Wer widerspricht, riskiert den Sitz: Wie Parteien ihre Abgeordneten zum Ja-Sagen drängen

vor etwa 1 Monat

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„Hast du mal daran gedacht, was du hinterher machen willst?“ Es sind vermeintlich harmlose Sätze, die Abgeordnete im Bundestag blitzschnell verstehen, wenn sie mit ihrem jeweiligen Fraktionsgeschäftsführer über ihr Abstimmungsverhalten sprechen.

Die meisten Fraktionen geben sich Geschäftsordnungen, wonach Abgeordnete, die gegen die Linie der Partei stimmen wollen, ihr Stimmverhalten vorher bei der Fraktionsführung anzuzeigen haben, damit die Spitze rechtzeitig reagieren kann, wenn etwas „anzubrennen“ droht und nicht in eine unerwartete Niederlage laufen.

Wer sich fragt, wie selbst der abgewählte Bundestag mit nahezu nordkoreanischen Mehrheiten dem Schuldenpaket zustimmen konnte, muss sich Sätze, wie den eingangs zitierten, auf der Zunge zergehen lassen.

Der abgewählte Bundestag schaffte es tatsächlich, bei der Abstimmung um das Schuldenpaket nordkoreanische Mehrheiten zu erzeugen.

Die Botschaft: Wir können ggf. viel für dich tun. Aber wenn du nichts für uns tust, kann es sehr schwer werden für dich, weil überall im Land Parteifreunde von uns sitzen ... Der Satz soll nach NIUS-Informationen in einem Gespräch der Unionsfraktion mit einem „Abweichler“ gefallen sein. Da es sich meist um Vier-Augen-Gespräche handelt, ist es in der Regel nicht belegbar.

Auffällig am Abstimmungsverhalten der Unionsfraktion war, dass Kritiker der Mega-Schulden wie Katja Leikert und Klaus-Peter Willsch, der etwa in der Griechenland- und in der Migrationskrise oft offen gegen die Mehrheitslinie der Fraktion gestimmt hatte, diesmal die „Ja“-Karte in die Stimmurne warfen und sich hinterher mit wortreichen persönlichen Erklärungen entschuldigten. Der frühere CDU-Generalsekretär Mario Czaja stimmte als einziger gegen die Grundgesetzänderung, Jens Köppen aus der Uckermark erschien ausdrücklich aus Protest nicht.

Dr. Katja Leikert: Selbst Kritiker der Mega-Schulden stimmten zu.

Das Disziplinieren von freien Abgeordneten, die eigentlich nur ihrem Gewissen verpflichtet sind, geschieht in der Praxis auf vielfältige Weise. Parteien können aus der Zentrale zum Beispiel darauf Einfluss nehmen, ob plötzlich im sicher geglaubten Wahlkreis ein Gegenkandidat antritt und durch geschickte Absprachen das Mandat übernimmt. Innerhalb der Fraktion sind gerade zu Beginn der Legislaturperiode lukrative Vizechef-Posten und andere Posten zu vergeben, die mit „Funktionszulagen“ vergütet werden können. Wer einen Ausschussvorsitz anstrebt, zeigt seine Befähigung zur „Verantwortungsübernahme“ am besten durch Unterstützung der Partei- und Fraktionsspitze. Das Gleiche gilt für Sprecherposten und den Vorsitz der verschiedenen Facharbeitsgemeinschaften. Titel, die zwar kein zusätzliches Geld bringen, aber bei öffentlichen Auftritten zusätzliches politisches Gewicht und Aufmerksamkeit bringen.

Kurz: Wer etwas will, marschiert lieber mit. Alte Partei-Hasen, wie etwa Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) kennen das Spiel und machten intern keinen Hehl daraus, dass sie erwarten, von Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz mit einem Posten bedacht zu werden. Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn und der frühere Chef der Jungen Union Tilman Kuban (beide CDU) übten intern ebenfalls Kritik am aktuellen Kurs, wussten am Ende aber selbst, was von ihnen erwartet wurde. Politische Schlagkraft lebt immer auch von jener Geschlossenheit, die ohne ein Stück Selbstverleugnung nicht zu haben ist.

Wer was will, buckelt: Ex-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) kennt sich da aus und macht keinen Hehl daraus, vom designierten Kanzler Friedrich Merz mit einem Posten bedacht werden zu wollen.

Die Diäten werden so zum moralischen Schmerzensgeld. Und die Partei-Hierarchen erinnern allzu muntere Freigeister notfalls deutlich daran, wem sie ihre Posten zu verdanken haben: der Partei.

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