzugreifen und den Bürger davor zu schützen. Mit anderen Worten: Nicht wenige der Bitkom-Mitglieder wären durchaus willens und in der Lage, den Job als „Trusted Flagger“ zu übernehmen. Wie man „Trusted Flagger“ werden kann? Die Bundesnetzagentur hilft dabei.
Gewollt oder ungewollt dürfte die Bitkom-„Studie“ jedenfalls eine Steilvorlage für staatliche, halbstaatliche und „zivile“ Zensureinrichtungen inkl. NGOs sein: Seht mal, wie digital naiv die Menschen draußen sind. Da muss man doch helfen – im Interesse der „Demokratie“. Ein Schelm jedenfalls, wem im Zusammenhang mit der Bitkom-Studie das Bild einer digital rundum betreuten und überwachten Gesellschaft in den Sinn kommt. Zum Nutzen „unserer“ Demokratie!