Wettbewerbsfähigkeit lässt sich nicht herbeisubventionieren

vor etwa 7 Stunden

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Bildquelle: Tichys Einblick

Lange vor der Bundestagswahl hatte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) deutlich gemacht, dass die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wachstums die zentrale Aufgabe einer von ihm geführten Bundesregierung sein werde. Nachdem die Industrieproduktion in Deutschland seit 2019 um inzwischen fast 20 Prozent zurückgegangen ist und die Wirtschaft sogar im dritten Jahr hintereinander zu schrumpfen droht, will die neue Bundesregierung nun endlich mit einem „Wachstumsbooster“ die Wirtschaftswende schaffen.

In dieser Woche soll der Bundestag den Anfang Juni von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) vorgelegten Gesetzentwurf „für ein steuerliches Investitionssofortprogramm zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ beschließen. Dieses Programm werde das 500-Milliarden Sondervermögen zur Verbesserung der Infrastruktur ergänzen und den „Standort Deutschland […] international wettbewerbsfähiger“ machen, so Klingbeil.

Mit ihrer Fokussierung auf die Wettbewerbsfähigkeit trifft die Bundesregierung den Nerv der Wirtschaft. Nach Analysen des ifo-Instituts erodiert die Wettbewerbsposition des Verarbeitenden Gewerbes seit 2018 mit wachsender Geschwindigkeit. In den Jahren 2023 und 2024 beklagten etwa 20 Prozent der deutschen Unternehmen eine Verschlechterung ihrer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber weltweiten Wettbewerbern, bis April 2025 stieg der Wert auf knapp 25 Prozent.

Die sinkende Wettbewerbsfähigkeit der stark exportorientierten deutschen Industrieunternehmen kommt nicht überraschend. Schon seit Jahrzehnten leiden sie an rückläufigem und mittlerweile ausbleibendem Produktivitätswachstum – dem alles entscheidenden Faktor zur langfristigen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Diese Produktivitätsschwäche resultiert in erster Linie daraus, dass die hiesigen Unternehmen im Verhältnis zu ihrer eigenen Wertschöpfung immer weniger in die Verbesserung ihrer Wertschöpfungsprozesse investieren. Prozess- und Produktinnovationen, die in der Regel mit hohen Ausrüstungsinvestitionen verbunden sind und sich nur rentieren, wenn die dadurch erreichbaren Produktivitäts- und Effizienzverbesserungen den Investitionsaufwand überkompensieren, finden immer seltener statt.

Dadurch geraten die Betriebe in Deutschland unter kontinuierlich steigenden Druck. Bei weitgehend ausbleibender Einführung arbeits- und kostensparender Verfahren sind sie weder zu Preissenkungen in der Lage, noch können sie ihre Profitabilität erhöhen. Dies schwächt jedoch nicht nur die eigene Wettbewerbsfähigkeit, sondern die der gesamten Wirtschaft, da die Unternehmen in ihren inländischen Lieferketten nicht mehr von sinkenden Erzeugerpreisen profitieren.

Besonders deutlich zeigt sich dies als Folge der Umstellung der deutschen Energieversorgung auf ausschließlich erneuerbare Energie. Sie führt sowohl in der Energieerzeugung als auch in der Energienutzung zum Aufbau eines wesentlich unproduktiveren Kapitalstocks, der die Wertschöpfungsketten mit steigenden Kosten belastet. So geraten nicht nur einzelne Unternehmen in eine prekäre Lage, sondern ganze Branchen.

Wie akut die Produktivitätsschwäche die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in Deutschland bedroht, offenbart die Produktivitätsentwicklung der vergangenen Jahre. Denn im Vergleich zu den 1970er Jahren, als die Unternehmen im damaligen Westdeutschland die Arbeitsproduktivität pro Erwerbstätigenstunde noch um knapp vier Prozent jährlich steigerten und diese Werte bis heute andernorts – unter anderem in asiatischen Schwellenländern sowie China und sogar einigen osteuropäischen Ländern – erreicht oder sogar übertroffen werden, erzielt die deutsche Wirtschaft seit Anfang der 2000er nur noch durchschnittliche jährliche Steigerungsraten von unter einem Prozent. Dieser bislang ungebremste Negativtrend führt seit 2021 sogar zu einer sinkenden Arbeitsproduktivität. Besonders betroffen ist das Produzierende Gewerbe, also die Industrie einschließlich Baugewerbe, Bergbau sowie Energie- und Wasserversorgung. Dort sinkt die Arbeitsproduktivität seit drei Jahren um durchschnittlich etwa 1,5 Prozent pro Jahr.

