
Zu den vielen Plagen unserer Zeit gehört die Entleerung schöner Begriffe. Vieles, was einmal gut gedacht war, hat sich durch falschen Gebrauch ins Gegenteil verkehrt. Ist ein Begriff erst einmal in die Hände von Politikern und Kulturkämpfer geraten, kann er sich kaum davon erholen.
Die aktuelle Folge von „Kissler Kompakt“ sehen Sie hier:
Das Musterbeispiel für einen solchen Missbrauch durch Instrumentalisierung ist die „Weltoffenheit“. Sie wurde zur hohlsten Phrase überhaupt. Man kann ihr nicht entkommen, man kann sie nicht ertragen. Weltoffenheit bezeichnet mittlerweile das Gegenteil: tiefste Provinzialität.
Deutschland sei ein weltoffenes Land: So oft habe ich diese Aussage gehört, dass ich ihr nicht mehr glauben kann. Der Bundespräsident sagt sie bei jeder Gelegenheit. Zum Beispiel jüngst, als er der vielen Opfer des terroristischen Anschlags von Magdeburg gedachte. Da sprach Frank-Walter Steinmeier:
Frank-Walter Steinmeier beschwört die Weltoffenheit, weil ihm die Weltoffenheit immer einfällt, wenn er bedeutungsschwere Sätze sagen will. In diesem Fall war die Floskel besonders deplatziert. In Magdeburg sind über 700 Menschen, darunter sechs Tote, von einem furchtbaren Anschlag betroffen – und zwar nicht, weil es zu wenig Weltoffenheit gegeben hätte, sondern weil es zu wenig Innere Sicherheit in Deutschland gibt.
Weltoffenheit ist das perfekte rhetorische Pflaster auf den Wunden der Wirklichkeit. Es heilt sie nicht, es bedeckt sie bloß.
Oder nehmen wir den Bundeskanzler. Auch er gibt sich gerne als Apostel der Weltoffenheit. In seinem Grußwort zum muslimischen Fastenmonat Ramadan sagt er:
Auch hier ist klar, was mit Weltoffenheit gemeint ist. Hier ist der Begriff kein rhetorisches Pflaster auf den Wunden, die die Gegenwart schlägt. Nein. Hier ist Weltoffenheit ein Aufruf zum Debatten-Stopp. Wer Weltoffenheit sagt, will nicht, dass die aktuelle Migrationspolitik kritisiert wird. Die Kritiker werden in einen Topf geworfen mit finsteren Nationalisten, die die Grenzen schließen wollen und am liebsten gar keine Ausländer im Land hätten.
Ja, das alles gibt es: Nationalisten, Chauvinisten, Rassisten. Sie schaden dem Land. Die abgeschottete wäre die abstürzende Republik. Genauso falsch aber ist es, sich auf Weltoffenheit zu berufen und ein offenes Land ohne Grenzkontrollen zu meinen.
Wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck sagt, „der schwerste wirtschaftliche Schaden, den dieses Land haben kann, ist, nicht ein weltoffenes Land zu sein“ – dann wirbt Habeck nicht für Weltoffenheit, sondern für einen möglichst leichten Zuzug nach Deutschland.
Für Robert Habeck ist „Weltoffenheit“ nicht diskutabel.
Sportvereine, Unternehmen und Verbände bekennen sich zu Weltoffenheit. Der sächsische Ministerpräsident sagt, Sachsen sei ein weltoffenes Land; der brandenburgische Ministerpräsident behauptet es von Brandenburg. Schwimmbäder sind weltoffen, Kirchgemeinden sowieso und gewiss auch Kfz-Werkstätten, Schlüsseldienste, Shisha-Bars und Bordelle.
Weltoffenheit war einmal eine schöne Sache. Im Kern ist sie das noch immer: als Bereitschaft, neugierig zu bleiben, sich anregen zu lassen und keine Vorurteile zu pflegen. Der inflationäre Gebrauch aber hat den Begriff ruiniert. Mittlerweile denke ich: Wer Weltoffenheit sagt, will betrügen.