In den energieintensiven Branchen sowie in Branchen, in denen die Unternehmen aufgrund der Prämissen der deutschen und europäischen Klimapolitik nicht nur durch hohe Energiekosten belastet werden, sondern sogar zu Technologiewechseln gezwungen sind – wie beispielsweise in der Stahlindustrie oder im Automobilbau –, ist die Erosion der Wettbewerbsfähigkeit bereits wesentlich weiter fortgeschritten als in der Gesamtwirtschaft. Anstatt Produktivität und Effizienz ihrer Wertschöpfungsprozesse zu verbessern, schrumpfen die Unternehmen ihren Kapitalstock und fahren auf Verschleiß. Die fatale Folge ist, dass die Arbeitsproduktivität fast aller energieintensiven Branchen in Deutschland bereits seit Mitte der 2000er Jahre sinkt.

Die Bundesregierung agiert in Anbetracht der so entstandenen Wettbewerbsschwäche nicht etwa mit wirtschaftspolitischen Initiativen, die geeignet wären, die Produktivitätsschwäche zu überwinden. Stattdessen reagiert sie mit einer wirtschaftspolitischen Agenda, die praktisch ausschließlich darauf abzielt, die Wettbewerbsschwäche durch staatliche Hilfen möglichst auszugleichen und die Unternehmen vor allzu hartem Wettbewerb zu behüten. Vor allem Finanzhilfen und Steuererleichterungen sollen die Unternehmen wirtschaftlich so weitgehend entlasten, dass sie unter Sicherung ihrer Profitabilität zu wettbewerblichen Preisen anbieten können. Diese Absicherung der Profitabilität, so das wirtschaftspolitische Kalkül, soll sie dazu bringen, wieder in die hiesigen Betriebe zu investieren.

Folgerichtig setzt das nun von Klingbeil vorgelegte „steuerliche Investitionssofortprogramm zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts“ ausschließlich auf die Entlastung der Unternehmen. Das soll durch Steuererleichterungen und Finanzhilfen erreicht werden. Zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit gewährt der „Booster“ beschleunigte Abschreibungen für Ausrüstungsgüter sowie für gewerblich genutzte Elektrofahrzeuge. Hinzu kommen erweiterte Finanzhilfen für die Forschung sowie die schrittweise Senkung der Körperschaftssteuer ab 2028 von derzeit 15 auf 10 Prozent bis 2032.

Und so wird es weitergehen, denn im Koalitionsvertrag hatten sich CDU/CSU und SPD auf ein ganzes Bündel von Entlastungsmaßnahmen geeinigt, die die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verbessern sollen. Neben Entlastungen durch weniger Bürokratie und die nun im „Booster“ geplanten Steuervergünstigungen und Unternehmenssteuersenkungen wird im Koalitionsvertrag auch die Stabilisierung der Rentenbeiträge mit Steuergeldern versprochen. Hinzu kommt eine generelle Subventionierung der Strompreise um mindestens 5 Cent pro kWh, sowie weitere massive Subventionen zur Förderung der Elektromobilität und für den beschleunigten Aufbau der Wasserstoffwirtschaft. Auch die Fortsetzung der Industriepolitik des ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist vorgesehen, um einerseits erneuerbare Energie mittels Subventionen wettbewerbsfähiger zu machen und um andererseits energieintensivere Betriebe mit Dauersubventionen – wie etwa „Klimaschutzverträgen“ – vor dem Verlust ihrer Wettbewerbsfähigkeit bewahren zu können.

In den nächsten Jahren dürfte Anteil der staatlichen Subventionen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf einen Allzeithöchststand anwachsen. Nach Berechnungen des IfW Kiel hatten sie 2019 bereits 5,6 Prozent erreicht und sind seitdem stark gestiegen. Der Löwenanteil von inzwischen etwa 300 Milliarden Euro pro Jahr fließt entweder direkt oder indirekt an Unternehmen.

Um zu verhindern, dass die Betriebe bei steigenden Energiekosten und obendrein stagnierender oder sogar sinkender Arbeitsproduktivität ihre Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, spielen nicht nur Subventionen eine immer entscheidendere Rolle. Sie sind nur eine Spielart zunehmender staatlicher Protektion mit der – aus Angst vor den destabilisierenden Auswirkungen wirtschaftlicher Krisen und Restrukturierungen – bereits seit Jahrzehnten in allen entwickelten Volkswirtschaften wirtschafts- und geldpolitische Rahmenbedingungen geschaffen werden durch die es sogar den wettbewerbs- und produktivitätsschwächsten Unternehmen gelingt, dauerhaft zu überleben.

Anstatt den Wettbewerb um exzellente und hochproduktive Geschäftsprozesse anzutreiben und die Verdrängung weniger produktiver Betriebe zu ermöglichen, hat die ausschließlich auf wirtschaftliche Stabilisierung ausgerichtete Wirtschafts- und Geldpolitik der vergangenen Jahrzehnte die Wirtschaft zombifiziert. Der wirtschaftliche Erfolg und das Überleben der Unternehmen sowie Wohl und Wehe ganzer Branchen hängt immer weniger von hochproduktiven Wertschöpfungsprozessen und der daraus resultierenden Wettbewerbsfähigkeit ab. Viel entscheidender sind inzwischen förderliche staatliche Regulierung, Niedrigzinsen, Protektionismus und ausufernde Subventionen sowie die Nähe der Unternehmen und ihrer Verbände zu staatlichen Institutionen und Entscheidungsträgern, um die ausufernde staatliche Regulierung und die Subventionen in die gewünschten Kanäle zu lenken.

Staatliche Protektion lähmt den Produktivitätsfortschritt und die Wettbewerbsfähigkeit, weil die Unternehmen sogar den Anreiz verlieren, kapitalintensive und mit hohen wirtschaftlichen Risiken verbundene Produkt- und Prozessinnovationen zu wagen. Das liegt daran, dass sie auf diesem Weg die – in besonderem Maß unter staatlicher Protektion stehenden – schwächeren Wettbewerber verdrängen könnten. Die innovationsstarken Unternehmen müssen daher davon ausgehen, dass sie staatlicherseits etwa durch Marktzugangsbeschränkungen, moderne Insolvenzgesetzgebung, die auf die Restrukturierung zu Lasten der Gläubiger setzt, oder durch Finanzhilfen und Steuererleichterungen für angeschlagene Unternehmen daran gehindert werden, sich wettbewerblich durchzusetzen. Investitionen in produktivere Wertschöpfungsprozesse, die sich oft nur bei steigenden Stückzahlen und höheren Marktanteilen rentieren, können sich daher leicht als wirtschaftlicher Fehlschlag erweisen.

Aufgrund der seit Jahrzehnten immer akuter werdenden Wettbewerbsschwäche deutscher Unternehmen setzt neue Bundesregierung mit ihrer wirtschaftspolitischen Agenda noch vehementer als die vorangegangenen CDU/CSU- und SPD-geführten Bundesregierungen auf staatliche Protektion und insbesondere Subventionen. Dies ist jedoch für die langfristige Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit fatal, da diese wettbewerbsfeindliche Orientierung nicht zur Überwindung der Produktivitätsschwäche beitragen kann, sondern umkehrt sogar deren Ursache ist. Die Überwindung der Wettbewerbsschwäche kann nur gelingen, wenn der wirtschaftliche Erfolg vor allem wettbewerbsschwacher Unternehmen nicht mehr vorrangig von förderlicher Regulierung, Subventionen sowie staatlicher Protektion abhängig ist. Stattdessen müssen wirtschaftspolitische Rahmensetzungen und Aktivitäten erfolgen, um die Anstrengungen von Unternehmen zu belohnen, die sich durch die Einführung produktiverer und effizienterer Wertschöpfungsprozesse wettbewerblich durchsetzen wollen.

Anstatt jährlich hunderte Milliarden und nun noch viel mehr Steuergeld zur Rettung und Aufrechterhaltung nicht wettbewerbsfähiger Geschäftsmodelle zu stecken und mittels Subventionen die Marktstellung von Platzhirschen abzusichern, müssten neue Ideen gefördert werden. Die Fehlorientierung staatlicher Wirtschaftspolitik zeigt sich darin, dass staatliche Subventionen in den nächsten Jahren in Richtung zehn Prozent des BIP aufwachsen dürften, jedoch die Ausgaben des Bundes für Forschungszwecke, einschließlich Grundlagenforschung, im vergangenen Jahr insgesamt nur 18,6 Milliarden Euro erreichten, was gerade einmal 0,43 Prozent des BIP entspricht.

Um die Produktivitätsentwicklung zu fördern, müsste insbesondere der Anfang des Innovationslebenszyklus mit staatlichen Mittlen unterstützt und weniger reguliert und reglementiert werden, so dass neue Ideen auch getestet und umgesetzt werden können. Anstatt den Unternehmen, wie mittlerweile in Deutschland und der EU selbstverständlicher Usus, sogar die Verwendung von Technologien vorzuschreiben – wie etwa bei der Elektromobilität – oder diese extrem hart zu regulieren (oder gar zu verbieten) – wie z.B. bei der Kernenergie, der Grünen Gentechnik oder der Künstlichen Intelligenz – müsste die Grundlagenforschung massiv gestärkt und durch staatliche Förderung ein Wettbewerb um die besten Ideen entfesselt werden. Unter diesen Bedingungen würden sich auch in Deutschland hinreichend viele Investoren finden, die bereit wären – in einem dann völlig veränderten wettbewerbsorientierten Umfeld – die vielen guten Ideen zur Marktreife zu führen. So könnte der jahrzehntelange Negativtrend bei Produktivitätsentwicklung und Wettbewerbsfähigkeit endlich umgekehrt werden.

Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.

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